OGH 1Ob78/12w

OGH1Ob78/12w22.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj L***** M*****, geboren am 8. Juni 2000, über den Revisionsrekurs der Mutter Z***** M*****, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 16. März 2012, GZ 23 R 78/12m‑157, mit dem der Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 21. Dezember 2011, GZ 16 Ps 17/10f‑142, teilweise zurückgewiesen und ihm im Übrigen nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die Entscheidung über den Antrag auf Bestellung eines Kollisionskurators richtet, mangels der Voraussetzungen des § 72 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird in seinem zurückweisenden Teil aufgehoben. Dem Rekursgericht wird eine meritorische Entscheidung aufgetragen.

Die Revisionsrekurswerberin hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung

Gegenstand des Pflegschaftsverfahrens ist der Antrag der Mutter auf Einräumung eines Besuchsrechts zum Kind, das sich in Pflege und Erziehung einer Pflegemutter befindet. Über Antrag der Mutter wurde eine gemäß § 104a Abs 1 AußStrG geeignete Person zum Kinderbeistand bestellt.

Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter, zur Vertretung des Kindes einen Kollisionskurator zu bestellen ebenso ab wie den von ihr gegen den Kinderbeistand gerichteten Ablehnungsantrag.

Das Rekursgericht gab dem gegen die Abweisung des Antrags auf Bestellung eines Kollisionskurators erhobenen Rekurs der Mutter nicht Folge, wies den Rekurs gegen die Verwerfung des Ablehnungsantrags als unzulässig zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Nach Auffassung des Rekursgerichts komme die Bestellung eines Kollisionskurators für das Verfahren auf Obsorge und Besuchsrecht grundsätzlich nicht in Betracht. Darüber hinaus liege auch keine Interessenkollision vor; nach dem festgestellten Sachverhalt sei eine relevante Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch die Pflegemutter, die Schadenersatzpflichten nach sich ziehen könnte, zu verneinen. Ein Rekurs gegen die Verwerfung des gegen den Kinderbeistand gerichteten Ablehnungsantrags sei als verfahrensleitender Beschluss gemäß § 45 Satz 2 AußStrG erst mit dem Rekurs gegen die Entscheidung über die Sache zulässig. § 104a AußStrG verweise in Abs 4 zur Ablehnung des Kinderbeistands auf die Bestimmungen über die Ablehnung eines Sachverständigen; § 35 AußStrG verweise hinsichtlich der einzelnen Beweismittel auf die Bestimmungen der ZPO. Letzterer Verweis umfasse auch die in der ZPO geregelten Rechtsmittelbeschränkungen. § 366 Abs 1 ZPO ordne nun an, dass gegen den Beschluss, durch welchen die Ablehnung eines Sachverständigen verworfen wird, ein abgesondertes Rechtsmittel nicht stattfinde. Dies bedeute im vorliegenden Zusammenhang gemäß § 45 Satz 2 AußStrG, dass die Entscheidung nur mit dem Rekurs gegen die Entscheidung über die Sache anfechtbar sei. Diese Rechtsmittelbeschränkung sei entgegen der Auffassung der Rekurswerberin nicht verfassungswidrig. Dass über die Ablehnung des Sachverständigen ‑ anders als bei der Ablehnung eines Richters ‑ kein eigener Zwischenstreit möglich sei, sei durch die sachlichen Unterschiede gerechtfertigt. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil Rechtsfragen von grundsätzlicher, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung nicht zu behandeln gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist, soweit er sich gegen den zurückweisenden Teil der angefochtenen Entscheidung richtet, zulässig und im Sinn des gestellten Aufhebungsantrags berechtigt, im Übrigen allerdings nicht zulässig, weil zur behaupteten Notwendigkeit der Bestellung eines Kollisionskurators keine im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage erörtert wird.

Im Zusammenhang mit der Abweisung ihres Antrags auf Bestellung eines Kollisionskurators behauptet die Revisionsrekurswerberin, dass sowohl das Jugendamt als auch die Pflegemutter einen Beschluss des Rekursgerichts „betreffend das ohnehin bescheidene Besuchsrechte Kindesmutter“ eigenmächtig und beharrlich missachtet hätten und dass „der ehemalige Ehegatte der Pflegemutter, der wegen häuslicher Gewalt sogar weggewiesen worden war, vom Jugendamt hinter dem Rücken des Gerichts und der leiblichen Mutter ein Besuchsrecht eingeräumt, das über das der leiblichen Mutter weit hinausgeht, faktisch erhielt“. Beide Vorwürfe sind von den Tatsachenfeststellungen, die die Vorinstanzen getroffen haben, nicht gedeckt, weshalb dahinstehen kann, ob deren Vorliegen das Erfordernis der Bestellung eines Kollisionskurators begründen könnte. Auf die vom Rekursgericht ausführlich behandelten (und verneinten) Umstände, die nach dem Vorbringen erster Instanz ua einen Kollisionsfall begründen sollten, kommt die Revisionsrekurswerberin nicht mehr zurück.

Zutreffend wendet sich die Revisionsrekurswerberin aber gegen die Auffassung des Rekursgerichts, die Ablehnung einer Befangenheit des Kinderbeistands stelle einen verfahrensleitenden Beschluss gemäß § 45 Satz 2 AußStrG dar, dessen Anfechtung unter Berücksichtigung des Verweises in § 104a Abs 4 AußStrG nur in Verbindung mit der Bekämpfung des Beschlusses in der Hauptsache (hier va über das Besuchsrecht) möglich wäre. Entgegen der Auffassung des Rekursgerichts ist im Zusammenhang damit auch eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu beantworten, da höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehlt.

Vorweg ist festzuhalten, dass entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin das Rechtsinstitut des Kinderbeistands keineswegs als verfassungswidrig zu betrachten ist (s dazu auch 8 Ob 19/11v), auch wenn es gelegentlich vorkommen mag, dass der bestellte Kinderbeistand eine Rolle wahrnimmt, die ihm vom Gesetz an sich nicht zugedacht ist. Da sich die Tätigkeit des Kinderbeistands nicht im eigentlichen Beweisverfahren niederschlägt, geht auch der Vorwurf der Verletzung des Unmittelbarkeitsprinzips durch die Heranziehung eines ‑ im vorliegenden Fall sogar von der Mutter selbst beantragten ‑ Kinderbeistands ins Leere. Ebenso wenig ist der Verweis in § 104a Abs 4 AußStrG auf die Bestimmungen über die Ablehnung eines Sachverständigen verfassungswidrig, wird dort doch ausdrücklich nur die „sinngemäße“ Geltung dieser Normen angeordnet, was es zulässig (und notwendig) macht, jeweils dort zu differenzieren, wo eine formale Übernahme der den Sachverständigen betreffenden Verfahrensregeln auf den Kinderbeistand wegen seiner doch erheblich unterschiedlichen Funktion im Verfahren zu ‑ gemessen am Gesetzeszweck ‑ unerwünschten Ergebnissen führte. Ob die (sinngemäße) Anwendung des § 366 Abs 1 ZPO (dafür etwa Dokalik in Barth/Deixler‑Hübner, Handbuch des Kinderbeistandsrechts 195), wonach gegen einen Beschluss, durch welchen die Ablehnung eines Sachverständigen verworfen wird, ein abgesondertes Rechtsmittel nicht stattfindet, bedenklich wäre, ist im vorliegenden Fall nicht zu prüfen. Diese Anordnung hat im unmittelbaren Anwendungsbereich der ZPO zur Konsequenz, dass der Rekurs gemäß § 515 ZPO mit dem gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung eingebrachten Rechtsmittel erhoben werden kann. Eine solche Konstellation liegt auch hier vor, hat die Mutter doch auch die Entscheidung des Erstgerichts bekämpft, mit der dieses die Bestellung eines Kollisionskurators abgelehnt hatte. Der in § 35 AußStrG unter anderem enthaltene Verweis auf die Bestimmungen der ZPO über die einzelnen Beweismittel bedeutet im Übrigen auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Verweisung in § 104a Abs 4 AußStrG nicht, dass der Kinderbeistand als Beweismittel zu behandeln und damit in jeglicher Hinsicht den Verfahrensregeln zum Sachverständigen(‑beweis) zu unterstellen wäre; die Gesetzesmaterialien (ErlRV 486 BlgNR 24. GP 7) erwähnen auch nur die §§ 355 f ZPO, woraus geschlossen werden kann, dass an Fragen des Rechtsmittelverfahrens jedenfalls nicht primär gedacht wurde. Insbesondere ergibt sich aus der besonderen verfahrensrechtlichen Stellung und Funktion (vgl dazu nur Reiter/Kloiber/Haller, Das Kinderbeistand‑Gesetz, EF‑Z 2010, 133 [135 f]; ErlRV aaO 5 f), dass weder die Entscheidung über die Bestellung eines Kinderbeistands (s nur Barth/Fucik in Barth/Deixler‑Hübner aaO 115) noch die über die Verwerfung einer Ablehnung als „verfahrensleitender Beschluss“ im Sinne des § 45 Satz 2 AußStrG zu qualifizieren ist. Die Entscheidungen darüber, ob ein Kinderbeistand zu bestellen ist bzw ob der bestellte Kinderbeistand zu Recht abgelehnt wird, sind somit nicht bloß verfahrensleitender Natur und unterliegen damit nicht der Anfechtungsbeschränkung des § 45 Satz 2 AußStrG.

Die Frage, ob sich die Rekurszulässigkeit bei Verwerfung der Ablehnung nach § 45 Satz 1 AußStrG richtet oder ob diese durch die sinngemäße Anwendung des § 366 Abs 1 ZPO beschränkt ist, muss für die hier vorliegende Verfahrenskonstellation nicht beantwortet werden.

Das Rekursgericht wird sich daher im fortgesetzten Verfahren mit dem Rekurs gegen die Verwerfung der Ablehnung meritorisch zu befassen und auf die geltend gemachten Ablehnungsgründe einzugehen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 107 Abs 3 AußStrG. Danach findet in Verfahren über die Obsorge und die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr ein Kostenersatz nicht statt.

Stichworte