OGH 15Os136/12g

OGH15Os136/12g21.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. November 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Scheickl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hartwig G***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl I 1974/60 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 19. Juli 2012, GZ 40 Hv 8/12b-39, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hartwig G***** des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl I 1974/60 und der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (I) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 und Z 2 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er von 1994 bis 2. August 1998 in Lustenau

(I) die am 27. März 1986 geborene Melina R*****, somit eine unmündige Person, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er sie in zahlreichen Angriffen teils ober-, teils unterhalb der Kleidung an der sich im Laufe der Jahre entwickelnden Brust und an der Scheide streichelte, ihr einen Finger in die Scheide einführte, dort längere Zeit verharrte und Stoßbewegungen vollzog sowie zumindest einmal ihre Hand ergriff und auf seinen bekleideten Penis legte, wobei diese Taten eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich psychische Belastungsstörungen mit Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, sohin eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung, zur Folge hatten;

(II) durch die zu (I) geschilderten Tathandlungen mit seiner minderjährigen, seiner Aufsicht unterstehenden, Enkelin unter Ausnützung dieser Stellung geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, und 5a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags des Beschwerdeführers auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass die Zeugin Melina R***** „nicht fähig“ sei, „sämtliche Wahrnehmungen gedächtnisgetreu wiederzugeben“ (ON 38 S 21 f), Verteidigungsrechte nicht geschmälert. Die Hilfestellung eines Sachverständigen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen kommt nämlich nur ausnahmsweise bei Vorliegen von - durch Beweisergebnisse aktenmäßig belegten - Anhaltspunkten für solche psychische Störungen in Betracht, die entweder erheblich sind und dem Grad des § 11 StGB nahekommen oder gegen die allgemeine Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit oder die Aussageehrlichkeit dieses Zeugen schlechthin sprechen (RIS-Justiz RS0097733, RS0120634; Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 8). Dafür bietet aber das zur Begründung des Antrags (allein) herangezogene Kalkül des mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage des Vorliegens psychischer Tatfolgen befassten medizinischen Sachverständigen aus dem Fach der Psychiatrie und Neurologie, wonach eine solche bei der tatbetroffenen Zeugin in Gestalt einer - als leicht bis mittelschwer charakterisierten - Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ eingetreten sei (ON 27 S 29), gerade keine ausreichenden Hinweise. War doch dieser - zum Zeitpunkt der Exploration zudem weitgehend abgeklungene (ON 27 S 17 und S 27 unten) - Zustand nach den gutachtlichen Ausführungen (lediglich) durch emotionale Instabilität sowie eine Störung des eigenen Selbstbildes, der inneren Präferenzen und der Körperempfindungen gekennzeichnet (ON 27 S 27), weshalb das „paranoide Vorstellungen, Halluzinationen, depersonalisierende[n] Dämmerzustand, Denkstörungen, Zwangsgedanken, Kontrollverlust und emotionsgeladene Abspaltung“ - wodurch die Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit der Zeugin womöglich hätte leiden können - mutmaßende Antragsvorbringen (ON 38 S 21 f) auf im Stadium der Hauptverhandlung unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 f).

Im Übrigen hat es der Antragsteller verabsäumt, darzulegen, warum anzunehmen sei, dass sich die - zur Mitwirkung an einer entsprechenden Befundaufnahme nicht verpflichtete - Zeugin hierzu bereitfinden würde (RIS-Justiz RS0118956; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350).

Das den Beweisantrag ergänzende Beschwerdevorbringen unterliegt dem sich aus dem Wesen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbot und hat daher auf sich zu beruhen (RIS-Justiz RS0099618, RS0099117; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Dem gegen die Überzeugungskraft der Aussage der Melina R***** gerichteten Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider haben die Tatrichter geringfügig voneinander abweichende Depositionen des Opfers - entsprechend dem Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) - gar wohl erwogen und dargelegt, weshalb sie dennoch sowie trotz der Schwierigkeiten dieser Zeugin, die vom Schuldspruch erfassten Taten zeitlich einzuordnen und deren Häufigkeit zu benennen, an ihrer Glaubwürdigkeit keine Zweifel hatten (US 6 f). Davon abgesehen besteht zwischen den von der Mängelrüge hervorgehobenen Angaben der Genannten, zu den Übergriffen des Angeklagten sei es (nicht zur Nachtzeit, sondern) „immer unter Tags“ gekommen (ON 10 S 17 verso) und, dieser sei „so um 5:00 Uhr, 6:00 Uhr“ abends nachhause gekommen (ON 10 S 43 verso), sowie zwischen ihrer Aussage, solche Übergriffe hätten „vermehrt in den Sommerferien“ stattgefunden (ON 10 S 45) und der Einlassung des Angeklagten, er habe „immer im September Urlaub gemacht“ (ON 38 S 21), sinnfällig kein erörterungsbedürftiger Widerspruch.

Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) lediglich die - vom Erstgericht als „mit Unterbrechungen beinahe wöchentlich“ zwei bis drei Mal angenommene (US 3 unten) - Häufigkeit der Übergriffe des Angeklagten in Frage stellt, spricht sie - angesichts der urteilsmäßigen Zusammenfassung einer unbestimmten Zahl nur pauschal individualisierter gleichartiger Taten (RIS-Justiz RS0116736, RS0119552; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 33 und 406) - keine entscheidenden Tatsachen an und verfehlt solcherart den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Bleibt anzumerken, dass bei der nach dem zweiten Satz des § 61 StGB vorzunehmenden Prüfung, ob die Gesetze, die im Tatzeitpunkt gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren als die jeweils aktuellen, eine Kombination aus den in Rede stehenden Rechtsschichten unzulässig ist, sodass auch im Fall der Idealkonkurrenz - wie hier - der zu beurteilende Lebenssachverhalt nach Maßgabe des § 61 zweiter Satz StGB entweder dem Urteilszeit- oder dem Tatzeitrecht zu unterstellen ist (RIS-Justiz RS0119085 [T6]). Die vom Schuldspruch II erfassten Taten wären daher - angesichts deren zutreffender Subsumtion nach der gegenüber dem Urteilszeitrecht günstigeren Bestimmung des § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 zu Schuldspruch I - dem § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 zu subsumieren gewesen. Mangels konkreten Nachteils für den Angeklagten bot dies jedoch keinen Anlass für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO.

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