OGH 7Ob21/12g

OGH7Ob21/12g30.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** AG, *****, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei L***** B.V., *****, vertreten durch Masser & Partner Rechtsanwälte in Wien, wegen 93.012 EUR (sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. November 2011, GZ 2 R 55/11i‑58, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 4. Jänner 2011, GZ 33 Cg 53/09g‑53, infolge Berufung der klagenden Partei abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen bestätigt wird, wird im Zinsenpunkt dahin abgeändert, dass die beklagte Partei schuldig ist, der klagenden Partei 5 % Zinsen aus 93.012 EUR seit 24. 5. 2008 zu bezahlen. Das Zinsenmehrbegehren (die Differenz zu „8 % Zinsen über den Basiszinssatz“) wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.114,64 EUR (darin enthalten 352,44 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Transportversicherer der in Deutschland ansässigen C*****gesellschaft m.b.H. (im Folgenden: Versicherungsnehmerin). Die Beklagte betreibt in den Niederlanden ein Speditionsunternehmen. Sie führt Transporte nicht selbst durch, sondern lässt sie von Transporteuren (Frachtführern) durchführen. Am 21. 5. 2008 beauftragte die Versicherungsnehmerin die Beklagte mit dem Transport von 134 Fernsehgeräten, die sie bereits um 88.230 EUR weiterverkauft hatte, von Österreich zur Käuferin nach Frankreich. Als Transportentgelt wurde ein fixer Betrag von 2.050 EUR vereinbart. Die Geräte wurden am 22. 5. 2010 auf dem Transport in Norditalien gestohlen, als der LKW auf einem nicht bewachten Parkplatz abgestellt war. Die genauen Umstände des Diebstahls konnten nicht festgestellt werden. Die Versicherungsnehmerin hat ihre sämtlichen Forderungen aus dem Schadensereignis der Klägerin abgetreten.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten 93.012 EUR (den Warenwert von 88.230 EUR plus 4.782 EUR Gutachtenskosten) „samt 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 24. 5. 2008“. Das Abstellen des Transportfahrzeugs auf dem unbewachten Parkplatz in Oberitalien sei grob fahrlässig gewesen. Die Beklagte hafte nach den Bestimmungen der CMR.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung. Sie sei, wie der Klägerin bekannt gewesen sei, ausschließlich als Spediteur tätig geworden. Den von ihr beauftragten Frachtführer habe sie angewiesen, nur bewachte Parkplätze anzufahren, weshalb sie am Schadenseintritt kein Verschulden treffe. Nach dem anzuwendenden niederländischen Recht und insbesondere den vereinbarten niederländischen Speditionsbedingungen habe sie der Klägerin daher nicht zu haften.

Das Erstgericht schloss sich der Ansicht der Beklagten an und wies das Klagebegehren ab. Die Parteien hätten die Anwendung der niederländischen Speditionsbedingungen zumindest konkludent vereinbart, weshalb diese und niederländisches Recht zur Anwendung gelangten. Die CMR sei hingegen nicht anwendbar. Die Beklagte sei ihren Verpflichtungen als Spediteur nachgekommen.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es dem Klagebegehren stattgab. Die Beklagte sei zu fixen Kosten auf eigene Rechnung tätig geworden. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung unterlägen Speditionsverträge (unter anderem) im Fall der ‑ hier vorliegenden ‑ Fixkostenspedition den CMR. Da Art 41 CMR die Anwendung abweichender Regelungen (mit hier nicht relevanten Ausnahmen) ausschließe, seien allein die Bestimmungen der CMR und nicht die niederländischen Speditionsbedingungen maßgebend. Nach Art 17 Abs 1 CMR hafte der Frachtführer für den gänzlichen oder teilweisen Verlust des Guts während des Transports. Wolle der Anspruchsteller ‑ hier die Klägerin ‑ den Frachtführer unbeschränkt haftbar machen, habe er ein gemäß Art 29 CMR qualifiziertes Verschulden nachzuweisen. Die Beklagte habe das Vorbringen der Klägerin zum Diebstahlhergang und den Vorwurf, dass den Frachtführer grobes Verschulden treffe, nicht bestritten, sondern sich lediglich dagegen gewendet, für das Fehlverhalten des Frachtführers zu haften. Bei den gestohlenen Fernsehgeräten habe es sich um leicht verwertbare und besonders diebstahlsgefährdete Ware von erheblichem Wert gehandelt. Der Transport habe durch ein Gebiet geführt, in dem häufig Diebstähle von LKW samt Ladungen stattgefunden hätten. Der Vorwurf eines der Beklagten anzurechnenden groben Verschuldens ihres Frachtführers sei berechtigt. Auf die haftungsbeschränkenden und haftungsausschließenden Bestimmungen der Art 17 bis 28 CMR könne sich die Beklagte daher nicht berufen. Sie habe der Klägerin sämtliche, nach dem ergänzend anwendbaren nationalen Recht ersatzfähige Schäden ohne Betragsbegrenzung zu ersetzen und könne auch über Art 27 CMR hinaus die nach anwendbarem nationalen Recht höheren gesetzlichen oder vereinbarten Verzugszinsen verlangen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu lösen gewesen sei (§ 502 Abs 1 ZPO).

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt werde. Hilfsweise wird eine Abänderung dahin begehrt, den Zuspruch an Zinsen auf 5 % zu verringern.

Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, das außerordentliche Rechtsmittel ihrer Prozessgegnerin als unzulässig zurück‑ oder als unbegründet abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, weil dem Berufungsgericht betreffend den Zuspruch von Zinsen eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist, zulässig und im Zinsenpunkt auch berechtigt. In der Hauptsache kommt der Revision hingegen keine Berechtigung zu.

Die Versicherungsnehmerin hat mit der Beklagten, die Transporte grundsätzlich nicht selbst durchführt, sondern von Frachtführern ausführen lässt, für den Transport der Fernsehgeräte von Österreich nach Frankreich einen fixen Betrag von 2.050 EUR vereinbart. Die Beklagte war demnach hinsichtlich des Transports Fixkostenspediteur.

Während die Bestimmungen der CMR auf Speditionsverträge grundsätzlich nicht anzuwenden sind, haftet ein Fixkostenspediteur nach ständiger oberstgerichtlicher Judikatur auch dann als Frachtführer nach den Bestimmungen der CMR, wenn er das Gut nicht mit eigenen Kraftfahrzeugen befördert (RIS‑Justiz RS0073686). Diese Ansicht entspricht auch der weitgehend übereinstimmenden internationalen Rechtsprechung zur CMR, wonach sämtliche Unternehmer, die eine Beförderung auf eigene Rechnung und Risiko organisieren, so wie dies hier der Fall war, der CMR unterliegen (Csoklich in Jabornegg/Artmann, Kommentar zum UGB Art 1 CMR Rz 4 mwN). Dass ein Fixkostenspediteur hinsichtlich der Beförderung die Rechte und Pflichten eines Frachtführers hat, im Falle ‑ wie hier ‑ grenzüberschreitender Straßengüterbeförderung also nach CMR, wird insbesondere auch in Deutschland in Rechtsprechung und Literatur seit Jahren vertreten (de la Motte/Temme in Thume, CMR‑Komm², Vor Art 1 Rn 82 mwN in FN 93; vgl auch Koller, Transportrecht7 Art 1 CMR Rn 3 mwN).

Die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts, auf den vorliegenden Fall seien die Bestimmungen der CMR anzuwenden, steht demnach im Einklang mit oberstgerichtlicher Judikatur. Dem Einwand der Revisionswerberin, ein niederländischer Spediteur sei, da nach niederländischem Recht auf eigene Rechnung agierende Spediteure nicht als „carrier“ angesehen würden, nicht wie ein Frachtführer zu behandeln, ist entgegenzuhalten, dass die Frage, ob ein Transport der CMR unterliegt, CMR‑autonom zu beantworten ist (Csoklich aaO Art 1 CMR Rz 4 mwN; vgl Koller aaO mwN). Auch wenn die CMR den Fixkostenspediteur nicht erwähnen, wird im Hinblick darauf, dass eine Fixkostenspedition wirtschaftlich ein Frachtgeschäft darstellt, wie bereits ausgeführt, international überwiegend vertreten, dass auf eine Fixkostenspedition die Bestimmungen der CMR anzuwenden sind.

Einen die Hauptsache betreffenden Rechtsirrtum des Berufungsgerichts zeigt die Revisionswerberin demnach nicht auf. Den weiteren ‑ im Fall der Anwendung der CMR ebenfalls zutreffenden ‑ Ansichten des Berufungsgerichts, die Beklagte habe der Klägerin nach Art 17 Abs 1 CMR für den Verlust des Transportguts zu haften und dabei grobe Fahrlässigkeit im Sinn des Art 29 CMR zu vertreten, widerspricht sie nicht.

Berechtigt ist allerdings der von ihr im Rahmen der Rechtsrüge erhobene Einwand, das Berufungsgericht habe sie entgegen der zwingenden Bestimmung des Art 27 CMR, die lediglich Zinsen im Ausmaß von 5 % vorsehe, zu Unrecht zur Zahlung von 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz verurteilt. Es ist zutreffend, dass Art 27 CMR zwingendes Recht darstellt. Diese Bestimmung lässt in ihrem Geltungsbereich weder die Anwendung ergänzenden Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten zu, noch gestattet sie den Vertragsparteien, Vereinbarungen zu treffen, die unmittelbar oder mittelbar von ihr abweichen (Art 41 Abs 1 Satz 1 CMR). Insbesondere der Zinssatz von 5 % ist daher unabdingbar (Thume in Thume, CMR‑Kommentar, Art 27 Rn 26 mwN). Da es sich bei Art 27 Abs 1 CMR um eine abschließende Regelung handelt, die dazu dient, einheitliche, divergierende nationale Regelungen auszuschließen, können ‑ entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ‑ aus etwaigen nationalen Zinszahlungsvorschriften keine abweichenden Zinsen hergeleitet werden. Es kann deshalb auch ein weitergehender Verzugszinsschaden nicht beansprucht werden (Thume aaO Rn 27 mwN).

In teilweiser Stattgebung der Revision ist daher die Entscheidung des Berufungsgerichts hinsichtlich des Zinsenzuspruchs im Sinn des Einwands der Revisionswerberin abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 Abs 1 und 50 Abs 1 ZPO. Da bei der Ermittlung der Quote des Prozesserfolgs Nebengebühren (hier die bloß als Nebenforderung geltend gemachten Zinsen) unberücksichtigt bleiben, hat der Rechtsmittelerfolg hinsichtlich der Zinsen keine Kostenfolgen.

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