Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Ludwig S***** wird von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 22. Mai 1999 in W*****
(1) Sascha S***** mit Gewalt dadurch zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, dass er ihn mit einer Hand im Bereich des Brustkorbs niederdrückte, ihn im Genitalbereich betastete und ihn sodann im Bereich der Schulter und des Kopfes festhielt, [ihm] seinen erigierten Penis in den Mund steckte und solange hin- und herbewegte, bis er in seinem Mund zum Samenerguss kam, wodurch Sascha S***** in besonderer Weise erniedrigt wurde;
(2) mit einer unmündigen Person, und zwar dem zum Tatzeitpunkt siebenjährigen Sascha S***** durch das zu 1) geschilderte Verhalten eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung unternommen, wobei dadurch bei Sascha S***** eine psychische Traumatisierung eintrat, die bei diesem die Entwicklung einer adoleszenten Krise mit vorübergehender suizidaler Einengung und Notwendigkeit einer psychiatrischen Behandlung, sohin eine an sich schwere Körperverletzung, hervorrief;
(3) mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person, und zwar mit seinem im Tatzeitpunkt siebenjährigen Sohn Sascha S***** durch das zu 1) geschilderte Verhalten eine geschlechtliche Handlung vorgenommen;
(4) Sascha S***** durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Unterlassung, nämlich sich anderen Personen gegenüber anzuvertrauen, dadurch genötigt, dass er diesem gegenüber äußerte, er solle „es keinem sagen, vor allem nicht seiner Mutter, sonst werde er sterben“,
gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Der Privatbeteiligte Sascha S***** wird mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ludwig S***** wegen des im (Frei‑)Spruch referierten Sachverhalts - abweichend von der nicht auf Vollrauschtaten abstellenden Anklage (ON 7) - des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er sich im angeführten Tatzeitpunkt, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und im Rausch Handlungen begangen hat, die ihm außer diesem Zustand als Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 und Abs 3 dritter Fall StGB idF BGBl 1989/242, des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB sowie der schweren Nötigung nach §§ 105, 106 Abs 1 Z 1 StGB und als Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB zugerechnet würden.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 3, 4, 5, 5a, 9 lit a, 9 lit b, 10, 10a und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist aus dem Grund der Z 9 lit b leg cit im Recht.
In der Rechtsrüge (Z 9 lit b) wendet der Beschwerdeführer ein, dass in Anbetracht der konstatierten Tatzeit (22. Mai 1999) und der Strafdrohung des § 287 Abs 1 StGB Verjährung der Strafbarkeit gemäß § 57 Abs 2 und Abs 3 StGB eingetreten sei. Der Umstand, dass die nach den Urteilsfeststellungen verwirklichte Rauschtat noch nicht verjährt sei, hindere den Verjährungseintritt nicht. Denn der Unrechtstatbestand des gemeinhin als abstraktes Gefährdungsdelikt charakterisierten § 287 Abs 1 StGB sei allein in der schuldhaften Versetzung in einen Vollrausch gelegen, wogegen die im Vollrausch begangene mit Strafe bedrohte Handlung (Rauschtat) bloß eine objektive Bedingung der Strafbarkeit darstelle.
Die Generalprokuratur führt dazu aus:
§ 287 Abs 1 StGB stellt (wie bereits die Vorläuferbestimmung des § 523 StG) darauf ab, dass die vom Täter in selbstverschuldeter voller Berauschung begangene Handlung ihm „außer diesem Zustand als Verbrechen oder Vergehen zugerechnet würde“. Nach der klaren Anordnung des Gesetzes ist daher bei der strafrechtlichen Beurteilung des (Rausch-)Tatverhaltens nur von der vollen Berauschung des Täters abzusehen. Ebenso ist etwa auch für die Prüfung der Anklagelegitimation nach § 287 Abs 2 StGB maßgebend, ob die Tat, wäre sie nicht in vollberauschtem Zustand begangen worden, von Amts wegen, nur auf Verlangen, auf Antrag oder mit Ermächtigung verfolgt werden kann. Daraus ergibt sich, dass bei fehlender Verfolgbarkeit des Grunddeliktes wegen eines Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs- Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrundes oder wegen eines Verfolgungshindernisses die Verwirklichung des § 287 Abs 1 StGB nicht in Betracht kommt. Denn nicht die Berauschung als solche, sondern die in diesem Zustand begangene Tat ist Substrat des betreffenden Strafverfahrens, sie wird lediglich in der transponierten Form des § 287 Abs 1 StGB erfasst. Ihre Verfolgbarkeit ist daher Bedingung für eine Bestrafung nach dieser Bestimmung (zum Ganzen zu § 523 StG: 12 Os 62/73 = RZ 1973/188; RIS-Justiz RS0095987, RS0095929; Plöchl in WK2 § 287 Rz 12, 30, 33; Leukauf/Steininger Komm3 § 287 RN 11; Eder-Rieder, SbgK § 287 Rz 59).
Bezugspunkt sämtlicher strafgesetzlicher Zurechnungskriterien - mit Ausnahme der vollrauschbedingt fehlenden Schuld des Täters - ist daher nach der klaren gesetzlichen Anordnung stets die im Rausch begangene Handlung (sogenannte Rauschtat). § 287 Abs 1 StGB bestimmt damit selbst diese Tat auch als jene, die Gegenstand und Anknüpfungspunkt der Verjährung der Strafbarkeit nach § 57 Abs 1, 2 und 3 StGB ist.
Solcherart stellt auch die Regelung der unterschiedlichen Verjährungsfristen in § 57 Abs 3 StGB (ebenso wie die übrigen Bestimmungen über die Verjährung der Strafbarkeit [vgl § 57 Abs 1 und Abs 2, § 58 Abs 1 und Abs 2 StGB]) - auch mit Blick auf § 21 Abs 1 StGB (vgl Ratz in WK2 § 21 Rz 21) - auf mit Strafe bedrohte, nicht aber strafbare Handlungen ab. Im Übrigen ergibt sich auch aus materiellen Gesichtspunkten, dass die in § 57 Abs 3 StGB genannten Verjährungsfristen durch die jeweilige Strafdrohung für die Rauschtat bestimmt werden:
Die Dauer der in § 57 Abs 3 StGB geregelten Fristen der Strafbarkeitsverjährung orientiert sich an den für die jeweils in Betracht kommenden Delikte bestimmten abstrakten Strafdrohungen (Marek in WK2 Vor §§ 57 bis 60 Rz 7). Der dahinter stehende Regelungsgedanke ist in der Abstufung je nach der (die jeweiligen Strafdrohungen determinierenden) unterschiedlichen Schwere der jeweiligen Tat, mithin nach dem (jeweils deliktsverwirklichenden) Tatunrecht gelegen (vgl EBRV zum StGB, 30 BlgNR 13. GP, 161, 163).
Da - wie erwähnt - nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung lediglich das (rauschbedingte) Fehlen der Zurechnungsfähigkeit durch § 287 Abs 1 StGB substituiert wird (neuerlich Plöchl in WK2 § 287 Rz 30), erfordert die Deliktsverwirklichung nach § 287 Abs 1 StGB die (objektive und subjektive) Tatbestandsmäßigkeit sowie Rechtswidrigkeit der - solcherart jeweils deliktstypisches Unrecht verwirklichenden (vgl Fuchs AT I7 10/17 f) - Rauschtat (statt vieler: neuerlich RIS-Justiz RS0095929; Plöchl in WK2 § 287 Rz 26 ff).
Die Rauschtat ist somit - wie auch die Strafrahmenbegrenzung in § 287 Abs 1 zweiter Satz StGB sowie die Relevanz von Unrechtskomponenten der Rauschtat bei der Strafbemessung (RIS-Justiz RS0091312, RS0091423, RS0091365; 12 Os 9, 10/91; Eder-Rieder, SbgK § 287 Rz 76) zeigen - entgegen der Rechtsansicht des Nichtigkeitswerbers sehr wohl unrechtsrelevant (so ausdrücklich: Brandstetter, Grundfragen der Deliktsverwirklichung im Vollrausch [1992], 194, 210, 224; derselbe, StPdG 16 [1988], 162-165, 176; Eder-Rieder, SbgK § 287 Rz 21, insbesondere 26). Sie verwirklicht auch ohne Berauschung für sich Unrecht, während die Berauschung per se - abgesehen von Sonderfällen (vgl § 23 MilStG) - kein strafrechtliches Unrecht darstellt (§ 83 Abs 1 SPG [dazu treffend Eder-Rieder, SbgK § 287 Rz 21] wie auch § 52 Abs 1 FinStrG entsprechen insoweit unterschiedslos § 287 Abs 1 StGB).
Das solchermaßen durch die Rauschtat verwirklichte Tatunrecht, welches durch die Substitution lediglich des (rauschbedingten) Fehlens der Zurechnungsfähigkeit durch § 287 Abs 1 StGB nicht berührt wird, ist daher - in der Verkörperung der entsprechenden Strafdrohung - Anknüpfungspunkt der in § 57 Abs 3 StGB abgestuft geregelten Strafbarkeitsverjährungsfristen.
Ausgehend von der somit im vorliegenden Fall maßgeblichen Strafdrohung (§ 28 Abs 1 StGB) des ersten Strafsatzes des § 206 Abs 3 StGB ist die mithin gemäß § 57 Abs 3 StGB 20 Jahre betragende Verjährungsfrist in Ansehung der konstatierten Tatzeit (22. Mai 1999) nicht abgelaufen.
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Mit dem Abstellen auf die abstrakten gesetzlichen Strafdrohungen in § 57 StGB (Marek in WK2 Vor §§ 57 bis 60 Rz 7; § 57 Rz 11; Leukauf/Steininger,Komm3 § 57 RN 3) bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass der in der jeweiligen strafbaren Handlung typisierte Unrechtsgehalt Maßstab für die Beurteilung der Dauer des staatlichen Strafbedürfnisses ist (vgl DOK-StGB 107 f). Nach überwiegender Rechtsprechung und herrschender Meinung (vgl dazu Plöchl in WK2 § 287 Rz 10 f; Eder-Rieder, SbgK § 287 Rz 19) wird § 287 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt angesehen, dessen Unrechtstatbestand ausschließlich in der (vorsätzlichen oder fahrlässigen) Versetzung in einen Vollrausch besteht, während die im Vollrausch begangene Tat eine objektive Bedingung der Strafbarkeit mit der Funktion einer die Schuld nicht beeinflussenden Strafbarkeitseinschränkung darstellt.
Aber auch die von der Generalprokuratur referierten Gegenmeinungen (siehe dazu die ausführlichen Darstellungen bei Eder-Rieder, SbgK § 287 Rz 20 ff und Kienapfel/Schmoller BT III2 § 287 Rz 22 ff) gehen nicht von völliger Bedeutungslosigkeit der vollen Berauschung für das deliktstypische Unrecht des § 287 StGB aus. Vielmehr liegt diesen Positionen im Wesentlichen zugrunde, dass die Straflosigkeit bloßen Sich-Berauschens und die Abhängigkeit der Strafdrohung des § 287 Abs 1 StGB von der Rauschtat (was sich auch in der Strafrahmenbegrenzung des § 287 Abs 1 zweiter Satz StGB zeige), (nur) gegen die alleinige Unrechtsrelevanz des Vollrausches spreche (vgl insb Moos, SbgK § 4 Rz 23 und E. Steininger AT I Kap 16 Rz 4: „das Unrecht (…) mitbegründend“; Fuchs AT I7 Kap 27 Rz 6: „mitbestimmend“; Eder-Rieder, SbgK § 287 Rz 21: „Dagegen, allein das Sich-Berauschen zum Unrecht zu erklären, spricht ...“; Brandstetter, Grundfragen der Deliktsverwirklichung im Vollrausch [1992], 211: „Unrechtsgehalt der Rauschtat auch (…) von entscheidender Bedeutung“). Für die dagegen von der Generalprokuratur vertretene Auffassung, das - für die Verjährung bedeutsame - deliktstypische Unrecht sei ausschließlich in der Rauschtat begründet, bieten daher auch die angeführten Lehrmeinungen keine Grundlage.
Somit ist - unabhängig von der (seit jeher umstrittenen) Frage der Rechtsnatur und dogmatischen Struktur des § 287 StGB (Plöchl in WK2 § 287 Rz 10) -dem limitierten sozialethischen Vorwurf, den der Gesetzgeber bei Vollberauschten im Verhältnis zu vollsinnig Handelnden in Anschlag bringt, auch dadurch Rechnung zu tragen, dass bei Prüfung der Verjährungsfrage (hier: nach § 57 Abs 3 StGB) - soweit nicht § 287 Abs 1 zweiter Satz StGB anzuwenden ist - auf die Strafdrohung des ersten Satzes dieser Bestimmung abzustellen ist. Nach den Urteilskonstatierungen hat Ludwig S***** die (Vollrausch-)Taten am 22. Mai 1999 begangen (US 4), womit die fünfjährige Verjährungsfrist zufolge der Strafdrohung der in Rede stehenden strafbaren Handlung von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen (§ 287 Abs 1 erster Satz StGB) mit Ablauf des 22. Mai 2004 endete.
Bleibt anzumerken, dass verjährungshemmende Umstände im Sinn der zum Verjährungszeitpunkt maßgebenden Bestimmung des § 58 Abs 3 Z 3 StGB idF BGBl I 2004/15 (vgl Marek in WK2 § 57 Rz 23) nur bei Vorliegen einer der in der dieser Vorschrift ausdrücklich genannten strafbaren Handlung, wozu § 287 StGB nicht zählte, nicht greifen (vgl dagegen die rechtsgutsbezogene Betrachtung des nunmehr geltenden § 58 Abs 3 Z 3 StGB idF BGBl I 2009/40, bei dessen Inkrafttreten die gegenständliche Tat jedoch bereits verjährt war). Da auch die Feststellung sonstiger verjährungshemmender Tatsachen in einem zweiten Rechtsgang nicht zu erwarten ist, war - entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur - das Urteil aufzuheben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst dahin zu erkennen, dass Ludwig S***** gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen war (vgl RIS-Justiz RS0118545).
Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers.
Mit seiner Berufung war Ludwig S***** auf diese Entscheidung zu verweisen.
Der Privatbeteiligte war mit seinen Ansprüchen gemäß § 366 Abs 1 StPO auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.
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