OGH 14Os34/12z

OGH14Os34/12z12.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Juni 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schöfmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ingo P***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wider die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde sowie über dessen damit verbundene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 22. September 2011, GZ 41 Hv 6/11i-39, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I/ Die Wiedereinsetzung wird bewilligt.

II/ Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ingo P***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 28. Juli 2009 in K***** Monika G***** mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Vornahme und Duldung des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen, nämlich des Oralverkehrs an ihm und des Analverkehrs an ihr, genötigt, indem er sie zunächst von hinten packte, zu seinem Wohnhaus und über die Treppe in seine Wohnung zerrte, die Wohnungstür versperrte und den Schlüssel einsteckte, sie anschließend mit einer Hand am Hals ergriff und ihr sinngemäß Faustschläge gegen das Gesicht androhte, indem er seine zweite zur Faust geballte Hand vor ihr Gesicht hielt und ihr sagte, dass es ihr schlechter gehen würde, sie zur Vornahme des Oralverkehrs an ihm aufforderte und seinen zunächst noch nicht erigierten Penis in ihren Mund einführte, anschließend seinen Penis in ihre Scheide einführte und an ihr den Beischlaf vollzog, wobei er ihr den Mund solange zuhielt, bis sie keine Luft mehr bekam, seinen erigierten Penis im Anschluss erneut in ihren Mund einführte und sie zur Durchführung des Oralverkehrs an ihm aufforderte, sie in der Folge auf den Bauch drehte und mit seinem Penis in ihren After eindrang und den Analverkehr an ihr vollzog und zuletzt erneut Oralverkehr verlangte und seinen Penis in ihren Mund einführte.

Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte rechtzeitig Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 40). Am 30. November 2011 wurde seinem Verteidiger eine Ausfertigung des Urteils zugestellt (ON 39 S 18), sodass die Frist zur Rechtsmittelausführung am 28. Dezember 2011 endete.

In einem am 11. Jänner 2012 zur Post gegebenen Schriftsatz (ON 42) brachte der Verteidiger vor, seine Kanzlei sei von 24. Dezember bis 8. Jänner 2012 offiziell geschlossen gewesen. Nur am - genannten - 28. Dezember 2011 habe seine seit fünf Jahren grundsätzlich verlässlich tätige Kanzleileiterin das Büro „inoffiziell“ geöffnet und hiebei übersehen, das vom Verteidiger am 25. Dezember 2011 versandfertig bereitgestellte Rechtsmittel zur Post zu geben.

Deren Versehen sei am 9. „10.“ (gemeint: Jänner) 2012 entdeckt worden.

Das Vorbringen ist durch eine eidesstattliche Erklärung der Sekretärin Sandra R*****, derzufolge sie ihre Tätigkeit „Versenden von Schriftstücken“ stets fehlerfrei und nach den internen Anweisungen ihrer Dienstgeber durchgeführt habe, bescheinigt.

Rechtliche Beurteilung

Damit ist nachgewiesen, dass die fristgerechte Vornahme der Verfahrenshandlung zufolge eines unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignisses unmöglich war und dem Angeklagten oder seinem Verteidiger kein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt. Die Wiedereinsetzung war zu bewilligen, weil sie innerhalb von 14 Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses beantragt und die versäumte Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung zugleich mit dem Antrag nachgeholt wurde (§ 364 StPO).

Die gegen das Urteil aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Der in der Hauptverhandlung vom 23. Mai 2011 gestellte Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass die Angaben der Zeugin Monika G***** unglaubwürdig und nicht richtig seien (ON 26 S 9) verfiel - der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider - zu Recht der Abweisung, weil er nicht darlegt, dass sich die Genannte zu einer entsprechenden Begutachtung bereitfinden würde (RIS-Justiz RS0118956). Im Übrigen kommt die Glaubwürdigkeitsbeurteilung grundsätzlich dem erkennenden Gericht zu und bedarf nur in Ausnahmefällen, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen der Hilfestellung durch einen Sachverständigen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350). Eine relevante Störung der allgemeinen Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit oder der Aussageehrlichkeit der Zeugin wird nicht behauptet (RIS-Justiz RS0120634). Das Vorbringen, bei der beantragten Beweisführung könne ein verwertbares Ergebnis nicht von vornherein ausgeschlossen werden, zeigt deren - unzulässigen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 f) - Erkundungscharakter.

Entgegen der Mängelrüge stehen die im Spruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) dargestellten rechtlich gleichwertigen Nötigungsmittel (Philipp in WK2 § 201 Rz 3) als Begehungsweisen keinesfalls in Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zu den bezughabenden Urteilskonstatierungen (US 6 ff), mag auch in den Feststellungen die Gewaltanwendung als „massiv“ präzisiert worden sein.

Ob ein Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Opfer vorlag oder nicht, ist zur Lösung der Schuld- und Subsumtionsfrage ebenso wenig entscheidend wie die Frage, ob er nur sexuelles oder weitergehendes Interesse am Tatopfer hatte und am Tattag zwei- oder dreimal (nominell Z 5 fünfter Fall) mit diesem in seiner Wohnung war.

Mit der Glaubwürdigkeit der Zeugin Monika G***** haben sich die Tatrichter im Rahmen einer sorgfältigen Beweiswürdigung eingehend auseinandergesetzt (US 11 bis 17) und der Rüge (Z 5 vierter Fall) zuwider eingehend begründet, warum sie der leugnenden Verantwortung des Angeklagten nicht folgten. Der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit von Zeugen aufgrund des durch Vorführung der Ton- und Bildaufnahme über die kontradiktorische Vernehmung in der Hauptverhandlung (ON 38 S 2) gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch-psychologische Vorgang ist als solcher einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entrückt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431).

Nach Prüfung des weiteren Beschwerdevorbringens (isolierte Hinweise auf mangelnde Verletzungsfolgen beim Tatopfer, frühere Kontakte mit diesem in einem Table-Dance-Lokal und das vorgeblich ungewöhnliche Nachtatverhalten [Umarmen der Vergewaltigten und Nachhauseführen] an Hand der Akten ergeben sich für den Obersten Gerichtshof auch keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen (Z 5a).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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