OGH 13Os81/12d

OGH13Os81/12d30.8.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. August 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Temper als Schriftführerin in der Strafsache gegen Muammer A***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 24. Jänner 2012, GZ 612 Hv 4/11x-177, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes und über die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, und des Verteidigers MMag. Dr. Arlamovsky, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 24. Jänner 2012, GZ 612 Hv 4/11x-177, verletzt in der den Angeklagten Muammer A***** betreffenden rechtlichen Unterstellung der Taten laut Schuldspruch A/1/a und b unter § 28a Abs 4 Z 3 SMG das Gesetz in dieser Bestimmung.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Schuldspruch A/1/a und b und demgemäß im gegen Muammer A***** ergangenen Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) ebenso wie der diesem Schuldspruch zugrunde liegende Wahrspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht für Strafsachen Wien als Geschworenengericht zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 24. Jänner 2012, GZ 612 Hv 4/11x-177, wurde Muammer A***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG (richtig - US 11 f: A/1/a und b) sowie mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG (B) schuldig erkannt.

Danach hat er (soweit hier von Relevanz) in Wien vorschriftswidrig

(A) Suchtgift „in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge“ anderen überlassen, und zwar

(1/a) in einverständlichem Zusammenwirken mit Manuela M***** von Oktober 2010 bis Anfang März 2011 Cannabis „in einer nicht mehr feststellbaren Menge, indem sie täglich zumindest 200 Gramm Cannabis mit zumindest durchschnittlichem Reinsubstanzgehalt von 1,42 % Delta-9-THC in '2 Turns' genannten Tranchen zu 2 x 50 Baggies zu je 2 Gramm“ gegen Entgelt an die im Spruch genannten Abnehmer „zum Grammpreis von 10 Euro und gegen eine Umsatzbeteiligung von zunächst 20 % ab September 2010 15 % überließen“ (Hauptfrage 1/aa);

(1/b) alleine

(aa) von Ende Juni 2010 bis September 2010 Cannabis „in einer insgesamt nicht mehr feststellbaren Menge“ an die in Punkt A/1/a bezeichneten Abnehmer (Hauptfrage 1/bb/aaa) und

(bb) von Ende Juni 2010 bis März 2011 „zumindest 210 Gramm Heroin, darin zumindest 6,3 Gramm Heroin Base Reinsubstanz“ an zwei im Urteil genannte Abnehmer als Entgelt für geleistete Dienste (Hauptfrage 1/bb/bbb).

Über die gegen den Strafausspruch erhobene Berufung der Staatsanwaltschaft (ON 193) hat das Oberlandesgericht Wien noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht das bezeichnete Urteil mit dem Gesetz nicht im Einklang.

In geschworenengerichtlichen Urteilen entspricht die von § 342 dritter Satz StPO verlangte Wiedergabe des Wahrspruchs, also der an die Geschworenen gestellten Fragen und deren Antworten hierauf, der in den Gründen eines schöffengerichtlichen Urteils (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) vorzunehmenden Feststellung der entscheidenden Tatsachen. Diese stellt das Korrelat zur rechtlichen Unterstellung nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO dar (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 613).

Zur Hauptfrage 1/aa wurde ein Verkauf von „täglich zumindest 200 Gramm Cannabis“ mit „zumindest durchschnittlichem“ Wirkstoffgehalt von 1,42 % über einen Tatzeitraum von „Oktober 2010 bis Anfang März 2011“ bzw auch „ab September 2010“ konstatiert, zur Hauptfrage 1/bb/aaa eine „insgesamt nicht mehr feststellbare“ Suchtgiftmenge und zur Hauptfrage 1/bb/bbb eine solche von „zumindest 200 Gramm Heroin, darin zumindest 6,3 Gramm“ Heroinbase (US 5). Da auch dem im Einleitungssatz zur ersten Hauptfrage verwendeten Gesetzesbegriff einer „das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge“ mit Blick auf die im Wahrspruch angegebenen „Mindestmengen“ der erforderliche Sachverhaltsbezug fehlt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 8), vermag der Oberste Gerichtshof nicht auszumachen, von welcher Suchtgiftmenge die Geschworenen in tatsächlicher Hinsicht ausgegangen sind. Dies hat zur Konsequenz, dass die entsprechenden Feststellungen als nicht getroffen anzusehen sind (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 570 f) und sich somit die Ansicht der Generalprokuratur, wonach die Annahme der Qualifikation nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG das Gesetz verletzt, als zutreffend erweist.

Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Angeklagten auswirken kann, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO) und mit Aufhebung des Schuldspruchs A/1/a und b, des Strafausspruchs sowie des diesem Schuldspruch zugrunde liegenden Wahrspruchs vorzugehen.

Im neuen Rechtsgang ist gegebenenfalls zu berücksichtigen, dass die Pflicht zu anklagekonformen Hauptfragen keineswegs eine solche zu deren unkritischer Übernahme aus dem (hier: in der Hauptverhandlung modifizierten [ON 176 S 50 ff]) Anklagesatz (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) ohne Ergänzung um für die vom Ankläger angestrebte Subsumtion erforderliche Sachverhaltselemente beinhaltet (RIS-Justiz RS0123131; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 47 ff; Fabrizy, StPO11 § 312 Rz 2).

Überdies wird zu beachten sein, dass gemäß §§ 271 Abs 1 Z 7, 343 Abs 1 StPO der Urteilsspruch mit den in § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO bezeichneten Angaben in das Protokoll über die Hauptverhandlung aufzunehmen ist. Die bloße Wiedergabe der Strafaussprüche (vgl ON 176 S 117 ff) genügt diesem Erfordernis nicht.

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