OGH 15Os7/13p

OGH15Os7/13p20.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. März 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zellinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Tobias K***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Tobias K*****, Tina K*****, Markus P***** und Mag. Gerold B***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 16. November 2012, GZ 17 Hv 33/12a-51, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Teils in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden des Tobias und der Tina K*****, teils aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Auf diese Entscheidung werden die Angeklagten P***** und Mag. B***** mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden sowie sämtliche Angeklagte mit ihren Berufungen verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Tobias K*****, Tina K*****, Markus P***** und Mag. Gerold B***** je des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 erster Fall, Abs 4 Z 3 SMG als Beteiligte nach § 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach haben Tobias K*****, Tina K*****, Markus P***** und Mag. Gerold B***** in Graz und an anderen Orten zur vorschriftswidrigen Erzeugung von Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge durch teils bekannte und abgesondert verfolgte, teils nicht ausgemittelte Täter beigetragen, und zwar

1./ Tobias K***** im Zeitraum September 2009 bis Februar 2012 zur Erzeugung von mindestens 1.028 kg Cannabiskraut, indem er rund 146.000 Cannabissetzlinge an Günter U*****, rund 33.000 Cannabissetzlinge an Peter H***** und rund 3.900 Cannabissetzlinge an Verantwortliche des Unternehmens „Blumen per Lumen“ verkaufte, die jeweils ihrerseits die Stecklinge zum größten Teil an die unmittelbaren Täter zum Zwecke der Suchtgiftgewinnung veräußerten oder durch Angestellte veräußern ließen,

2./ Tina K***** im Zeitraum September 2009 bis Februar 2012 zur Erzeugung von mindestens 630 kg Cannabiskraut, indem sie von den zu 1./ angeführten Cannabissetzlingen rund 112.000 Stück an Günter U***** mit dem Auto auslieferte,

3./ Markus P***** im Zeitraum Oktober 2009 bis Februar 2012 zur Erzeugung von mindestens 1.012 kg Cannabiskraut, indem er - teils gemeinsam mit Mag. Gerold B***** - insgesamt mindestens 180.000 Cannabissetzlinge durch Abschneiden von den Mutterpflanzen gewann und für den Verkauf bereitstellte,

4./ Mag. Gerold B***** im Zeitraum Juli 2010 bis Februar 2012 zur Erzeugung von mindestens 686 kg Cannabiskraut, indem er gemeinsam mit Markus P***** insgesamt mindestens 122.000 Cannabissetzlinge durch Abschneiden von den Mutterpflanzen gewann und für den Verkauf bereitstellte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wenden sich die getrennt ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden sämtlicher Angeklagter, die Tobias K***** auf Z 1a, 4, 5, 9 lit a und 10, Tina K***** auf Z 3, 4, 5 und 10, Markus P***** auf Z 4 und 10 und Mag. Gerold B***** auf Z 4, 5, 5a, „9a“, „9b“ und 10 des § 281 Abs 1 StPO stützen.

Zutreffend machen Tobias und Tina K***** eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen, wonach zumindest 75 % der an die Hanfshops verkauften Stecklinge von den Endkunden zum Zwecke der Suchtgiftgewinnung erworben wurden und von diesen Pflanzen wiederum 75 % die Erntereife erreichten und tatsächlich Ertrag erzielten (US 7 dritter Absatz), geltend.

Begründend stützten sich die Tatrichter hiezu zunächst auf „allgemeine Erfahrungssätze“, nach denen die Klientel von Hanfshops Hanfpflanzen größtenteils für die Suchtgifterzeugung und nicht als Zierpflanzen erwirbt. Dies ergebe sich auch aus Recherchen der Polizei und einer Rückfrage beim größten österreichischen Zierpflanzenproduzenten. Auch der hohe Pflege- und Kostenaufwand für die Aufzucht solcher Pflanzen spreche gegen eine Verwendung als Zierpflanzen (US 9 letzter Absatz f). Der daraus gezogene Schluss auf die Kaufmotivation der Klientel von Hanfshops ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

Die weitere Feststellung, dass (zumindest) 75 % der Käufer die Pflanzen zum Zweck der Suchtgiftgewinnung erwarben (US 7), gründete das Erstgericht jedoch lediglich auf den - im Übrigen auch in der Anklageschrift (ON 42 S 8 zweiter Absatz) - nicht näher substantiierten „durchaus realistischen“ „Ansatz der Staatsanwaltschaft“, dass 25 % der Käufer die Pflanzen nicht für die Suchtgiftgewinnung erwarben oder sie letztlich doch entsorgten (US 10 erster Absatz). Den weiteren Abzug von 25 % begründeten die Tatrichter schließlich damit, dass „bei lebensnaher Betrachtung“ davon auszugehen sei, dass von diesen Pflanzen 75 % die Erntereife erlangten (US 10 zweiter Absatz).

Da für die konstatierten Prozentsätze weder eine allgemeine noch eine Gerichtsnotorietät besteht (zum Begriff s RIS-Justiz RS0098570; Lendl, WK-StPO § 258 Rz 41 f), wären diese Annahmen vom Erstgericht zureichend zu begründen gewesen. Der Verweis auf einen „realistischen Ansatz“ der Staatsanwaltschaft - mag dieser auch plausibel sein - ohne irgendeine empirische Grundlegung, stellt jedoch bloß eine statistische Vermutung dar, die rechtsstaatlichen Begründungserfordernissen nicht genügt. Auch kann eine „lebensnahe Betrachtung“ ohne Substantiierung durch konkrete Beweisergebnisse nicht Grundlage für die Angabe einer - solcherart spekulativen - Prozentzahl für den Ernteausfall (25 %) sein. Die auf einer doppelten Vermutung allein basierende Begründung einer entscheidenden Tatsache, nämlich der Annahme einer - ziffernmäßig bezeichneten - von den Endabnehmern erzeugten Menge, die das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigt (§ 28a Abs 4 Z 3 SMG), erweist sich somit als willkürlich (Z 5 vierter Fall; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 444).

Zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage käme beispielsweise die Vernehmung der ermittelnden Polizeibeamten, von Verkäufern und Käufern der verfahrensgegenständlichen Hanfpflanzen oder eines Sachverständigen zur Frage der prozentuellen Anzahl der zum Zweck der Suchtgiftgewinnung kultivierten und tatsächlichen Erntereife erreichenden Pflanzen in Betracht.

Der aufgezeigte Begründungsmangel steht aber nicht nur der verlässlichen Beurteilung entgegen, ob die Beschwerdeführer zur Erzeugung einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge an Delta-9-THC überschreitenden Menge beigetragen haben, sondern auch ob sie einen entsprechenden Beitrag zur Erzeugung einer die Grenzmenge selbst überschreitenden Menge (§ 28b SMG) geleistet haben.

Darüber hinaus können die Annahmen, die einen - gar nicht erfolgten - Schuldspruch nach § 27 Abs 1 Z 1 dritter Fall SMG, § 12 dritter Fall StGB tragen würden, für sich allein nicht bestehen bleiben (RIS-Justiz RS0115884).

Die gänzliche Aufhebung der Schuldsprüche des Tobias und der Tina K***** ist daher unumgänglich.

Da der aufgezeigte Begründungsmangel auch den Schuldsprüchen der Angeklagten Markus P***** und Mag. Gerold B***** anhaftet, war von Amts wegen so vorzugehen, als hätten auch sie den angeführten Nichtigkeitsgrund geltend gemacht (§ 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO). Demgemäß waren auch deren Schuldsprüche zur Gänze aufzuheben.

Ein Eingehen auf das weitere Vorbringen des Tobias und der Tina K***** in ihren Nichtigkeitsbeschwerden sowie auf die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Markus P***** und Mag. Gerold B***** ist deshalb nicht erforderlich.

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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