OGH 15Os125/12i

OGH15Os125/12i17.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Oktober 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ashraf A***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 49 U 190/08g des Bezirksgerichts Favoriten, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse dieses Gerichts vom 30. Dezember 2010 und 25. Jänner 2011, GZ 49 U 190/08g-61 und 63, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Brenner, des Verurteilten sowie seines Verteidigers, Dr. Binder, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 49 U 190/08g des Bezirksgerichts Favoriten, verletzen

1./ der Beschluss vom 30. Dezember 2010

a./ soweit damit in nachträglicher Milderung der Strafe nach § 31a StGB der Vollzug der mit den Urteilen des Bezirksgerichts Liesing vom 10. Februar 2005, GZ 8 U 84/03f-26, sowie des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 12. März 2007, GZ 31 U 299/05f-30, verhängten Freiheitsstrafen bedingt nachgesehen wurde, § 410 Abs 1 StPO

b./ im Unterlassen der Bestimmung einer Probezeit § 43 Abs 1 StGB;

2./ der Beschluss vom 25. Jänner 2011 den sich aus dem 16. Hauptstück der StPO ergebenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft. Dieser Beschluss wird ersatzlos aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichts Liesing vom 10. Februar 2005, GZ 8 U 84/03f-26, wurde Ashraf A***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Wochen verurteilt.

Am 12. März 2007 erfolgte mit Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus, GZ 31 U 299/05f-30, eine weitere Verurteilung des Genannten wegen der Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten. Unter einem sah das Gericht vom Widerruf der mit obigem Urteil des Bezirksgerichts Liesing gewährten bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre ab.

In der Folge wurde Ashraf A***** mit Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 24. September 2007, GZ 13 U 276/07v-7, wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt. Unter einem fasste das Gericht den Beschluss, vom Widerruf der mit den Urteilen des Bezirksgerichts Liesing vom 10. Februar 2005, GZ 8 U 84/03f-26, und des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 12. März 2007, GZ 31 U 299/05f-30, gewährten bedingten Strafnachsichten abzusehen und zur Verurteilung des Bezirksgerichts Fünfhaus die Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern.

Letztlich erfolgte mit Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 2. Juli 2009, GZ 49 U 190/08g-38, eine Verurteilung des Ashraf A***** wegen der Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB, des Betrugs nach § 146 StGB und der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Wochen. Unter einem widerrief das Gericht die bedingten Strafnachsichten zu GZ 8 U 84/03f-26 des Bezirksgerichts Liesing und zu GZ 31 U 299/05f-30 des Bezirksgerichts Fünfhaus und sah vom Widerruf der zu GZ 13 U 276/07v-7 des Bezirksgerichts Fünfhaus gewährten bedingten Strafnachsicht ab.

Mit Beschluss vom 30. Dezember 2010, GZ 49 U 190/08g-61, sah das Bezirksgericht Favoriten über Antrag des Verurteilten (ON 54) den Vollzug der mit Urteil des genannten Gerichts vom 2. Juli 2009 (ON 38), mit Urteil des Bezirksgerichts Liesing vom 10. Februar 2005, GZ 8 U 84/03f-26, und mit Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 12. März 2007, GZ 31 U 299/05f-30, verhängten, teilweise nachträglich widerrufenen Freiheitsstrafen, jeweils in nachträglicher Milderung gemäß § 31a StGB bedingt nach (§ 43 Abs 1 StGB). Eine Probezeit wurde nicht festgesetzt.

Diese dem Verurteilten sowie der Staatsanwaltschaft am 4. Jänner 2011 zugestellte (ON 61 S 3), unangefochten in Rechtskraft erwachsene Entscheidung wurde mit Beschluss desselben Gerichts vom 25. Jänner 2011 (ON 63), „ergänzt“, und „die Probezeit (…) mit drei Jahren festgesetzt“. Auch dieser Beschluss blieb unbekämpft und ist seit 12. Februar 2011 rechtskräftig.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschlüsse des Bezirksgerichts Favoriten vom 30. Dezember 2010, GZ 49 U 190/08g-61, und vom 25. Jänner 2011, GZ 49 U 190/08g-63, stehen - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1./ Zur Entscheidung über die nachträgliche Strafmilderung nach § 31a Abs 1 StGB ist gemäß § 410 Abs 1 StPO das Gericht zuständig, das in erster Instanz erkannt hat. Die Entscheidungskompetenz kommt auch dann (ungeteilt) dem Gericht zu, das die allenfalls zu mildernde Sanktion (ursprünglich) ausgesprochen hat, wenn eine zunächst gewährte bedingte Strafnachsicht später von einem anderen Gericht widerrufen worden ist (Lässig, WK-StPO § 410 Rz 4; RIS-Justiz RS0112525).

Mit dem Beschluss vom 30. Dezember 2010 hat das Bezirksgericht Favoriten nicht nur - insoweit zuständig - die von ihm selbst mit Urteil vom 2. Juli 2009, GZ 49 U 190/08g-38, verhängte Freiheitsstrafe, sondern auch die vom Bezirksgericht Liesing mit Urteil vom 10. Februar 2005, GZ 8 U 84/03f-26, und die vom Bezirksgericht Fünfhaus mit Urteil vom 12. März 2007, GZ 31 U 299/05f-30, verhängten Freiheitsstrafen, deren (ursprünglich) bedingte Strafnachsicht es widerrufen hatte, gemäß § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehen, obwohl ihm in Ansehung der beiden letztgenannten Urteile keine Entscheidungskompetenz zukam.

Die bedingte Nachsicht einer Freiheitsstrafe nach § 43 Abs 1 StGB setzt zwingend die gleichzeitige Bestimmung einer Probezeit von zumindest einem und höchstens drei Jahren voraus (Jerabek in WK² § 43 Rz 26).

Da die vom Bezirksgericht Favoriten verabsäumte Festsetzung einer Probezeit seitens der Staatsanwaltschaft unbekämpft blieb, kommt der in Rechtskraft erwachsenen bedingten Nachsicht der Freiheitsstrafe ohne Bestimmung einer Probezeit die Wirkung einer endgültigen Strafnachsicht zu (SSt 2004/48; 11 Os 89/09m).

2./ Der „Ergänzung“ dieser bereits rechtskräftigen Entscheidung durch nachträgliche beschlussmäßige Festsetzung der Probezeit steht der sich aus dem 16. Hauptstück der StPO ergebende Grundsatz der materiellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen entgegen (11 Os 89/09m). Der am 25. Jänner 2011 ergangene Ergänzungsbeschluss ist wirkungslos (zur Sperrwirkung von Beschlüssen vgl Lewisch, WK-StPO Vor §§ 352-363 Rz 47 ff) und war zur Klarstellung zu beseitigen (RIS-Justiz RS0116267).

Die Gewährung der bedingten Strafnachsichten jeweils ohne Festsetzung einer Probezeit durch das teilweise unzuständige Gericht gereicht Ashraf A***** zum Vorteil, sodass es diesbezüglich mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden hat.

Stichworte