OGH 12Os20/12a

OGH12Os20/12a15.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2012 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Marvan als Schriftführer in der Strafsache gegen Zivorad M***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig begangenen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall, 15 StGB, AZ 9 Hv 38/11p des Landesgerichts St. Pölten, über die Anträge des Verurteilten Zivorad M***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO und auf Wiedereinsetzung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 7. Juni 2011, GZ 9 Hv 38/11p-84, wurde unter anderem Zivorad M***** des Verbrechens des gewerbsmäßig begangenen schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall, 15 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Nach Beratung mit seinem Verfahrenshilfeverteidiger erklärte der Genannte, auf Rechtsmittel gegen dieses Urteil zu verzichten (ON 83 S 17).

Die Staatsanwaltschaft erhob betreffend Zivorad M***** Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe (ON 94), zu welcher der Verteidiger eine Gegenausführung erstattete (ON 96). In der Berufungsverhandlung brachte er wie der Angeklagte selbst vor, dass dieser voll geständig sei (ON 103 S 3).

Das Oberlandesgericht gab der Berufung der Staatsanwaltschaft mit Urteil vom 7. Oktober 2011 Folge und erhöhte die Freiheitsstrafe auf vier Jahre. Dazu verwies es auf das fünffache Übersteigen der Wertgrenze des § 128 Abs 1 Z 4 StGB, auf die mehrfache Qualifikation und die sich aus den vier einschlägigen Vorstrafen ergebende, dem Vermögen anderer gegenüber zumindest gleichgültige Einstellung des Angeklagten. Seine Verantwortung stelle weder ein volles reumütiges Geständnis noch einen Beitrag zur Wahrheitsfindung dar (ON 105).

Der Verurteilte erachtet sich in seiner als Grundrechtsbeschwerde bezeichneten Eingabe, die der Sache nach als Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO aufzufassen ist, ausdrücklich in seinem durch Art 6 Abs 3 lit b MRK garantierten Recht als verletzt, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen, erstattet jedoch keine auf diesen Aspekt bezogene Ausführungen.

Rechtliche Beurteilung

Soweit er - der Sache nach aus Art 6 Abs 3 lit c MRK - vorbringt, der Verfahrenshilfeverteidiger habe ihn vor der Hauptverhandlung lediglich ein Mal in der Haft besucht, in der Verhandlung habe ihn ein ihm unbekannter Verteidiger vertreten, der ihn nicht über die Angemessenheit der Strafe und die Konsequenzen eines Rechtsmittelverzichts belehrt habe, vor der Berufungsverhandlung habe ihn ein neuer Verfahrenshilfeverteidiger aufgesucht, der noch nicht über vollständige Unterlagen verfügt habe, die Berufungsschrift der Staatsanwaltschaft sowie die Gegenausführung des seinerzeitigen Verteidigers seien dem Angeklagten nicht zur Kenntnis gelangt, ist Folgendes zu erwidern:

Das Gericht ist grundsätzlich nicht berechtigt, die Tätigkeit eines bestellten Verteidigers dahingehend zu überwachen, ob er sein Amt richtig und zweckmäßig ausübt (Fabrizy, StPO11 § 61 Rz 17). Ein Einschreiten (Art 6 Abs 3 lit c MRK) des Staats ist nach der Rechtsprechung des EGMR nur dann geboten, wenn das Fehlen einer ordnungsgemäßen Pflichtverteidigung offensichtlich ist oder die nationalen Behörden von der Nachlässigkeit eines Pflichtverteidigers sonst Kenntnis erlangt haben (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 163; EGMR U 27. 4. 2006 Sannino gg Italien, ÖJZ-MRK 2007/9, 513; 12 Os 182/10x, EvBl 2011/55, 370 mwN). Eine vom Berufungsgericht nicht wahrgenommene habituelle Untüchtigkeit des Verteidigers ist dem Vorbringen nicht zu entnehmen. Darüber hinaus hat das Gericht die Qualität der Verteidiger weder zu prüfen noch zu kontrollieren und auch nicht dagegen einzuschreiten (jüngst 11 Os 80/11s).

Was mit dem weiteren Vorbringen gemeint ist, „durch das angefochtene Urteil“ sei Zivorad M***** in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit „insbesondere dadurch verletzt, dass die rechtlichen Voraussetzungen seiner Verurteilung, in seinem Fall durch die geänderten Strafzumessungsgründe und die damit verbundene Erhöhung der Freiheitsstrafe, unrichtig beurteilt worden“ seien, bleibt ebenso unklar wie die Bezugnahme auf das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen (§§ 177 Abs 1, 9 Abs 2 StPO), kann aber dahinstehen, weil die Bemessung von Strafen nicht Gegenstand von Grundrechtsbeschwerde oder Erneuerungsantrag ist (vgl RIS-Justiz RS0123350).

Der Erneuerungsantrag war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Mangels Fristversäumnis (RIS-Justiz RS0122736) war auch der Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen.

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