OGH 2Nc17/12s

OGH2Nc17/12s5.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Ordinationssache der klagenden Partei J***** P*****, vertreten durch Dr. Christian Függer, Rechtsanwalt in Sankt Pölten, wider die beklagte Partei N***** AG, *****, vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 7.165,75 EUR sA, über den Antrag gemäß § 28 JN, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Zur Verhandlung und Entscheidung über die zu AZ 8 C 614/09g des Bezirksgerichts Sankt Pölten eingebrachte Klage wird das Bezirksgericht Sankt Pölten als örtlich zuständiges Gericht bestimmt.

Text

Begründung

Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin einer in der Schweiz ansässigen Aktiengesellschaft, deren Unternehmensgegenstand die Vermögensverwaltung- und Anlageberatung war. Der Kläger schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Vermögensverwaltungsvertrag ab.

Der Kläger begehrt mit der am 31. 7. 2009 beim Bezirksgericht Sankt Pölten eingebrachten Klage die Zahlung von 7.165,75 EUR sA und bringt dazu vor, die Beklagte habe entgegen der getroffenen Vereinbarung den vom Kläger zur Verfügung gestellten Veranlagungsbetrag spekulativ veranlagt, weswegen ein Verlust in Höhe des Klagsbetrags eingetreten sei. Die Zuständigkeit des Erstgerichts gründe sich auf Art 14 LGVÜ 1988.

Die Beklagte wandte die fehlende inländische Gerichtsbarkeit und die örtliche Unzuständigkeit des Bezirksgerichts Sankt Pölten ein.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Sankt Pölten vom 8. 11. 2010 bejahte dieses seine internationale Zuständigkeit, weil die Voraussetzungen nach Art 13 Z 3 iVm Art 14 f LGVÜ 1988 vorlägen. Dieser Beschluss wurde mit Beschluss des Landesgerichts Sankt Pölten als Rekursgericht vom 27. 1. 2011 bestätigt und ist somit rechtskräftig.

Der Kläger beantragte sodann die Überweisung an das Bezirksgericht Scheibbs, in eventu die Vorlage des Akts an den Obersten Gerichtshof zwecks Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichts im Weg der Ordination. Die Rechtssache möge an das Bezirksgericht Sankt Pölten ordiniert werden.

Die Beklagte wünscht gegebenenfalls die Ordination an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien.

Mit Beschluss des Landesgerichts Sankt Pölten als Rekursgericht vom 22. 3. 2012 wurde der Beschluss des Bezirksgerichts Sankt Pölten vom 29. 1. 2012, mit dem es sich für örtlich unzuständig erklärte und den Antrag auf Überweisung der Rechtssache an das Bezirksgericht Scheibbs abwies, rechtskräftig bestätigt.

Daraufhin legte das Bezirksgericht Sankt Pölten den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den Ordinationsantrag vor.

Rechtliche Beurteilung

Der Ordinationsantrag ist berechtigt.

1. An die rechtskräftig entschiedene Bejahung der internationalen Zuständigkeit durch das Bezirksgericht und das Landesgericht Sankt Pölten ist der Oberste Gerichtshof gebunden (§ 42 Abs 3 JN; vgl 4 Ob 202/06v ua).

2. Das Bezirksgericht Sankt Pölten hat vor der Aktenvorlage - bestehender höchstgerichtlicher Recht-sprechung (RIS-Justiz RS0046344) folgend - die von der Beklagten erhobene Unzuständigkeitseinrede erledigt und dabei seine örtliche Zuständigkeit verneint. Wird von einem österreichischen Gericht seine örtliche Zuständigkeit rechtskräftig verneint, ist der Oberste Gerichtshof insofern daran gebunden, als er dann als Ordinationsgericht einzuschreiten hat (RIS-Justiz RS0046568).

3. Das revidierte Lugano-Übereinkommen vom 30. 10. 2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LGVÜ II; ABl EU L 2007/339, 3 idF ABl L 2009/147, 44) ist im Verhältnis zur Schweiz mit 1. 1. 2011 in Kraft getreten (ABl L 2011/138, 1). Da hier die Klage vor diesem Zeitpunkt eingebracht wurde, ist dieses Abkommen nicht anzuwenden (5 Nc 29/10z = RIS-Justiz RS0107140 [T4] mwN).

4. Der hier daher anzuwendende Art 14 LGVÜ 1988 regelt die Zuständigkeit in Verbrauchersachen (mit einer Ausnahme) abschließend. Diese Bestimmung beruft nicht örtlich bestimmte, sondern allgemein „die Gerichte“ des Vertragsstaats, in denen die Partei ihren Wohnsitz hat, regelt somit nur die internationale und nicht die örtliche Zuständigkeit. Ist daher die inländische Gerichtsbarkeit (internationale Zuständigkeit) nach dem Übereinkommen von Lugano zu bejahen, wird darin die örtliche Zuständigkeit jedoch nicht geregelt, findet das innerstaatliche Recht ergänzend Anwendung. Liegt nach innerstaatlichem Recht kein die örtliche Zuständigkeit begründender Sachverhalt vor, ist auf Antrag eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 1 JN vorzunehmen (RIS-Justiz RS0106680).

5. Welches Gericht ordiniert wird, bleibt dem Obersten Gerichtshof überlassen; dabei sind Kriterien der Sach- und Parteinähe bzw der Zweckmäßigkeit zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0106680 [T13]). Im vorliegenden Fall wird der Kläger als Partei zu vernehmen sein; er beantragt die Ordination an das Bezirksgericht Sankt Pölten. Ungeachtet dessen, dass der Kläger im Sprengel des Bezirksgerichts Scheibbs wohnt, spricht für das Bezirksgericht Sankt Pölten, dass die Anreise des Klägers dorthin nur geringfügig länger dauert als nach Scheibbs und dass der bisher dort tätig gewesene Richter bereits mit dem Akt vertraut ist. Überwiegende Gründe, die Sache statt dessen im Sinn des Ersuchens der Beklagten an das vom Wohnort des Klägers viel weiter entfernte Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu ordinieren, liegen nicht vor.

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