OGH 7Ob95/12i

OGH7Ob95/12i28.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumülller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H***** H*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. J***** H*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Lirk und andere Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei U*****versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien, wegen 13.468 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. März 2012, GZ 3 R 6/12t‑24, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 25. November 2011, GZ 43 Cg 11/11g‑20, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 906,48 EUR (darin enthalten 151,08 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Frage der Auslegung des Begriffs „Freizeitunfall“ vor dem Hintergrund des Art 6 der vereinbarten Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung, U 900 (kurz: AUVB 1999), höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle und der Beantwortung dieser Frage im Hinblick auf die Vielzahl potentiell betroffener Versicherungsverhältnisse über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914, 915 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS‑Justiz RS0050063; RS0112256 [T10]). Es findet deshalb auch die Unklarheitenregel des § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen daher zu Lasten der Partei, von der die diesbezüglichen Formulierungen stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS‑Justiz RS0050063 [T3]). Die Klauseln sind, wenn sie ‑ wie hier ‑ nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS‑Justiz RS0008901 uva).

Zwar ist die Auslegung von Versicherungsbedingungen, zu denen nicht bereits oberstgerichtliche Judikatur existiert, im Hinblick darauf, dass sie in aller Regel einen größeren Personenkreis betreffen, grundsätzlich revisibel. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung allerdings nicht, wenn der Wortlaut der betreffenden Bestimmung so eindeutig ist, dass keine Auslegungszweifel verbleiben können (7 Ob 42/11v mwN). Dies trifft auf den zwischen dem Kläger als Alpenvereins‑Mitglied und dem beklagten Versicherer abgeschlossenen Unfallversicherungsvertrag zu, dem die AUVB 1999 zu Grunde liegen und der dem Kläger weltweiten Versicherungsschutz „in der Freizeit“ bis Jahresende 2008 bot.

2. Am 8. 2. 2008 versuchte ein (namentlich genannter) Täter, den Kläger vorsätzlich zu töten, indem er eine mit Strychnin präparierte Praline gemeinsam mit einer Grußkarte auf dem Pkw des Klägers deponierte, die der Kläger am 9. 2. 2008 nach dem Frühstück in seinem Wohnhaus aß. Daraufhin erlitt er einen Herzstillstand, der zu einer Unterversorgung seines Gehirns mit Sauerstoff führte. Der Kläger befindet sich seither in einem wachkomaartigen Zustand, wird künstlich ernährt und ist rund um die Uhr auf ständige Pflege angewiesen. Der Grad seiner Dauerinvalidität beträgt 100 %.

Die Parteien ziehen zu Recht nicht in Zweifel, dass dieser Vorfall als Unfall im Sinn des Art 6 AUVB 1999 anzusehen ist. Nach Art 6 Z 2 AUVB 1999 gilt nämlich als Unfall unter anderem auch folgendes vom Willen des Versicherten (Kläger) unabhängiges Ereignis: Einnehmen von giftigen oder ätzenden Stoffen, es sei denn, dass diese Einwirkungen allmählich erfolgen. Allmähliche Einwirkungen liegen hier nicht vor.

3. Im Revisionsverfahren ist ausschließlich strittig, ob der Kläger den Unfall „in der Freizeit“ erlitt und damit ein vom Versicherungsschutz umfasster „Freizeitunfall“ vorliegt. Das Berufungsgericht bejahte dies mit der zutreffenden Begründung, dass sich der Unfall am 9. 2. 2008 nach dem Frühstück noch im Wohnhaus des Klägers, somit in seiner Privatsphäre, ereignete. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt oder Tätigkeiten im Zusammenhang mit seiner Funktion als Bürgermeister nachgegangen wäre, lägen nicht vor. Dass das Motiv des Täters im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Klägers als Bürgermeister gestanden sei, sei nicht entscheidungsrelevant. Auch komme es nicht darauf an, wie die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter den Vorfall rechtlich qualifiziert habe.

Diesen Argumenten hält die Beklagte nichts Stichhaltiges entgegen: Der Verzehr der vergifteten Praline erfolgte im Wohnhaus des Klägers und ist ein eindeutiger Akt der Freizeitgestaltung. Ein beruflich veranlasstes Essen wurde weder behauptet noch festgestellt. Der Beweggrund des Täters, den Kläger zu töten, weil dieser als Bürgermeister dessen geplantes Bauprojekt behinderte, ändert nichts daran, dass sich der Unfall „in der Freizeit“ ereignete. Dass die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter den Vorfall als Dienstunfall (im Sinn des § 90 B‑KUVG) anerkannte und der Kläger von dieser eine Rente „aus dem Bürgermeisteramt“ erhält, ist für die Beurteilung der Leistungspflicht der Beklagten nicht von Relevanz. Für die Beurteilung der Leistungspflicht des beklagten Versicherers besteht keine Bindung an die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung. Darin liegt nach den Versicherungsbedingungen auch weder ein Risikoausschluss noch eine sonstige den Anspruch ausschließende Tatsache.

4. Da demnach keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht werden, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Die Revisionsbeantwortung wies auf die Unzulässigkeit der Revision hin.

Stichworte