OGH 14Os3/13t

OGH14Os3/13t5.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. März 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kogler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Günter W***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 5. Oktober 2012, GZ 631 Hv 10/12k-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I/1) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/2) sowie mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 (dritter Fall) StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er

I. von 2001 bis Juni 2004 in N*****, W***** und einem Ort am Plattensee in Ungarn an seiner am 18. Juni 1992 geborenen Stieftochter Renate B*****,

1. in mehreren Angriffen dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er seinen Finger in ihre Scheide einführte;

2. außer dem Fall des § 206 StGB in vielfachen Angriffen geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen, indem er ihre nackte Brust und ihre Scheide streichelte und mit seiner Zunge ihre Klitoris leckte und sie überdies dazu veranlasste, Handonanie an seinem erigierten Penis vorzunehmen;

II. durch die unter Punkt I. genannten Handlungen mit seinem minderjährigen Stiefkind geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Mit Aufklärungsrüge (nominell aus Z 4, der Sache nach aus Z 5a) macht der Angeklagte unter Bezugnahme auf angeblich widersprüchliche Aussagen der Mutter des Tatopfers in den die Trennung von ihm betreffenden Scheidungs- und Unterhaltsverfahren als „erheblichen Verfahrensmangel“ die Unterlassung der amtswegigen Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Psychiatrie „zur Feststellung, ob die sexuellen Übergriffe tatsächlich stattfanden“, geltend. Dabei verkennt er, dass (vermeintliche) Mängel der Sachverhaltsermittlung nur mit der - hier nicht aufgestellten - Behauptung gerügt werden können, dass der Beschwerdeführer an einer darauf abzielenden Antragstellung gehindert war (RIS-Justiz RS0115823; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 457 und 480).

Soweit mit dem „unter Verweis auf die bisherigen Ausführungen“ erhobenen Einwand der „Aktenwidrigkeit“ (Z 5 fünfter Fall) zufolge unterlassener Berücksichtigung von Aussagen der Zeuginnen Renate W***** und Renate B***** im Scheidungsverfahren Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) angesprochen wird (vgl dazu RIS-Justiz RS0099547, RS0118316), verfehlt die Beschwerde schon mangels Bezugnahme auf konkrete Feststellungen entscheidender Tatsachen, die mit dem behaupteten Begründungsmangel behaftet sein sollen, erneut die Ausrichtung am Verfahrensrecht (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO).

Zudem werden nach Ansicht des Beschwerdeführers im Ersturteil zu Unrecht nicht erörterte Angaben des Tatopfers Renate B***** gar nicht bezeichnet, während die angesprochenen Passagen aus der - in der Hauptverhandlung verlesenen (ON 22 S 13, ON 24 S 17 f und 21 f) - Aussage der Zeugin Renate W***** in dem beim Bezirksgericht Zistersdorf zum AZ 4 C 622/09v geführten Verfahren (ON 28 im angeschlossenen Akt des Bezirksgerichts Zistersdorf) dem festgestellten, § 206 Abs 1, § 207 Abs 1, § 212 Abs 1 Z 1 StGB subsumierbaren Geschehen nicht erörterungsbedürftig entgegenstehen (vgl RIS-Justiz RS0098646). Unter dem Aspekt solcherart unternommener Infragestellung der Glaubwürdigkeit dieser Zeugin aber wird keine entscheidende Tatsache angesprochen. Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit stellen nichts anderes als eine erhebliche Tatsache dar, deren sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung in Frage zu stellen, auf eine Bekämpfung der Beweiswürdigung hinausläuft (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431 f mwN; RIS-Justiz RS0120109).

Davon abgesehen haben die Tatrichter die vom Angeklagten in Bezug auf das Scheidungsverfahren aufgeworfene Frage möglicher Falschbezichtigung durch das Tatopfer ohnehin in ihre Überlegungen einbezogen (US 7 ff), ebenso die lange Zeitspanne bis zur Anzeigeerstattung, aber auch das Verhalten der Renate W***** nach Kenntnisnahme der Missbrauchsvorwürfe, im weiteren Verlauf der Ehe und im Scheidungsverfahren selbst (US 11 f), im Zuge dessen die Anschuldigungen erstmals gegenüber Behörden erhoben wurden (US 6 ff). Mit Blick auf das Gebot der gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) war das Schöffengericht bloß gehalten, die Verfahrensergebnisse nach einer Gesamtschau auf das Wesentliche beschränkt darzulegen, nicht aber, sich mit jedem Aussagedetail der den Denkgesetzen nicht widersprechend für glaubwürdig befundenen (US 11 ff) Zeugin W***** auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0106642).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bleibt anzumerken, dass die strafbare Handlung des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB von jener des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB nur dann als typische Begleittat infolge Scheinkonkurrenz (Konsumtion) verdrängt wird, wenn diese strafbaren Handlungen sowohl zeitlich als auch derart in Verbindung stehen, dass der Vorsatz des Täters von Anfang an auf Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung mit dem unmündigen Opfer gerichtet war (vgl Philipp in WK² StGB § 207 Rz 25; Fabrizy StGB9 § 207 Rz 10; vgl auch RIS-Justiz RS0115643, RS0090814, RS0090888), wofür das Urteil keinen Anhaltspunkt bietet. Die Entscheidungsgründe bringen vielmehr - bei gebotener Gesamtbetrachtung - mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, dass keineswegs alle - erst im Laufe der Zeit an Häufigkeit, Intensität und Dauer gesteigerten - von I/2 erfassten („vielfachen“) Übergriffe ein einheitliches Tatgeschehen im Zusammenhang mit bereits von I/1 erfassten („mehreren“) schweren Missbrauchshandlungen betreffen. Mit Blick auf die Schuldsprüche wegen einer unbestimmten Anzahl gleichartiger, § 206 Abs 1 StGB (I/1) und § 207 Abs 1 StGB (I/2) subsumierter Taten (sog gleichartige Verbrechensmenge; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 21, 33, 291 f), würde hinwieder selbst der Wegfall der Täterschaft hinsichtlich einzelner Taten, mit anderen Worten eine Reduktion der - vorliegend gar nicht konkret bestimmten - Anzahl der deliktischen Übergriffe, weder einen Schuldspruch noch die Subsumtion einer begangenen Tat in Frage stellen (RIS-Justiz RS0116736).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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