OGH 2Ob216/12x

OGH2Ob216/12x21.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** KEG, *****, vertreten durch Dr. Hanspeter Egger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Leopold Boyer, Rechtsanwalt in Zistersdorf, wegen 7.175,25 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 16. August 2012, GZ 36 R 182/12z‑30, womit das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 28. März 2012, GZ 29 C 286/11f‑26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00216.12X.0221.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 5. 12. 2009 gegen 1:35 Uhr ereignete sich in Wien 14, Auhofcenter, ein Verkehrsunfall zwischen einem von der klagenden Partei gehaltenen und einem bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKW.

Die Unfallstelle liegt im Gebiet eines Privatparkplatzes mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 10 km/h. Es gilt die StVO. Die Zufahrtsstraße, auf der sich das Fahrzeug der klagenden Partei befand, ist in beide Richtungen befahrbar, sie dient auch als Zu‑ und Abfahrt zu einer öffentlich zugänglichen Diskothek und führt letztlich zur Albert‑Schweitzer‑Gasse.

Die Zu‑ und Abfahrtsflächen zu den individuell markierten, überbauten Parkplätzen, von denen das bei der beklagten Partei haftpflichtversicherte Fahrzeug kam, sind durch Richtungspfeile als jeweilige Einbahnen gekennzeichnet. Die überdachten Garagenplätze sind seitlich nicht durch durchgehende Mauern, sondern lediglich durch Säulen, auf denen das darüber befindliche Gebäude ruht, von der Zufahrtsstraße abgegrenzt. Es bestehen auch gekennzeichnete Parkplätze außerhalb des überbauten Bereichs.

Der Lenker des Klagsfahrzeugs näherte sich der Unfallstelle in Richtung Adalbert‑Schweitzer‑Gasse fahrend ursprünglich mit ca 10 bis 15 km/h, verlangsamte dann seine Geschwindigkeit und sah das beleuchtete gegnerische Fahrzeug noch innerhalb der „Parkdeckausfahrt“. Dieses befand sich im Stillstand. Der Lenker des Klagsfahrzeugs beschleunigte daraufhin sein Fahrzeug, um seine Fahrt fortzusetzen. Plötzlich setzte sich auch das Beklagtenfahrzeug in Bewegung. Der Lenker hatte die Absicht, nach rechts in die vom Klagsfahrzeug benutzte Zufahrtsstraße, also ebenfalls Richtung Adalbert‑Schweitzer‑Gasse, einzubiegen. Der Lenker des Beklagtenfahrzeugs hatte im Bereich der Ausfahrt eine freie Sichtstrecke nach links von etwa 40 m, er hätte daher das von links herannahende Klagsfahrzeug sehen müssen. Dennoch kam es zur Kollision zwischen der linken Frontecke des Beklagtenfahrzeugs mit der rechten hinteren Seite des Klagsfahrzeugs auf Höhe des Hinterrades.

Die klagende Partei begehrt Schadenersatz mit der Begründung, das gegnerische Fahrzeug sei mit überhöhter Geschwindigkeit aus einem Parkdeck (Garagenausfahrt) ausgefahren und dabei mit dem im bevorrangten Fließverkehr die Ausfahrt gerade passierenden Fahrzeug der klagenden Partei kollidiert. Der Lenker des gegnerischen Fahrzeugs könne den Rechtsvorrang nicht in Anspruch nehmen, weil der Bereich, aus welchem er in die Ausfahrtsstraße eingebogen sei, eindeutiges Merkmal einer Haus‑ und Grundstückseinfahrt (Garagenausfahrt) habe.

Die beklagte Partei wendete ein, der Unfall habe sich auf einem Parkplatz abgespielt, die Verkehrsflächen seien nicht unterschiedlich ausgestaltet, sodass der Rechtsvorrang gelte, der dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeug zugekommen sei. Der Lenker des Fahrzeugs der klagenden Partei habe eine relativ überhöhte Geschwindigkeit eingehalten, verspätet reagiert bzw einen Aufmerksamkeitsfehler begangen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Das Beklagtenfahrzeug habe gemäß § 19 Abs 6 StVO den Vorrang des Klagsfahrzeugs wahren müssen. Die überdachte und mit Säulen von der Zufahrtsstraße abgegrenzte Parkfläche sei in Relation zur Zufahrtsstraße als untergeordnete Verkehrsfläche zu qualifizieren. Eine Gleichrangigkeit bestünde nur dann, wenn die Zufahrtsstraße einzig und allein der Zufahrt zu den Garagenplätzen diente, dies sei aber nicht der Fall.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sei von einem räumlich abgegrenzten Parkdeck auszugehen, dessen Ausfahrt einer solchen aus einer Parkgarage gleichzusetzen sei.

Die Revision sei zuzulassen, weil in Bezug auf die Unfallstelle eine unterschiedliche Rechtsprechung zweier Senate des Berufungsgerichts vorliege und eine Klärung der Rechtsfrage durch den Obersten Gerichtshof im Sinne der Rechtssicherheit erforderlich erscheine.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren abzuweisen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei begehrt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick auf die einander widersprechenden Entscheidungen zweier Senate des Berufungsgerichts zur selben Unfallstelle zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Grundsätzlich kommt es für die Beurteilung der Frage, ob eine Verkehrsfläche nach § 19 Abs 6 StVO benachrangt ist, auf die konkreten Umstände an (RIS‑Justiz RS0074506).

Diese Beurteilung ist nach objektiven Kriterien vorzunehmen. Bei der Lösung dieser Frage kommt es daher nicht auf die jeweilige subjektive Betrachtungsweise der beteiligten Lenker, auf ihre besondere Ortskenntnis, sondern darauf an, ob sich die betreffende Verkehrsfläche in der gesamten Anlage deutlich von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheidet (RIS‑Justiz RS0074490).

2. Auf den Abfahrten und Zufahrten innerhalb eines Parkplatzes findet grundsätzlich die Rechtsregel des § 19 Abs 1 StVO Anwendung, dieser Grundsatz hindert aber nicht, dass bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen bestimmte Verkehrsflächen auch innerhalb eines Parkplatzes gegenüber anderen als untergeordnet iSd § 19 Abs 6 StVO zu werten sind. Im Zweifel ist jedoch der Rechtsvorrang anzunehmen (RIS‑Justiz RS0074359 [T3]).

Zwei der Zufahrt und Abfahrt dienende Verkehrsflächen innerhalb eines Parkplatzes können aber dann im Verhältnis des § 19 Abs 6 StVO zueinander stehen, wenn eine solche Vorrangsregelung in einer für die Verkehrsteilnehmer klar und eindeutig erkennbaren Weise zum Ausdruck kommt, sei es durch vorhandene Verkehrszeichen, durch die unterschiedliche Ausgestaltung der betreffenden Verkehrsflächen oder durch Bodenmarkierungen (RIS‑Justiz RS0074509). Die ‑ soweit überblickbar ‑ bisher vom Obersten Gerichtshof in diesem Zusammenhang entschiedenen Konstellationen betrafen entweder Vorfälle innerhalb von Garagen (2 Ob 277/71 = ZVR 1973/79) bzw auf der lediglich der Zufahrt zu einer Garage dienenden Verkehrsfläche (8 Ob 173/80 = ZVR 1981/228) oder Unfälle auf größeren Parkplätzen, zwischen Fahrzeugen, die Zufahrtsstraßen zum jeweiligen Parkplatz benutzten, und solchen, die aus zwischen den einzeln markierten Parkplätzen befindlichen Verkehrsflächen kamen (8 Ob 35/83 = ZVR 1984/262, 2 Ob 126/89 = ZVR 1990/146, 2 Ob 364/99i, 2 Ob 235/04d, 2 Ob 28/09w).

3. Eine Konstellation, in der wie hier die Parkplätze großteils aber nicht nur unter einem auf Säulen ruhenden Gebäude liegen, die Zufahrtsstraße dagegen um den Parkplatz ‑ und damit auch um das darüber liegende Gebäude führt ‑ war dagegen bislang nicht zu entscheiden.

Der erkennende Senat ist unter Berücksichtigung der Besonderheit der Unfallörtlichkeit der Ansicht, dass nach objektiven Kriterien eine unterschiedliche Ausgestaltung der betreffenden Verkehrsflächen im Sinne RIS‑Justiz RS0074509 zu bejahen ist. Die unter dem gedeckten Bereich des Parkplatzes liegende, vom bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Fahrzeug benutzte Ausfahrt von den Parkplätzen macht bei objektiver Betrachtung für einen Verkehrsteilnehmer im Vergleich zu der „im Freien“ liegenden Zufahrtsstraße den Eindruck einer Garagenausfahrt, auch wenn der überbaute Parkbereich keine Seitenwände hat. Durch die bauliche Gestaltung der Säulen mit dem darüber liegenden Gebäude wird dennoch der Eindruck einer räumlichen Abgrenzung dieses Teils des Parkplatzes von der Zufahrtsstraße erweckt.

Es hat daher bei der Entscheidung der Vorinstanzen zu bleiben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO.

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