OGH 14Os40/12g

OGH14Os40/12g15.5.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schöfmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Leopold H***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 16. Februar 2012, GZ 13 Hv 121/11f-19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen I und III, demgemäß auch im Strafausspruch sowie im Zuspruch von Schmerzengeld an die Privatbeteiligten Denise T***** und Carmen B***** aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Im darüber hinausgehenden Umfang wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auch einen verfehlten und solcherart wirkungslosen Qualifikationsfreispruch enthaltenden (vgl RIS-Justiz RS0115553) - Urteil wurde Leopold H***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 zweiter Fall StGB (I), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster und zweiter Fall StGB (II) und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt.

Danach hat er

in P*****

I im Zeitraum 1998 bis 2000 zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt mit der am 2. Jänner 1988 geborenen, sohin unmündigen Denise T***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er versuchte, mit einem Finger in ihre Scheide einzudringen, wobei ein gänzliches Eindringen nicht möglich war, weil Denise T***** beim Eindringen seines Fingers in ihre Vagina wegen auftretender Schmerzen zurückwich;

II im Zeitraum 1998 bis zumindest 2000 zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an der am 2. Jänner 1988 geborenen, sohin unmündigen Denise T***** vorgenommen oder an sich vornehmen lassen, und zwar in zumindest 13 Angriffen, indem er sie jeweils intensiv über der Kleidung an den Brüsten und im Genitalbereich berührte, jeweils mit seiner Hand unter ihre Kleidung fuhr und sie auf der nackten Haut an deren Brüsten und im Genitalbereich streichelte und weiters in einem Fall ihre Hand zu seinem entblößten Penis führte, sodass Denise T***** den Penis des Leopold H***** kurz berührte;

III zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Zeitraum 2001 bis 2003 die am Rücken liegende Carmen B***** mit Gewalt zu einer Handlung, nämlich dem Verweilen auf einem Couchsessel, genötigt, indem er sich auf sie setzte, ihre Schultern gegen ihren Widerstand mit den Händen hinunterdrückte und sie dadurch am Aufstehen hinderte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagte aus § 281 Abs 1 Z 5a und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde geht - soweit nach dem Folgenden auf sie einzugehen ist - ins Leere.

Wie die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend aufzeigt sind die Schuldsprüche I und III mit ungerügt gebliebener, sich zum Nachteil des Angeklagten auswirkender materieller Nichtigkeit behaftet.

Zum Schuldspruch I:

Nach der (Stamm-)Fassung des StGB, BGBl 1974/60, machte sich des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB schuldig, wer mit einer unmündigen Person den außerehelichen Beischlaf unternahm. Jede andere an einer unmündigen Person vorgenommene geschlechtliche Handlung war als Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB zu subsumieren.

Seit dem am 1. Oktober 1998 in Kraft getretenen StRÄG 1998 (BGBl I 1998/153) ist auch das Unternehmen einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung dem Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB zu unterstellen. Das Einführen eines Fingers in die Scheide ist eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung (Philipp in WK² § 201 Rz 25).

Nach § 61 StGB sind Strafgesetze auf Taten anzuwenden, die nach ihrem Inkrafttreten begangen wurden. Auf früher begangene Taten sind sie anzuwenden, wenn die Gesetze, die zur Zeit der Tat gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren.

Das (versuchte) Einführen eines Fingers in die Scheide der am 2. Jänner 1988 geborenen Denise T***** ist nur dann § 206 Abs 1 (§ 15) StGB in der geltenden Fassung zu unterstellen, wenn die Tat, was sich anhand der Urteilsfeststellungen nicht beurteilen lässt, nach dem 1. Oktober 1998 verübt wurde. Wurde sie davor begangen, ist sie § 207 Abs 1 StGB in der damals geltenden - für den Angeklagten insgesamt günstigeren - Fassung des BGBl 1974/60 zu subsumieren (vgl RIS-Justiz RS0116505).

Dem wegen § 206 Abs 1 StGB erfolgten Schuldspruch I haftet daher ein Rechtsfehler im Sinn der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 605) mangels (ausreichender) Feststellungen zum Tatzeitpunkt an.

Zum Schuldspruch III:

Diesbezüglich wurde der Angeklagte eines im Zeitraum 2001 bis 2003 verübten Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Die Strafbarkeit einer Tat erlischt (außer dem Fall des § 57 Abs 1 StGB) durch Verjährung, wobei die Verjährungsfrist - soweit hier wesentlich - beginnt, sobald die mit Strafe bedrohte Tat abgeschlossen ist und bei einer Strafbefugnis von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe drei Jahre beträgt (§ 57 Abs 2 und Abs 3 StGB).

Die Nötigung ist demnach verjährt, sofern der Ablauf der Verjährungsfrist nicht durch Verfolgungsmaßnahmen nach § 58 Abs 3 Z 3 StGB (idF vor BGBl I 2007/93) gehemmt wurde (vgl Marek in WK² § 58 Rz 2). Da das Urteil keine Feststellungen zu allfälligen verjährungshemmenden Tatsachen enthält, liegt demnach Nichtigkeit nach Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO vor (vgl Marek in WK² § 57 Rz 19).

Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass sich § 58 Abs 2 StGB nur auf die Hemmung der Verjährung der früheren und nicht auch der späteren Tat bezieht. Letztere verjährt unabhängig davon, dass der Täter zuvor (wie hier laut Schuldspruch II) ein mit strengerer Strafe bedrohtes Verhalten gesetzt hat, das später verjährt (vgl Marek in WK² StGB § 58 Rz 6).

§ 58 Abs 3 Z 3 StGB in der seit 1. Juni 2009 geltenden Fassung (BGBl I 2009/40) ist hier ebensowenig anzuwenden, weil Verjährung ohne entsprechend hemmende Maßnahmen - zumal § 105 StGB von § 58 Abs 3 StGB idF BGBl I 1998/153 nicht umfasst ist - unter der Geltung des früheren Rechts eingetreten, der Angeklagte also bereits nach früherem Recht straflos geworden wäre (Marek in WK² § 57 Rz 23, vgl auch Art 14 Abs 2 2. GeSchG BGBl I 2009/40; vgl auch 14 Os 129/10t; 14 Os 54/11i, 55/11m).

Die Schuldsprüche I und III waren demgemäß aufzuheben und eine Verfahrenserneuerung anzuordnen.

Auf die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist demnach nur in Betreff des Schuldspruchs II einzugehen:

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur schlechterdings unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (vgl RIS-Justiz RS0118780).

Indem die Rüge bloß einzelne Teile der Angaben der Denise T***** betreffend den Zeitpunkt des Beginns der sexuellen Übergriffe des Angeklagten isoliert herausgreift und solcherart deren Aussage in ihrer Gesamtheit (ON 7 S 2 f) vernachlässigt, zeigt sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen auf.

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

Der Kostenausspruch, der sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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