Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und Hermine S***** vom Vorwurf, sie habe „im Zeitraum vom 31. Jänner 1992 bis 8. November 2007 in T***** als Finanzreferentin (Gemeindekassierin), somit als Beamtin (§ 74 Abs 1 Z 4 StGB) ihre Befugnis, im Namen der Stadtgemeinde T***** als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich (§ 5 Abs 3 StGB) missbraucht, indem sie die ihr gemäß §§ 44 Abs 3, 85 Abs 1 der Steiermärkischen Gemeindeordnung (im Folgenden Stmk GemO), (bis 1. Februar 1999 gemäß §§ 84 Abs 1, 85 der Stmk GemO, LGBl Nr 115/1967), obliegende Kassengebarung und Rechnungsführung zu keinem Zeitpunkt wahrnahm und die Richtigkeit der von ihr nicht geprüften, der Bezirkshauptmannschaft L***** gemäß §§ 88 Abs 2 und 5, 82 der Stmk GemO (bis 1. Februar 1999 gemäß §§ 88 Abs 1 und 2, 82 der Stmk GemO, LGBl Nr 115/1967) vorzulegenden Rechnungsabschlüsse und vierteljährlichen Meldungen der Kontoüberziehungen der Stadtgemeinde T***** sowie Monats- und Tagesabschlüsse durch das Anbringen ihrer Unterschrift bestätigte, wobei sie mit dem Vorsatz handelte, die Stadtgemeinde T***** bzw deren Gemeinderat, das Land Steiermark bzw die Landesregierung und die Bezirkshauptmannschaft L***** in ihrem/seinem Recht auf Kontrolle der Finanzgebarung der Gemeinde T***** nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit nach den §§ 70 Abs 1 und 71 Abs 1 der Stmk GemO (bis 1. Februar 1999 gemäß § 71 Abs 1 der Stmk GemO, Landesgesetzblatt Nr. 115/1967) zu schädigen“, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hermine S***** wegen des nun vom Freispruch umfassten Sachverhalts des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.
Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen hatte Hermine S***** von 31. Jänner 1992 bis 8. November 2007 in der Stadtgemeinde T***** das Amt der Finanzreferentin (Gemeindekassierin) inne. In der Zeit habe die „diesbezüglichen operativen Amtsgeschäfte faktisch immer“ Friedrich W***** zunächst als „Kassenleiter bzw Finanzabteilungsleiter“ und ab Oktober 1997 entgegen § 84Stmk GemO ungeachtet seiner Funktion als Bürgermeister besorgt. Hermine S***** habe die ihr obliegende Kassengebarung und Rechnungsführung nicht wahrgenommen, nie die Richtigkeit der der Bezirkshauptmannschaft L***** vorzulegenden Jahresrechnungsabschlüsse, vierteljährlichen Meldungen der Kontoüberziehungen der Stadtgemeinde T***** und der mit diesen Kontoüberziehungsmeldungen unter einem vorgelegten Monats‑ oder Tagesabschlüsse geprüft und dennoch deren inhaltliche (vermeintliche) Richtigkeit durch das Anbringen ihrer Unterschrift „gleichsam blind“ bestätigt. Da sie mit der ihr „eigentlich obliegenden Kassengebarung bzw Rechnungsführung“ tatsächlich nicht befasst gewesen sei, wäre ihr eine Prüfung auch gar nicht möglich gewesen.
Die Jahresrechnungsabschlüsse seien in Anwesenheit der Angeklagten in der SPÖ‑Parteifraktion, im Gemeindevorstand und im Gemeinderat zumindest rudimentär behandelt worden, was in Betreff vierteljährlicher Kontoüberziehungsmeldungen und der der Bezirkshauptmannschaft L***** zugleich vorgelegten „Monats‑ bzw Tagesabschlüsse“ völlig unterblieben sei. Die rudimentäre Behandlung habe sich darauf beschränkt, dass Friedrich W***** die von ihm erstellten Jahresrechnungsabschlussentwürfe präsentierte und allfällige diesbezügliche Fragen kurz beantwortete. Eine Plausibilitätsprüfung sei in den Gremien nicht erfolgt. Erhob die Opposition oder der Prüfungsausschuss im Vorfeld oder während der Gemeinderatssitzungen Einwendungen oder wurde die Vorlage von Belegen und korrespondierenden Unterlagen gefordert, sei Friedrich W***** diesen Aufforderungen so gut wie nicht nachgekommen. Nach diesbezüglicher Antragstellung durch die Angeklagte sei die Annahme der Jahresrechnungsabschlüsse stets mit der von der SPÖ repräsentierten Mehrheit im Gemeinderat beschlossen worden. Dass die Rechnungsführung in der Stadtgemeinde T***** durch Friedrich W***** als Bürgermeister besorgt wurde, sei „auch in der Bezirkshauptmannschaft L***** bekannt“ gewesen, man habe dort jedoch nicht gewusst, dass die Angeklagte die Schriftstücke ohne vorangegangene inhaltliche Kontrolle oder Plausibilitätsprüfung „blind zu unterfertigen pflegte“.
Schließlich hielten die Tatrichter fest, es gebe keine Hinweise dafür, „dass die Angeklagte selbst jemals von einem Exponenten der Aufsichtsbehörde damit konfrontiert worden sei, dass die Wahrnehmung der operativen Finanz- und Rechnungsgebarung durch den Bürgermeister gemeindeordnungswidrig sei“.
Rechtliche Beurteilung
Treffend zeigt die Nichtigkeitsbeschwerde auf, dass dieser festgestellte Sachverhalt zu Unrecht dem Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1StGB unterstellt wurde (Z 9 lit a).
Kassen‑ und Buchführung obliegen dem Gemeindekassier, der zu entscheiden hat, ob er selbst dieses Amt ausübt oder (wegen des Umfangs der Gebarung; vgl § 39 Gemeindehaushaltsordnung 1977 [GHO 1977]) ein Gemeindebediensteter zur Verfügung gestellt werden soll (§ 85 Abs 1 Stmk GemO).
Hermine S***** übte nach den Feststellungen das Amt nicht selbst aus, sondern bediente sich während der gesamten Amtszeit eines „Kassenleiters bzw Finanzabteilungsleiters“ in der Person des Friedrich W*****, der „die diesbezüglichen operativen Amtsgeschäfte faktisch immer“ besorgte und auch entgegen § 84 Stmk GemO die „faktischen Agenden des Finanzreferenten selbst“ ausübte (US 5).
Zur Überprüfung, ob die Gebarung wirtschaftlich, zweckmäßig und sparsam geführt wird und den Gesetzen sowie sonstigen Vorschriften entspricht und ob der Rechnungsabschluss rechnerisch richtig ist und mit dem Voranschlag übereinstimmt, war aber nicht Hermine S*****, sondern der Prüfungsausschuss verpflichtet (§ 86 Stmk GemO, § 73 GHO 1977), dem sie als Mitglied des Gemeindevorstands (§ 18 Abs 1 Stmk GemO) gerade nicht angehören durfte (§ 86a Abs 2 Stmk GemO).
Sie hatte als Rechnungslegerin lediglich die Verpflichtung, den Rechnungsabschluss zeitgerecht ‑ in ihrem Fall (§ 85 Abs 1 zweiter Satz Stmk GemO) ‑ erstellen zu lassen, dem Gemeinderat zur Beratung und Beschlussfassung vorzulegen (§ 88 Abs 4 und 5 Stmk GemO) und den Rechnungsabschluss ‑ ebenso wie der Bürgermeister ‑ zu unterfertigen (§ 81 GHO 1977; vgl im Übrigen auch § 89 Abs 4 Stmk GemO über die Entlastung der Rechnungsleger mit Beschlussfassung des Rechnungsabschlusses durch den Gemeinderat).
Hätte Hermine S***** dem Bürgermeister aber ohne Befugnismissbrauch bei der Aufsichtsbehörde helfen wollen (vgl nämlich US 14), so läge auch darin kein Missbrauch der Amtsgewalt, so lange sie nicht diesem wissentlich half, seine Befugnis zu missbrauchen (§ 12 dritter Fall StGB), was die Tatrichter aber mit der Feststellung ausgeschlossen haben, dass Hermine S***** stets die „(vermeintliche)“ Richtigkeit bestätigte (US 7).
Davon abgesehen wurde der Aufsichtsbehörde gegenüber aber gar nichts vorgetäuscht. Die in § 81 GHO 1977 unter der Überschrift „Bescheinigung der Rechnungsabschlüsse“ vorgesehene Unterschrift des Gemeindekassiers entfaltete keine von der Rechtsordnung angesprochene Wirkung und stellte daher keine Ausübung einer (demnach nicht eingeräumten) Befugnis dar.
Dass Hermine S***** ihre Befugnis dadurch missbraucht hätte, dass sie (nach den Feststellungen mit Wissen der Aufsichtsbehörde und ohne Beanstandung durch diese) ab Oktober 1997 entgegen § 84 Stmk GemO (weiterhin) Friedrich W***** die „faktischen Agenden des Finanzreferenten“ überließ, wurde ihr aber ebenso wenig angelastet wie ein Verstoß gegen die sie als „Gemeindekassier“ nach § 85 oder § 88 Abs 4 und Abs 5 Stmk GemO treffenden Verpflichtungen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)