OGH 5Ob205/12a

OGH5Ob205/12a21.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der außerstreitigen Wohnrechtssache der Antragstellerin G***** H*****, vertreten durch Mag. Martin Semrau, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegner 1. A***** GmbH, *****, vertreten durch Burgemeister & Alberer Rechtsanwalts‑Partnerschaft in Klosterneuburg, 2. C***** M*****, 3. M***** M***** R*****, 4. M***** S*****, 5. C***** L***** S*****, 6. W***** Z*****, 7. H***** J*****, 8. C***** M*****, 9. DI J***** J*****, 10. C***** K*****, 11. R***** R*****, 12. Mag. M***** N*****, 13. DI E***** A*****, 14. D***** M*****, 15. Dr. S***** A*****, 16. C***** G*****, 17. Dr. H***** R*****, 18. R***** W***** registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, *****, vertreten durch Mag. Franz Podovsovnik, Rechtsanwalt in Wien, 19. A***** R*****, 20. E***** R*****, ebendort, 21. Mag. Dr. N***** S*****, 2.‑8., 10. und 12. Antragsgegner vertreten durch Stolitzka & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wegen § 52 Abs 1 Z 5 WEG über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. Juni 2012, GZ 40 R 223/11g‑23, womit über Rekurs der Erstantragsgegnerin und der 2.‑8., 10. und 12. Antragsgegner der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 3. Dezember 2010, GZ 23 Msch 18/10x‑10, abgeändert wurde, den

Sachbeschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs der Antragstellerin wird Folge gegeben.

Der Sachbeschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der erstgerichtliche Sachbeschluss wiederhergestellt wird.

Der Erstantragsgegner ist schuldig, der Antragstellerin die mit 1.007,64 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin 167,94 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Zweit‑ bis Acht‑, Zehnt‑ und Zwölftantragsgegner sind schuldig, der Antragstellerin die mit 1.461,01 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin 243,51 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Erstantragsgegnerin sowie die Zweit‑ bis Acht‑, Zehnt‑ und Zwölftantragsgegner sind schuldig, der Antragstellerin die mit 797,40 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin 333 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Verfahrensparteien sind Mit‑ und Wohnungseigentümer der Liegenschaft *****, deren Verwalterin die I***** Gesellschaft mbH ist. Letztere hat für den 29. 6. 2010 eine Hausversammlung einberufen, zu der auch die Antragstellerin geladen wurde. Die Antragstellerin erschien zu dieser Versammlung nicht. Mit einfacher Stimmenmehrheit (54,1 %) wurde der im Folgenden zusammengefasst wiedergegebene Beschluss gefasst, der am 1. 7. 2010 im Haus angeschlagen wurde.

Zweck dieser Beschlussfassung war eine Bereinigung einer Vielzahl von anhängigen Gerichtsverfahren zwischen der Erstantragsgegnerin und der Eigentümergemeinschaft des Hauses sowie zwischen der Erstantragsgegnerin und einzelnen Miteigentümern. Die Erstantragsgegnerin hatte auf der Liegenschaft (teils gemeinsam mit der R***** W*****) Wohnungseigentum begründet, Erhaltungsarbeiten durchgeführt und die Wohnungseigentumsobjekte an die Antragsgegner bzw deren Rechtsvorgänger veräußert.

Gegenstand der anhängigen Streitigkeiten waren unter anderem Gewährleistungs‑ und Haftungsansprüche von Miteigentümern, die Wohnungseigentumsobjekte von der Erstantragsgegnerin erworben hatten, Zahlungsver-pflichtungen dieser Genannten und Forderungen der Eigentümergemeinschaft gegen die Erstantragsgegnerin betreffend Betriebskosten und Rücklagen bzw Anrechnung von Akonti und Darlehen der Erstantragsgegnerin (offenbar) an die Eigentümergemeinschaft zur Finanzierung von Erhaltungsarbeiten.

Inhalt der Beschlussfassung war ‑ zusammengefasst ‑ die Erteilung einer Vollmacht an einen Rechtsanwalt mit dem Auftrag, namens der Eigentümergemeinschaft mit der Erstantragsgegnerin „im Interesse einer endgültigen Bereinigung“ bzw zur Herstellung eines „endgültigen Rechtsfriedens“ einen „Generalvergleich“ abzuschließen, mit dem im Einzelnen näher bezeichnete gerichtsanhängige Streitigkeiten bereinigt werden sollten. Die Eigentümergemeinschaft sollte sich in diesem Vergleich verpflichten, der Erstantragsgegnerin den Betrag von 1 Mio EUR zu bezahlen. Dabei wurde die Behauptung der Erstantragsgegnerin wiedergegeben, ihr stünde in Wahrheit ein Gesamtbetrag von rund 1,6 Mio EUR zu. Die Hausverwaltung sollte bevollmächtigt werden, mit zwei Rechtsanwälten einen Generalvergleich über deren Honorarforderungen zu einem Pauschalbetrag von 35.000 EUR abzuschließen, welcher Betrag von den Miteigentümern aufzubringen sein sollte.

Teil der Beschlussfassung war auch eine mit der Wirksamkeit des Vergleichs bedingte Erklärung der Erstantragsgegnerin, gegenüber bestimmten Wohnungseigentümern, die von ihr Objekte erworben hatten, zur Abgeltung von deren Gewährleistungs‑ und Haftungsansprüchen auf die von diesen nach dem Generalvergleich zu leistenden Beträge ab einem gewissen Ausmaß zu verzichten.

Weiters war Gegenstand des Beschlusses eine Regelung über die Tragung der Kosten von bereits durchgeführten Arbeiten zur Generalsanierung des Hauses, wofür ein von § 32 Abs 1 WEG abweichender Verteilungsschlüssel vereinbart wurde, der auch im Grundbuch ersichtlich gemacht werden sollte.

Im Einzelnen sind daraus folgende Punkte herauszuheben:

„Zwischen der Eigentümergemeinschaft ... bzw einzelnen Miteigentümern des Hauses einerseits und der ... [Erstantragsgegnerin] andererseits sind seit dem Jahr 1997 zahlreiche Gerichtsverfahren anhängig ...

Im Interesse der endgültigen Bereinigung all dieser Streitigkeiten und auf der Basis der von ... [der Erstantragsgegnerin] abgegebenen Verpflichtungs-erklärung ... wird folgendes beschlossen: ...

5. Die einzelnen Punkte dieses Beschlusses sind nur in ihrer Gesamtheit wirksam ‑ sollte einer dieser Punkte im Zuge einer allfälligen Beschlussanfechtung außer Kraft gesetzt werden, verlieren auch die übrigen Beschlusspunkte ihre Wirksamkeit.“

Mit dem verfahrenseinleitenden Antrag vom 30. 7. 2010 begehrt die Antragstellerin, die Rechtsunwirksamkeit dieses Beschlusses wegen formeller Mängel, Gesetzwidrigkeit und Fehlens der erforderlichen Mehrheit gerichtlich festzustellen.

Inhalt der Beschlussfassung sei weder eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung noch der außerordentlichen Verwaltung, jedenfalls kein Gegenstand, der mit einfacher Mehrheit beschlossen werden könne. Die Forderungen, über die in dieser Beschlussfassung erkannt werde, beträfen die Antragstellerin nicht und resultierten aus lange zurückliegenden und nicht mehr nachvollziehbaren Arbeiten ab dem Jahr 1993. Die Erstantragsgegnerin versuche, Geschäfte, die sie zu Lasten der von ihr vertretenen Eigentümergemeinschaft mit sich selbst abgeschlossen habe, die für die Eigentümergemeinschaft aber ohne Nutzen gewesen seien, auf die Eigentümer zu überwälzen. Investitionen der Erstantragsgegnerin seien in Gebäudeteile geflossen, die nur ihr selbst wirtschaftlich zugute gekommen seien. Allgemeine Teile der Liegenschaft seien keiner Sanierung unterzogen worden. Die Antragstellerin habe bei Erwerb auf die ihr ausdrücklich erteilte Zusage der Lastenfreiheit vertraut. Die Zustimmung von Miteigentümern zur Beschlussfassung sei lediglich auf deren Verunsicherung über die Rechtslage und die Behauptung drohender höherer Verpflichtungen zustande gekommen.

Insgesamt sei Gegenstand der Beschlussfassung keine Regelung, die dem WEG zu unterstellen sei.

Die Erst‑ bis Acht‑, Zehnt‑ und Zwölftantragsgegner beantragten die Abweisung des Antrags mit der Begründung, es handle sich zweifelsfrei um einen Beschluss der ordentlichen Verwaltung. Die Antragstellerin könne daher nur formelle Mängel der Beschlussfassung geltend machen. Eine ungebührliche Benachteiligung der Antragstellerin finde nicht statt.

Das Erstgericht gab dem Antrag statt und hob den Mehrheitsbeschluss vom 29. 6. 2010 als rechtsunwirksam auf. Die im bekämpften Beschluss vereinbarte Aufteilung der Aufwendungen sei unwirksam, weil eine von § 32 Abs 1 WEG abweichende Aufteilung nur unter schriftlicher Vereinbarung aller Miteigentümer zustande kommen könne. Ein Mehrheitsbeschluss sei dafür ungeeignet.

Abgesehen davon handle es sich bei der gegenständlichen Angelegenheit jedenfalls nicht um eine solche der ordentlichen oder außerordentlichen Verwaltung, sondern um eine Maßnahme im Sinn des § 834 ABGB, und zwar schon aufgrund der Höhe des Betrags, der hier Regelungsgegenstand sei. Auch deshalb sei eine Beschlussfassung mit bloßer Stimmenmehrheit nicht zulässig. Dem bekämpften Beschluss hafte daher Rechtswidrigkeit an, weshalb er aufzuheben sei.

Dem dagegen von der Erstantragsgegnerin sowie den Zweit‑ bis Acht‑, Zehnt‑ und Zwölftantragsgegnern erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz Folge und änderte den bekämpften Beschluss dahin ab, dass das Anfechtungsbegehren der Antragstellerin abgewiesen wurde. Zunächst sei unrichtig, dass mit dem bekämpften Mehrheitsbeschluss ein abweichender Aufteilungsschlüssel iSd § 32 Abs 2 WEG festgelegt worden sei. Bei richtigem Verständnis des Inhalts des Beschlusses ergebe sich, dass es nur um die Aufteilung der zur vergleichsweisen Bereinigung aufzubringenden Mittel gehe. Dass die Erstantragsgegnerin in ihrer Verpflichtungserklärung einen namhaften Teil der auf Miteigentümer anteilsmäßig entfallenden Beträge an deren Stelle zur Zahlung übernehme, komme keiner Abänderung eines Aufteilungsschlüssels gleich.

Das Rekursgericht teilte auch im Übrigen die Rechtsansicht des Erstgerichts nicht, dass die vorliegende Beschlussfassung der Einstimmigkeit bedurft hätte. Auch wenn es sich um eine hohe Zahlungsverpflichtung handle, die die Miteigentümer übernähmen, handle es sich dabei doch um eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung. Die Höhe der übernommenen Verpflichtung ergebe sich daraus, dass die Eigentümergemeinschaft mit hohen Forderungen und Kosten bereits konfrontiert und der Ausgang von anhängigen Gerichtsverfahren ungewiss sei. Mit dem in der Beschlussfassung vorgesehenen Generalvergleich würde das Risiko eines Prozessverlusts und damit verbunden weit höheren Zahlungspflichten und Kosten vermieden. Deshalb sei der bekämpfte Beschluss als Maßnahme der ordentlichen Verwaltung zu bewerten.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof als Kriterium der Abgrenzung von ordentlicher zu außerordentlicher Verwaltung auch die Höhe der Kosten von Erhaltungsarbeiten als maßgeblich beurteilt habe und zur Qualifikation einer Entscheidung über einen mit einer hohen Zahlungsbelastung verbundenen Prozessvergleich keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege.

Gegen diesen Sachbeschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Sachbeschlusses dahin, dass der angefochtene Beschluss der Eigentümergemeinschaft für nichtig erklärt werde.

Die Antragsgegner, die sich am Revisionsrekursverfahren beteiligt haben, beantragen, den Revisionsrekurs der Antragstellerin zurück‑, in eventu abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist auch berechtigt.

1. Die mit dem bekämpften Beschluss (unter anderem) angestrebte Verteilung von über Jahre hinweg aufgelaufenen Kosten der Arbeiten an allgemeinen Teilen abweichend von der allgemeinen Regel des § 32 Abs 1 WEG (vgl 5 Ob 41/05y wobl 2006/10, 49 [Call]) und die Bereinigung von Rechtsstreitigkeiten zwischen einzelnen Wohnungseigentümern bzw diesen und dem Wohnungseigentumsorganisator sind jedenfalls nicht Gegenstand der ordentlichen Verwaltung der Liegenschaft und somit keiner Beschlussfassung zugänglich. Da nach Punkt 5. des Beschlusses dessen Wirksamkeit von der Gesamtgeltung abhängig gemacht wurde, ist dieser ebenfalls insgesamt unwirksam.

Ob und für wen der Abschluss dieses „Generalvergleichs“ günstig ist und wem er zum Nachteil gerät, lässt sich nicht beurteilen und ist auch letztlich rechtlich irrelevant. Dazu wäre zudem eine Aufarbeitung sämtlicher anhängiger Verfahren und offener Streitigkeiten erforderlich, die knappen und kursorischen Erwägungen des Rekursgerichts dazu sind auch nicht nachvollziehbar. Unabhängig von der Frage der zivilrechtlichen Wirksamkeit einer solchen nur mehrheitlich getroffenen Vereinbarung gegenüber jenen Wohnungseigentümern, die nicht zugestimmt haben, fällt eine Entscheidung, mit der vermögensrechtliche Streitigkeiten zwischen einem Wohnungseigentumsorganisator sowie Mit‑ und Wohnungseigentümern einer Liegenschaft verglichen werden, daher nicht in die auf Verwaltungsangelegenheiten beschränkte Kompetenz der Eigentümerversammlung, sondern in die unmittelbare Kompetenz der Teilhaber. Ein Mehrheitsbeschluss reicht dafür nicht aus (zu Mehrheitsbeschlüssen über nicht der Liegenschaftsverwaltung und damit nicht der Eigentümergemeinschaft zurechenbare Angelegenheiten vgl auch H. Löcker in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht § 24 WEG Rz 84 mwN).

2. Den Ausführungen der Revisionsrekursgegner ist noch Folgendes zu entgegnen:

Es trifft nicht zu, dass die Antragstellerin die Gesetzwidrigkeit des angefochtenen Beschlusses nicht als Anfechtungsgrund geltend gemacht hätte (bereits im Antrag ON 1 = AS 4 Mitte).

Im Weiteren trifft es nicht zu, dass Sanierungsarbeiten, die ein Wohnungseigentumsorganisator vor oder nach Veräußerung von Wohnungseigentumsobjekten ohne Beteiligung der Mehrheit der Wohnungseigentümer durchführte, als Erhaltungsarbeiten iSd § 28 Abs 1 Z 1 WEG bzw Verbesserungen iSd § 29 Abs 1 WEG zu qualifizieren und daher den Aufteilungsvorschriften des § 32 WEG zu unterstellen sind.

3. Der als nichtig zu beurteilende Beschluss der Eigentümermehrheit war daher zur Klarstellung der Rechtslage zu beseitigen. Auf die Frage der Unzulässigkeit der Vereinbarung eines von § 32 Abs 1 WEG abweichenden Aufteilungsschlüssels durch Mehrheitsbeschluss muss nicht mehr eingegangen werden.

In diesem Sinn ist der erstgerichtliche Sachbeschluss wiederherzustellen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 37 Abs 3 Z 19 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG. Dabei waren nur jene Antragsgegner, die sich dem berechtigten Aufhebungsbegehren prozessual entgegenstellten, zur Kostenersatzpflicht an die Antragstellerin zu verhalten.

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