OGH 12Os12/12z

OGH12Os12/12z15.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Marvan als Schriftführer in der Strafsache gegen Otto M***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 4. November 2011, GZ 603 Hv 11/11z-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Otto M***** von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe in der Zeit von 1. bis 11. Jänner 2011 „in Mistelbach als Polizeibeamter mit dem Vorsatz, Nachgenannte an ihren Rechten zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, nämlich

I./ den Staat an seinem konkreten Recht auf Strafverfolgung von Offizialdelikten und ordnungsgemäße Durchführung und Dokumentation von Amtshandlungen, indem er es unterließ,

A./ der Staatsanwaltschaft Korneuburg

1./ entgegen der Bestimmung des § 100 Abs 1 Z 1 StPO vom Verdacht der Vergewaltigung der Julia R*****, sohin eines schwer wiegenden Verbrechens, zu berichten;

2./ entgegen der Bestimmung des § 113 Abs 2 StPO über die Sicherstellung der Unterhose und DNA-Materials von Julia R***** unverzüglich, längstens jedoch binnen 14 Tagen zu berichten;

B./ entgegen den Bestimmungen der §§ 100 Abs 1 und 96 Abs 1, 2 und 5 StPO, Ermittlungen aktenmäßig festzuhalten, sodass Anlass, Durchführung und Ergebnis dieser Ermittlungen nachvollzogen werden können, insbesondere über die Anzeigeerstattung einen Amtsvermerk oder ein Protokoll aufzunehmen, Dienstvorschreibungen ordnungsgemäß zu führen, Lichtbilder des Tatorts zum Akt zu nehmen oder einen Tatortbericht zu verfassen, EKIS-Abfrage und die daraus resultierenden Lichtbilder von Verdächtigen zum Akt zu nehmen und über die Vernehmungen der Zeugen Julia R***** und Hannes U***** Protokolle zu erstellen und zum Akt zu nehmen;

II./ Julia R***** an ihren in der Strafprozessordnung garantierten Rechten, indem er es unterließ,

A./ sie über ihre Rechte als Zeugin (§§ 154 ff StPO) und Opfer (§§ 66-70 StPO) zu belehren,

B./ Julia R***** eine Bestätigung über die Sicherstellung auszufolgen oder zuzustellen und sie über das Recht, Einspruch zu erheben und eine gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung oder Fortsetzung der Sicherstellung zu beantragen, zu informieren;

III./ Hannes U***** an seinen in der Strafprozessordnung garantierten Rechten, indem er es unterließ, ihn über seine Rechte und Pflichten als Zeuge (§§ 154 ff StPO) zu informieren“,

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Die gegen den auf die mangelnde Erweislichkeit von Schädigungsvorsatz und Wissentlichkeit hinsichtlich des Befugnismissbrauchs beim Angeklagten gegründeten Freispruch gerichtete, auf Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verfehlt ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zu Punkt I./B./ des Anklagetenors waren die Tatrichter - dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend - nicht verhalten, im Urteil den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen des Angeklagten im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen, und sich mit jedem gegen ihre Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinanderzusetzen. Es genügt vielmehr, wenn das Schöffengericht im Urteil in gedrängter Form die entscheidenden Tatsachen bezeichnet und schlüssig und zureichend begründet, warum es von der Richtigkeit dieser Annahme überzeugt ist, ohne dagegen sprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen (RIS-Justiz RS0098377).

Inwiefern die Aussage des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, er habe die Protokollierung der Anzeigeerstattung oder die Anfertigung eines Amtsvermerks darüber unterlassen, „um das Mädchen ... nicht damit unnötig zu belasten“, den Angaben in der Hauptverhandlung, er habe für die informellen Befragungen keine Protokollierung für nötig erachtet, widersprechen sollte, bleibt offen.

Das eingangs zum Umfang der Begründungspflicht Ausgeführte gilt auch für die Punkt I./A./ des Anklagetenors betreffende Mängelrüge, wonach der Angeklagte auf Vorhalt des vernehmenden Beamten im Ermittlungsverfahren, die StPO sehe bei schwerwiegenden Verbrechen Berichtspflichten an die Staatsanwaltschaft vor, geantwortet habe, die Schilderungen der Julia R***** hätten für ihn unglaubwürdig geklungen, weshalb es sich nach seiner Ansicht um keine Vergewaltigung gehandelt habe.

Das weitere auf Punkt I./A./ des Anklagetenors bezogene Vorbringen der Mängelrüge, wonach der Angeklagte nach eigenen Angaben bereits etliche Anzeigen wegen Vergewaltigung zu bearbeiten hatte und er wisse, dass der Journaldienst der Staatsanwaltschaft Verfügungen für den ersten Moment treffe und rund um die Uhr erreichbar sei, läuft auf eine - im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässige - Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung hinaus. Soweit die Anklagebehörde zur Verantwortung des Angeklagten, er habe es für nicht notwendig erachtet, über die Sicherstellung zu berichten, ausführt, die Beurteilung der Frage der Notwendigkeit der Berichterstattung setze „denklogisch das Wissen um die Pflicht zur Berichterstattung“ voraus, richtet sie sich ebenfalls gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (vgl Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch4,§ 302 StGB Rz 44).

Mit dem Vorbringen zu Punkt II./B./, der Umstand, wonach Julia R***** oder deren Eltern ohnehin keinen Einspruch erhoben oder eine gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung oder Fortsetzung der Sicherstellung beantragt hätten, lasse keinen Schluss auf die beim Angeklagten fehlende subjektive Tatseite zu (Z 5 vierter Fall), verkennt die Staatsanwaltschaft, dass sich die Rüge nicht auf einzelne beweiswürdigende Erwägungen (in Hinsicht auf die bekämpfte Feststellung) beschränken darf, sondern alle miteinbeziehen muss (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 455).

Entsprechendes gilt für die Ausführungen der Rechtsmittelwerberin zu den Punkten II./A./ und III./, wonach aus dem Umstand, dass das Opfer bzw der Zeuge bei ordnungsgemäßer Belehrung „in keiner Weise anders reagiert“ hätten, nicht auf das Fehlen der subjektiven Tatseite des Angeklagten im Zeitpunkt der Unterlassung der Belehrung geschlossen werden könne.

Weshalb die Urteilsbegründung, wonach nicht festgestellt werden konnte, „dass der Angeklagte von den Berichtspflichten nach § 100 StPO oder von der Bestimmung des § 113 StPO sowie von § 96 StPO Kenntnis hatte“ (US 19) zur Konstatierung in Widerspruch (Z 5 dritter Fall) stehen sollte, wonach er nur rudimentäres Wissen über die Neuregelungen durch das Strafprozessreformgesetz 2008 hatte (US 12), bleibt offen.

Ebenso ist nicht ersichtlich, warum die Feststellung, der Angeklagte habe an eine Schädigung des Opfers oder aber der Republik auf Einhaltung der Vorschriften der Strafprozessordnung weder gedacht noch hätte er sich je mit einer solchen Schädigung abgefunden (US 6 ff), in Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zu den weiteren Konstatierungen stehen sollte, er habe vorgehabt, die Beweismaterialien vorzulegen (US 6), die Zeugen und Opfer hätten von ihren Rechten sowieso keinen Gebrauch gemacht (US 6, US 9), er habe es nicht mehr für notwendig erachtet, einen Tatortbericht vorzulegen, die EKIS-Abfragen zum Akt zu nehmen oder noch Protokolle über stattgefundene Vernehmungen anzufertigen (US 11), er habe vorgehabt, eine Anzeige erst dann zu schreiben, wenn er sich „im Klaren gewesen sei, in welche Richtung diese zielen würde“ (US 14).

Entgegen dem weiteren Beschwerdevorbringen widerspricht die Urteilskonstatierung „oder aber es handelte sich, wie er ebenfalls für möglich hielt, um eine vorgetäuschte Straftat, so hatte er für diesen Fall vor, der Anzeigerin eine Richtigstellung oder Rückziehung ihrer Anzeigebehauptungen zu ermöglichen, weshalb er kein Protokoll mit der Zeugin anfertigte“ (US 7 ff) keineswegs den Feststellungen zum fehlenden Schädigungsvorsatz.

Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts, einschließlich prozessualer Verfolgungs- voraussetzungen, mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen, zu deren Verdeutlichung das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) herangezogen werden kann. Von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend ist zur Geltendmachung eines aus Z 9 oder Z 10 gerügten Fehlers klarzustellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz hätte abgeleitet werden sollen (RIS-Justiz RS0117247).

Ein Feststellungsmangel wird geltend gemacht, indem unter Hinweis auf einen nicht durch Feststellungen geklärten, jedoch indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz angestrebt wird, weil dieses ein Tatbestandsmerkmal, einen Ausnahmesatz (Z 9 lit a bis c) oder - mit Blick auf das hier von der Staatsanwaltschaft angestrebte Ziel - eine andere rechtliche Unterstellung (Z 10) bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS-Justiz RS0118580; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 600).

Diesen Anforderungen wird die Rechtsrüge (Z 9 lit a) der Anklagebehörde nicht gerecht.

Vorauszuschicken ist, dass (auch) im Fall - wie hier - von Rechtsverletzungen im Laufe eines Ermittlungsverfahrens nach der Strafprozessordnung (fallbezogen jenes gegen einen unbekannten Täter wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB) ein Schuldspruch wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt Konstatierungen erfordert, dass der Beamte es auch ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat, den Staat in seinem Recht auf Strafverfolgung gemäß den prozessualen Vorschriften durch missbräuchliche Nichtausschöpfung aller zweckdienlichen Beweismittel oder durch Nichtvorlage des gesamten Beweismaterials zu schädigen, ohne dass sich diesbezüglich der Rechtsschädigungsvorsatz auf einen unrichtigen Ausgang des Strafverfahrens erstrecken müsste (12 Os 144/10h, 12 Os 145/10f, 12 Os 158/10t; Marek/Jerabek, Korruption und Amtsmissbrauch4, § 302 StGB Rz 53). Indem die Anklagebehörde die Feststellungen zum fehlenden Schädigungsvorsatz ignoriert, verfehlt sie eine prozessordnungskonforme Ausführung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0099810).

Soweit sie zu Punkt I./B./ der Anklage vorbringt, das Erstgericht habe „hinsichtlich der Vernehmung der Julia R***** am 3. Jänner 2011, insbesondere über die Unterlassung der Protokollierung“ „in Bezug auf die objektiven Tatbestandsmerkmale“ keine Feststellungen getroffen, lässt sie die Konstatierung der Tatrichter außer Acht, wonach der Angeklagte „sich zu keiner Zeit mit einer Schädigung weder der Republik noch der Julia R***** bzw des Hannes U***** in ihren Rechten als Opfer oder Zeugen abgefunden hatte (US 12; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 607).

Die weiteren Ausführungen der Rechtsrüge zu Punkt I./B./ beschränken sich auf die urteilsfremde Unterstellung, es fänden sich betreffend die subjektiven Tatbestandsmerkmale keine Feststellungen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

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