European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0070NC00004.13T.0227.000
Spruch:
Als zuständiges Gericht wird das Handelsgericht Wien bestimmt.
Begründung
Der Kläger beabsichtigt, die Beklagte (infolge „kompletten Lieferausfalls“ eines von ihm entworfenen, von der Beklagten in Serienproduktion herzustellenden Modellflugzeugs) auf (Rück-)Zahlung aller Akonti und frustrierten Lagerkosten (insgesamt 23.330,05 EUR) in Anspruch zu nehmen.
Nach den Behauptungen im Ordinationsantrag ist der Kläger österreichischer Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz im Inland; die Beklagte ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach chinesischem Recht, die ihren Sitz in der Volksrepublik China hat. Die Prozessführung vor einem chinesischen Volksgericht, wo die für eine internationale Betreibung vergleichsweise geringe Forderung gegen die Beklagte ‑ mangels Gerichtsstands‑ oder Schiedsvereinbarung zwischen den Parteien ‑ geltend zu machen wäre, sei im konkreten Fall angesichts der (dem Antrag angeschlossenen) „Warnung“ der WKO unzumutbar (iSd § 28 Abs 1 Z 2 JN). Demnach seien solche Verfahren zeit- und kostenintensiv, weshalb sie nur bei großem Streitwert in Betracht gezogen werden sollten, und es werde auch von der Wahl chinesischer ordentlicher Gerichte abgeraten, weil die Verfahren häufig lange dauerten und die Urteile nach wie vor „unberechenbar“ seien. Die Beklagte beliefere den Europäischen Raum laufend mit Waren und der Kläger habe die Absicht, nach Vorliegen des Exekutionstitels gegen die Beklagte in Österreich und anderen europäischen Staaten auf unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Waren und auf Kaufpreisansprüche der Beklagten Exekution zu führen. Er habe gegen die Bestimmung des Handelsgerichts Wien keinen Einwand.
Der Ordinationsantrag ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 28 Abs 1 JN kann ein Gericht für eine Rechtssache nur dann als örtlich zuständig bestimmt werden, wenn für diese Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts im Sinn der Zivilprozessordnung oder einer anderen maßgeblichen Rechtsvorschrift nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind (RIS‑Justiz RS0108569; 7 Nc 11/11v). Davon ist hier nach den Antragsbehauptungen auszugehen.
Die begehrte Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN setzt außerdem voraus, dass der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland „ nicht möglich oder unzumutbar wäre “. Gemäß § 28 Abs 4 zweiter Satz JN hat der Kläger in streitigen bürgerlichen Rechtssachen das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs 1 Z 2 oder 3 JN zu behaupten und zu bescheinigen. § 28 Abs 1 Z 2 JN soll die Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines Gerichtsstands im Inland ein Bedürfnis nach Gewährung inländischen Rechtsschutzes vorhanden ist, weil ein Naheverhältnis zum Inland besteht und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland nicht gegeben ist ( Matscher in Fasching ² I § 28 JN Rz 40). In diesen Fällen wird die internationale Zuständigkeit Österreichs durch Eröffnung einer Notkompetenz tatsächlich erweitert, um dem Kläger überhaupt Rechtsschutz zu gewähren ( Kodek/Mayr , Zivilprozessrecht [2011] Rz 138; Rechberger/Simotta , Zivilprozessrecht 8 [2010] Rz 89 mwN).
Der Kläger erfüllt die erste der beiden von § 28 Abs 1 Z 2 JN aufgestellten Voraussetzungen (Naheverhältnis zum Inland) im Hinblick auf seine Staatsangehörigkeit und seinen Wohnsitz in Österreich ( Matscher aaO Rz 46).
Was die zweite Voraussetzung (nämlich die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im konkurrierenden Ausland „ im Einzelfall “) betrifft, ist zunächst die ständige Rechtsprechung zu berücksichtigen, wonach etwa eine unterschiedliche Ausgestaltung der materiellen Rechtslage allein für eine Ordination nicht ausreichen kann (RIS‑Justiz RS0117751; 10 Nc 19/05h mwN; 7 Nc 21/10p).
Unzumutbarkeit wird von der Rechtsprechung jedoch dann bejaht, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt würde (allerdings unter der weiteren Voraussetzung, dass überhaupt eine Exekutionsführung im Inland geplant ist), ferner dann, wenn eine dringend benötigte Entscheidung im Ausland nicht rechtzeitig erwirkt werden könnte, wenn eine überlange Verfahrensdauer drohte oder wenn eine Prozessführung im Ausland wenigstens eine Partei einer politischen Verfolgung aussetzen würde; während das Prozesskostenargument nur in Ausnahmefällen ‑ etwa weil dem Kläger im Unterschied zur österreichischen Rechtslage keine Befreiung von den Gerichtsgebühren gewährt würde und er darauf angewiesen wäre ‑ geeignet ist, einen Ordinationsantrag zu begründen (RIS‑Justiz RS0046148 [T10] = 8 Nc 25/06b).
Die Kostenfrage stellt sich nämlich bei Distanzprozessen für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen und geht daher zu Lasten des Klägers (RIS‑Justiz RS0046420 [T1, T2, T6, T8 und T11]; 7 Nc 21/10p mwN; vgl jedoch RS0046420 [T4 und T5] = 2 Nc 11/04x und 2 Nc 13/04s [zur Klageführung in Japan : angesichts hoher Prozesskosten und im Hinblick auf die unterschiedlichen finanziellen Verhältnisse der Beteiligten unzumutbar]).
Was nun den vorliegenden Ordinationsantrag betrifft, sprechen neben den vom Kläger aufgezeigten besonderen Umständen dieses Einzelfalls noch folgende allgemeine Überlegungen dafür, auch hier ausnahmsweise inländischen Rechtsschutz zu gewähren:
§ 28 Abs 1 Z 2 JN wurde mit der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1997 (BGBl I 1997/140) leicht verändert. Ziel der Neuformulierung war nach den Gesetzesmaterialien (RV 898 BlgNR 20. GP 33 f) unter anderem eine Lockerung des von der Rechtsprechung gelegentlich zu restriktiv gehandhabten Erfordernisses der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer Rechtsverfolgung im Ausland durch die Einfügung der Wendung „ im Einzelfall “, durch welche die Rechtsprechung auf eine größere Bedachtnahme auf die Einzelfallgerechtigkeit hingewiesen wurde. Außerdem sollte auch die Kostspieligkeit einer Prozessführung im Ausland noch stärker berücksichtigt werden als zuvor (RIS-Justiz RS0046420 [T12] = 7 Nc 21/10p; 10 Nc 19/05h; Matscher in Fasching ² I § 28 JN Rz 41 und 67).
Nach diesen Grundsätzen muss die zeitintensive und (im Verhältnis zum Streitwert) zweifellos auch sehr kostspielige Rechtsverfolgung im weit entfernten Sitzstaat der Beklagten (China) für den Kläger als unzumutbar angesehen werden (in diesem Sinn bereits 7 Ob 21/10p [dort: Dubai, VAE]). Ausgehend von der dazu vorweg erklärten Zustimmung des Klägers und vom Streitwert ist das Handelsgericht Wien zu ordinieren.
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