OGH 9ObA142/11i

OGH9ObA142/11i20.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger und KR Karl Frint als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei K***** M*****, vertreten durch Mag. Bernhard Graf, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Raiffeisenbank ***** reg.Gen.m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Bertram Grass und Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen Feststellung (Streitwert 31.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. September 2011, GZ 15 Ra 76/11f-15, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Juni 2011, GZ 34 Cga 6/11p-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.751,04 EUR (darin 291,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger (geboren 1950) war bei der Beklagten vom 1. 2. 1965 bis 31. 12. 1991 angestellt. Davon war er in der Zeit vom 1. 1. 1986 bis 31. 12. 1991 Leiter einer Filiale der Beklagten und in dieser Funktion in der Verwendungsgruppe VI des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Kollektivvertrags für die Angestellten der Raiffeisenkassen vom 21. 12. 1984, gültig ab 1. 2. 1990 (im Folgenden kurz KollV), eingestuft. Dieses Arbeitsverhältnis wurde mit 31. 12. 1991 einvernehmlich aufgelöst. Dabei wurde in einem Kurzbrief der Beklagten festgehalten, dass die Pensionsregelung „KV-mäßig“ geregelt bleibe und deshalb „nicht sonderlich erwähnt“ sei. Dem Kläger gebührt ab 1. 5. 2010 eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 253b ASVG.

Der hier anwendbare KollV sieht im Abschnitt C (§§ 22 ff) eine „Pensionszuschussregelung“ zu verschiedenen gesetzlichen Pensionen vor, unter anderem auch zur vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer. § 27 Abs 1 KollV regelt die Anspruchsvoraussetzungen dieses Zuschusses. Er gebührt dann, wenn

a) mindestens 20 pensionsanrechenbare Dienstjahre gemäß § 24 KollV erreicht wurden und der Anspruchsberechtigte bereits fünf Jahre in der jeweils höchsten Verwendungsgruppe eingestuft war;

b) die Voraussetzung für den Anfall der vorzeitigen gesetzlichen Alterspension (§ 253b ASVG) gegeben ist;

c) das Dienstverhältnis nicht durch begründete fristlose Entlassung, Kündigung durch den Dienstnehmer oder unbegründeten vorzeitigen Austritt beendet wird.

Zwischen den Parteien herrscht nun Streit darüber, ob dem Kläger gegenüber der Beklagten ein Pensionszuschuss nach § 27 Abs 1 KollV zusteht. Das Erstgericht stellte in seinem Urteil fest, dass der Kläger ab 1. 5. 2010 Anspruch auf den Pensionszuschuss nach Maßgabe der §§ 22 ff KollV gegenüber der Beklagten habe. Das Berufungsgericht bestätigte über Berufung der Beklagten das Ersturteil. Dabei ging es rechtlich davon aus, dass die Voraussetzungen für den vom Kläger begehrten Pensionszuschuss gemäß § 27 Abs 1 KollV im vorliegenden Fall gegeben seien. Abweichendes ergebe sich auch nicht aus der Regelung des Geltungsbereichs in § 22 KollV. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der gegenständlichen Auslegungsfrage des KollV, zu der noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Berufungsentscheidung im Sinn der Klageabweisung abzuändern.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht bejahte - in Bestätigung des klagestattgebenden Ersturteils - zu Recht das Bestehen des Anspruchs des Klägers auf einen Pensionszuschuss nach § 27 Abs 1 KollV. Es genügt daher grundsätzlich, auf die zutreffende Bejahung der Anspruchsvoraussetzungen durch das Berufungsgericht zu verweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Das Wesentliche wird nochmals wie folgt zusammengefasst:

Die vier vorstehend wiedergegebenen Voraussetzungen des Pensionszuschusses zur vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 253b ASVG sind in § 27 Abs 1 KollV geregelt. Dass der Kläger nach lit a bei der Beklagten mindestens 20 pensionsanrechenbare Dienstjahre gemäß § 24 KollV erreichte, ist zwischen den Parteien ebenso unstrittig, wie der Umstand, dass beim Kläger nach lit b die Voraussetzung für den Anfall der vorzeitigen gesetzlichen Alterspension nach § 253b ASVG gegeben ist und dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch eine nach lit c verpönte Beendigungsart (Entlassung, Arbeitnehmerkündigung, unbegründeter vorzeitiger Austritt) beendet wurde. Unstrittig ist auch, dass der Kläger nach lit a bereits fünf Jahre in der höchsten Verwendungsgruppe eingestuft war. Strittig ist allerdings in diesem Zusammenhang, ob es genügt, dass der Kläger im Rahmen seines fast 27 Jahre währenden Arbeitsverhältnisses zur Beklagten in der Zeit vom 1. 1. 1986 bis 31. 12. 1991 - somit Jahre vor dem späteren Antritt der vorzeitigen gesetzlichen Alterspension am 1. 5. 2010 - als Filialleiter in der höchsten Verwendungsgruppe eingestuft war (Standpunkt des Klägers und der Vorinstanzen).

Die gegenteilige Auffassung verlangt, dass die mindestens fünfjährige Einstufung in die höchste Verwendungsgruppe dem Pensionsantritt unmittelbar vorgegangen sein muss (Standpunkt der Beklagten). Die einschränkende Sicht der Beklagten kann allerdings nicht auf § 27 Abs 1 lit a KollV gestützt werden. Dort heißt es nämlich nur „... mindestens 20 pensionsanrechenbare Dienstjahre … erreicht wurden und der Anspruchsberechtigte bereits 5 Jahre in der jeweils höchsten Verwendungsgruppe eingestuft war“. Ein Zusammenhang mit dem Pensionsantritt wird nicht hergestellt.

Dies ist offenbar auch der Beklagten bewusst, weshalb sie auf eine andere Bestimmung des KollV Bezug nimmt und versucht, diese zur „Grundvoraussetzung“ des Anspruchs auf einen Pensionszuschuss zu erheben (ON 4). Es handelt sich dabei um § 22 KollV, der den „Geltungsbereich“ der Pensionszuschussregelung wie folgt regelt: „Diese Zuschussregelung gilt für alle Dienstnehmer von Raiffeisen bzw Raiffeisenbanken mit einer Bilanzsumme von mindestens 150 Millionen Schilling, die in die Verwendungsgruppe VI eingestuft sind.“ Die Überlegungen der Beklagten beruhen nun vor allem auf dem Umstand, dass § 22 KollV von „eingestuft sind“ und nicht von „eingestuft waren“ spricht. Daraus sei abzuleiten, dass man erst bei Pensionsantritt - und nicht zu einem früheren, Jahre davor liegenden Zeitpunkt - in die Verwendungsgruppe VI eingestuft (gewesen) sein muss.

Die Überlegungen der Beklagten überzeugen nicht. Zunächst finden sich im KollV keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, die Regelung des § 27 KollV, die sich im Unterabschnitt „Anspruchsvoraussetzungen, Beginn und Ende der Ansprüche“ befindet, und in ihrem Abs 1 ausdrücklich die Voraussetzungen eines Pensionszuschusses im Fall der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer regelt, in ihrer Bedeutung als Regelung der Anspruchsvoraussetzungen herabzustufen, und eine andere Regelung (§ 22), die die Überschrift „Geltungsbereich“ trägt, zur „Grundvoraussetzung“ des Anspruchs auf Gewährung eines Pensionszuschusses zu erheben. Den Kollektivvertragsparteien kann zugetraut werden, zwischen „Geltungsbereich“ und „Anspruchsvoraussetzungen“ unterscheiden zu können und auch bewusst unterschieden zu haben. Dies ergibt sich schon aus der systematischen Stellung dieser beiden Regelungen im Abschnitt C („Pensionszuschussregelung“) des KollV. Während § 22 KollV („Geltungsbereich“) im Unterabschnitt I. („Allgemeine Bestimmungen“) angesiedelt ist, befindet sich § 27 im Unterabschnitt III. („Anspruchsvoraussetzungen, Beginn und Ende der Ansprüche“), in dem unter anderem auch die Voraussetzungen des Zuschusses zur Berufsunfähigkeitspension (§ 28 KollV), zur Witwenpension (§ 29 KollV) und zur Waisenpension (§ 30 KollV) geregelt sind.

§ 22 KollV („Geltungsbereich“) sagt nur, für welche Arbeitnehmergruppe die Pensionszuschussregelung zur Anwendung gebracht werden kann. Mehr kann dieser Regelung nicht entnommen werden. In § 22 KollV heißt es demzufolge: „Diese Zuschussregelung gilt für ...“ Es heißt nicht wie in § 27 KollV: „Der Zuschuss … gebührt, wenn ...“. Das ist ein gewaltiger Unterschied. § 22 KollV ist nicht als Spezialregelung konzipiert, die die „Grundvoraussetzungen“ für eine konkrete Leistung nach dem Pensionszuschussmodell des KollV regelt. Der in § 22 KollV geregelte Geltungsbereich gibt nur vor, welche Arbeitnehmer eine Anwartschaft auf Ansprüche nach dem KollV erwerben können. Nach dem Inhalt der Regelung sind dies jene Arbeitnehmer, die bei „Raiffeisen bzw Raiffeisenbanken mit einer Bilanzsumme von mindestens 150 Millionen Schilling“ - irgendwann - „in die Verwendungsgruppe VI eingestuft sind“. Bei dieser Auslegung macht der Gebrauch der Gegenwartsform durchaus Sinn, weil Anwartschaften auf Pensionszuschüsse typischer Weise im aufrechten Arbeitsverhältnis (dh im konkreten Fall, wenn man bei bestimmten Arbeitgebern mit einer bestimmten Bilanzsumme beschäftigt ist und wenn man in einer bestimmten Verwendungsgruppe eingestuft ist) erworben werden. Die gegenständliche Regelung des Geltungsbereichs sagt nichts darüber aus, wann man (in Bezug auf den späteren Antritt einer gesetzlichen Pension) bei diesem Arbeitgeber beschäftigt gewesen und wann man sowie wie lange man in eine bestimmte Verwendungsgruppe eingestuft gewesen sein muss.

Nach den getroffenen Feststellungen nahm der Kläger die in § 22 KollV geregelte „Hürde“ des Geltungsbereichs ohne Probleme. Dass die Beklagte die geforderte Bilanzsumme aufwies, ist nicht weiter strittig; der Kläger war auch in der Verwendungsgruppe VI eingestuft. Eine Verlagerung der geforderten Einstufung in einer bestimmten Verwendungsgruppe in den Pensionsantritt, wie dies der Beklagten vorschwebt, ist auch wenig sinnvoll, weil beim Pensionsantritt nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses von keiner Einstufung, bei der der Gebrauch der Gegenwartsform Sinn machen würde, mehr ausgegangen werden kann.

Der Senat schließt sich daher schon nach dem Wortlaut und der systematischen Stellung der hier gegenständlichen Regelungen der §§ 22, 27 KollV der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts an, dass der Kläger - unter Zugrundelegung seiner festgestellten Beschäftigungszeiten und seiner Einstufung bei der Beklagten - einen Anspruch auf Pensionszuschuss zu der von ihm bezogenen vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach § 253b ASVG hat. Einer Auseinandersetzung mit den weiteren hilfsweisen Überlegungen des Berufungsgerichts und den diesbezüglichen Erwiderungen der Beklagten in der Revision bedarf es daher nicht. Auf die eigenen Überlegungen der Beklagten zur Auslegung der §§ 22, 27 KollV wurde bereits vorstehend eingegangen. Sie konnten nicht überzeugen. Aus der Regelung des Geltungsbereichs in § 22 KollV kann insbesondere nicht die weitere Anspruchsvoraussetzung abgeleitet werden, dass der Kläger bei Pensionsantritt am 1. 5. 2010 in die Verwendungsgruppe VI eingestuft sein musste. Das Resümee der Beklagten, dass es ein „ganz einfacher Umstand“ sei, dass die Regelung des Pensionszuschusses nicht für jemanden gelten solle, dessen Arbeitsverhältnis schon vor Jahren beendet wurde, überzeugt nicht, wenn dies wie im vorliegenden Fall nicht erkennbar festgelegt wurde. Auf hilfsweise Überlegungen des Klägers zur „Unverfallbarkeit“ von Pensionsanwartschaften muss hier nicht eingegangen werden. Soweit die Beklagte selbst betont, dass es eben Voraussetzung sei, dass man „eine gewisse Zeit“ bei der Beklagten beschäftigt war, ist ihr zu erwidern, dass man dem Kläger, der knapp 27 Jahre bei ihr beschäftigt war, Betriebstreue wohl nicht absprechen kann. Dass die Beklagte offenbar bei einvernehmlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Klägers selbst noch davon ausgegangen ist, dass eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses lange vor Pensionsantritt nicht schadet, kann aus ihrem begleitenden Kurzbrief abgeleitet werden. Darauf kommt es aber nicht an, weil sich Gegenteiliges ohnehin nicht aus dem KollV ergibt.

Der unbegründeten Revision der Beklagten muss daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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