Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.680,84 EUR (darin enthalten 280,14 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin schloss mit der Beklagten aufgrund ihres Antrags vom 12. 1. 2005 einen Rechtsschutzversicherungsvertrag ab, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2004) zugrundelagen. Unter „Risikobeschreibung“ waren im Antrag verschiedene Fahrzeuge der Klägerin mit den jeweiligen Kennzeichen, darunter der Sattelzug-Lkw mit dem Kennzeichen WO-721 BG, angeführt.
Am 15. 2. 2007 ereignete sich bei Bologna ein Verkehrsunfall, an dem der Sattelzug-Lkw beteiligt war. Anfang Februar 2010 ersuchte letztlich die Klägerin um Kostendeckung in dem gegen den Lenker geführten Strafverfahren. Die Beklagte bestätigte die Deckung im Rahmen des Kfz-Strafgerichtsschutzes am 10. 2. 2010. Es kam zu einer - nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden - Verwechslung von Kennzeichen und zu einer deshalb geführten Korrespondenz.
Mit Schreiben vom 15. 2. 2010 kündigte die Klägerin unter Bezugnahme auf den Schadensfall vom Februar 2007 mit sofortiger Wirkung den Rechtsschutzversicherungsvertrag. Die Beklagte wies die aus ihrer Sicht unberechtigte Kündigung der Klägerin mit Schreiben vom 17. 2. 2010 zurück.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Versicherungsvertrag mit Wirkung vom 15. 2. 2010 (hilfsweise vom 17. 5. 2010) rechtswirksam gekündigt worden sei und seither nicht mehr bestehe. Sowohl in der Feuer- als auch in der Hagel- und in der Haftpflichtversicherung stünden beiden Vertragspartnern das Recht zur Kündigung nach Eintritt des Versicherungsfalls ausdrücklich zu. Nach der Rechtsprechung sei im Wege der Analogie das Kündigungsrecht nach dem Schadensfall auf alle Sparten der Sachversicherung zu erstrecken. Die Rechtsschutzversicherung falle in die gleiche Kategorie wie eine Betriebsunterbrechungsversicherung, sie sei eine Sachversicherung im weiten Sinn. Es bestehe keine Gefahr des Rechtsmissbrauchs, wenn dem Versicherungsnehmer dieses Kündigungsrecht analog eingeräumt werde.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Rechtsschutzversicherung sei keine Sachversicherung. Die analoge Anwendung des Kündigungsrechts aus dem Bereich der Sachversicherung auf die Rechtsschutzversicherung sei nicht geboten.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Rechtsschutzversicherung sei eine Sachversicherung, bei der nicht die Person des Betriebsinhabers, sondern der Fuhrpark des Betriebs der Klägerin versichert sei. Daher sei § 96 VersVG analog anzuwenden. Die Kündigung der Klägerin sei rechtswirksam.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das angefochtene Urteil in eine gänzliche Klagsabweisung ab. Die Rechtsschutzversicherung sei Kriegner in ecolex 2006, 891 f folgend keine Sachversicherung. Während der Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung ein Schadensereignis voraussetze, werde in Teilen der Rechtsschutzversicherung auf die Verstoßtheorie abgestellt. Auch wegen der leichteren Einflussmöglichkeit des Versicherungsnehmers auf den Versicherungsfall (Beratungsrechtsschutz) verbiete sich eine Analogie.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zuzulassen sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Rechtscharakter der Rechtsschutzversicherung und einer sich daraus allenfalls im Wege der Analogie zu den Bestimmungen der Feuerversicherung, der Hagelversicherung oder der Haftpflichtversicherung ergebenden Kündigungsmöglichkeit für den Versicherungsnehmer nach dem Schadensfall fehle.
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die Rechtsfrage, ob das Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers nach §§ 96, 113 und 158 VersVG analog auch in der Rechtsschutzversicherung besteht.
Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 272/04g (im Ergebnis zust Ertl, ecolex 2006, 980) betreffend eine Betriebsunterbrechungsversicherung ausgesprochen, dass das Kündigungsrecht gemäß § 96 VersVG (Feuerversicherung) im Wege der Analogie auf die Kündigung in allen Sparten der Sachversicherung zu erstrecken ist (so auch Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht³ 304; Martin, Sachversicherungsrecht³, L II 4, 948; Römer/Langheidt, VVG² [2003], § 96 Rn 4).
Bei der Rechtsschutzversicherung handelt es sich aber nicht um eine Sachversicherung. In der Sachversicherung werden - in Abgrenzung zur Personenversicherung - Sachen oder Inbegriffe von Sachen gegen Verlust, Beschädigung und Zerstörung abgesichert. Die Kategorien der Personen- und der Sachversicherung erfassen allerdings nicht alle Erscheinungsformen von Versicherungen (Brömmelmeyer in Rüffer/Halbach/Schimikowski, Versicherungsvertragsgesetz² [2011], § 1 VVG Rn 31). Die Rechtsschutzversicherung schützt den Versicherungsnehmer gegen das Entstehen von Verbindlichkeiten (Passiva) und ist - mangels einer „versicherten Sache“ - eine passive Schadensversicherung (Lafenthaler in Versicherungs-Handbuch, Rechtsschutzversicherung 2). Sie bietet Versicherungsschutz gegen die Belastung des Vermögens des Versicherungsnehmers mit Rechtskosten und ist eine echte Schadensversicherung im Sinn der §§ 49 bis 80 VersVG (3 Ob 305/02b; 5 Ob 169/06y jeweils mwN). Zwar kommt der aus der deutschen Terminologie stammende Begriff der Sachversicherung im VersVG nicht vor, jedoch zeigt sich auch aus der Differenzierung zwischen „sonstigen Sachversicherungen“ und der Rechtsschutzversicherung in § 810 Abs 2 VAG, dass die Rechtsschutzversicherung nicht zu den Sachversicherungen zählt.
Im Schrifttum werden zum Kündigungsrecht des Rechtsschutzversicherungsnehmers im Schadensfall folgende Rechtsansichten vertreten:
Fenyves (in Fenyves/Kronsteiner/Schauer, Kommentar zu den Novellen zum VersVG [1998], § 108 VersVG Rz 4) verweist darauf, dass der in § 96 Abs 1 VersVG ebenso wie in § 113 (Hagelversicherung) und § 158 Abs 1 VersVG (Haftpflichtversicherung) niedergelegte Grundsatz des paritätischen Kündigungsrechts nach dem Eintritt des Versicherungsfalls nur in diesen drei Sparten der Schadensversicherung ausdrücklich als (halb-)zwingend erklärt worden sei. Bei der erst durch die VersVG-Novellen „1992“ (richtig: 1993) und 1994 in das Gesetz aufgenommenen Rechtsschutzversicherung, die in ihren AVB eine einschlägige Bestimmung kenne (Art 15.3. ARB 1994), gebe es keine vergleichbare Regelung. Ob die Schadensversicherung ein allgemeines Prinzip der Kündigung im Schadensfall kenne, könne offen bleiben, weil die Situation in den einzelnen Sparten der Schadensversicherung doch sehr unterschiedlich sein könne. Dort, wo es eine Kündigung im Schadensfall gebe, müsse die Wertung der §§ 96 Abs 1, 113 und 158 Abs 1 VersVG, die durch §§ 108 Abs 1, 115a Abs 3 und 158a Abs 2 (halb-)zwingend gestellt worden seien, immer Beachtung finden, nicht nur in den gesetzlich geregelten Fällen, weil in diesen ein allgemeines Prinzip zum Ausdruck komme. Der Grundsatz der Parität des Kündigungsrechts nach dem Eintritt des Versicherungsfalls werde somit, wenn schon nicht durch eine Analogie zu den gesetzlich geregelten Fällen, so doch zumindest im Wege der Inhaltskontrolle auf die AVB solcher Versicherungszweige der Schadensversicherung ausstrahlen, die nicht im VersVG geregelt seien.
Gruber (Die Kündigung im Schadensfall, FS Migsch [2004] 91 [106 f]) lehnt es erkennbar ab, in der Schadensfallkündigung ein allgemeines Prinzip der Schadensversicherung zu sehen. Den §§ 96, 113, 158 iVm §§ 108 Abs 1, 115a Abs 3, 158a Abs 2 VersVG sei ein Maßstab für die Inhaltskontrolle von AVB-Klauseln über die Kündigung im Schadensfall zu entnehmen. Wenn eine AVB-Klausel ein Kündigungsrecht im Schadensfall vorsehe, ergebe sich - Fenyves folgend - aus den gesetzlichen Regelungen über die Schadensfallkündigung (§§ 96, 113, 158 VersVG), die durch andere Bestimmungen bezüglich der Parität des Kündigungsrechts halbzwingend gestellt würden (§§ 108 Abs 1, 115a Abs 3, 158a Abs 2), ein Leitbild für die Schadensfallkündigung, das den Maßstab der Inhaltskontrolle der AVB-Kündigungsklausel nach § 879 Abs 3 ABGB darstelle. Dieses Leitbild bestehe darin, dass ein Kündigungsrecht im Schadensfall, wenn es vereinbart werde, nur paritätisch ausgestaltet sein könne. Teleologisch sei dieses Leitbild des Gesetzgebers damit zu rechtfertigen, dass das Schadensfallkündigungsrecht vornehmlich im Interesse des Versicherungsnehmers bestehe, dessen Interessen durch eine Beschränkung seines Kündigungsrechts im Vergleich zum Versicherer unverhältnismäßig beeinträchtigt würden. AVB-Klauseln mit imparitätischem Schadensfallkündigungsrecht würden ohne sachliche Rechtfertigung von diesem gesetzlichen Leitbild abweichen, benachteiligten den Versicherungsnehmer gröblich und seien daher nichtig. Dies gelte etwa für die Kündigungsklauseln in Art 15.3. ARB 1994. Bei der Rechtsfolge des § 879 Abs 3 ABGB erscheine zum Schutz des Versicherungsnehmers „erwägenswert“, ob ihm nicht mit einer geltungserhaltenden Reduktion besser als mit der Nichtigkeit einer Kündigungsklausel gedient sei. Dem Versicherungsnehmer stehe außerhalb der §§ 96, 113, 158 VersVG kein Schadensfallkündigungsrecht zu, wenn die einschlägige AVB-Klausel nach § 879 Abs 3 ABGB nichtig sei. Wesentlich „sinnvoller“ könnte es im Interesse des Versicherungsnehmers sein, die Kündigungsklausel auf ihr zulässiges Maß zu reduzieren. Es widerspreche ja nicht die Kündigungsklausel an sich dem gesetzlichen Leitbild, sondern nur die imparitätische Ausgestaltung des Kündigungsrechts. Die geltungserhaltende „Reduktion“ könnte darin bestehen, die zusätzlichen Voraussetzungen für die Schadensfallkündigung des Versicherungsnehmers, wie sie in den imparitätischen Kündigungsklauseln vorgesehen seien, zu beseitigen und die Klausel mit einem für Versicherer und Versicherungsnehmer gleich ausgestalteten Schadensfallkündigungsrecht bestehen zu lassen.
Kriegner (Günstigeres Kündigungsrecht des Rechtsschutzversicherers im Schadensfall rechtswidrig?, ecolex 2006, 891) lehnt die analoge Anwendung der gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten im Versicherungsfall auf die Rechtsschutzversicherung ab. § 158 VersVG habe - ähnlich wie §§ 96 und 113 VersVG - den Zweck, beiden Vertragspartnern anlässlich des Versicherungsfalls, wenn sie diesbezüglich schlechte Erfahrung miteinander machten, die Auflösung des Vertrags zu ermöglichen. Dass dieser Zweck nicht unbedingt auch auf die Rechtsschutzversicherung zutreffen müsse, habe bereits das Oberlandesgericht Düsseldorf (VersR 1968, 243 [zust Klatt 245 f]) ausgeführt, indem es eine Analogie des § 158 VersVG auf die Rechtsschutzversicherung auch mit der Begründung abgelehnt habe, dass die Konfliktmöglichkeiten zwischen den Parteien des Versicherungsvertrags bei der Rechtsschutzversicherung wesentlich geringer als bei der Haftpflichtversicherung seien. Zudem sei der Sachverhalt/Tatbestand des Versicherungsfalls zwischen dem in § 158 VersVG erfassten Falltyp und Art 15 ARB 2006 in (Teilen) der Rechtsschutzversicherung nach den rechtlichen Wertmaßstäben nicht gleichzusetzen. Während der Versicherungsfall in der Haftpflichtversicherung ein Schadensereignis voraussetze, werde in Teilen der Rechtsschutzversicherung auf die Verstoßtheorie abgestellt. Beim Schadensereignis werde auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts abgestellt. Als Verstoß werde dagegen das Kausalereignis angesehen, also das haftungsrelevante Verhalten des Versicherungsnehmers, das den Schaden verursacht habe. In Teilen der Rechtsschutzversicherung gelte daher als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften. Würde man unter diesen Voraussetzungen in der Rechtsschutzversicherung dem Versicherungsnehmer ein unbeschränktes Kündigungsrecht im Versicherungsfall einräumen, würde das wegen des leichten Einflusses des Versicherungsnehmers auf den Versicherungsfall zur jederzeitigen Auflösbarkeit des Versicherungsvertrags durch den Versicherungsnehmer führen. Zumindest in den Bereichen der Rechtsschutzversicherung, die auf die Verstoßtheorie abstellten, sei eine Analogie auch deshalb abzulehnen, weil dies zum Missbrauch führen könnte und nicht dem Zweck des versicherungsfallbedingten Kündigungsrechts entsprechen könne. Zudem sei es den Vertragspartnern in den Versicherungsbereichen ohne ein versicherungsfallbedingtes gesetzliches Kündigungsrecht aufgrund der allgemein verbesserten Kündigungsmöglichkeiten (§ 8 VersVG) in der Regel zumutbar, trotz Unzufriedenheit mit dem Vertragspartner das vereinbarte Vertragsende abzuwarten, wie den Vertragspartnern in anderen Lebensbereichen auch. Wo tatsächlich im Einzelfall ein starkes Bedürfnis nach sofortiger Vertragsauflösung bestehe, stehe unabdingbar das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund zu. § 158 VersVG komme aber - Fenyves folgend - jedenfalls Leitbildfunktion zu. Nach Art 15 ARB 2006 stehe dem Versicherungsnehmer - anders als dem Versicherer - bei überdurchschnittlicher berechtigter Inanspruchnahme des Versicherungsschutzes ein Kündigungsrecht nicht zu, sondern nur wenn der Versicherer den Versicherungsschutz (wenn auch berechtigt) auch noch ablehne bzw verzögere. Dadurch werde in die gemäß § 158a Abs 2 VersVG festgeschriebene formale Gleichheit des Kündigungsrechts der beiden Vertragspartner zu Lasten des Versicherungsnehmers eingegriffen. Ein Ausschluss des Kündigungsrechts bei „bloß“ berechtigter überdurchschnittlicher Inanspruchnahme des Versicherungsschutzes durch den Versicherungsnehmer bei gleichzeitiger Gewährung dieses Kündigungsrechts für den Versicherer sei unzulässig. Da in der Rechtsschutzversicherung kein gesetzliches versicherungsfallbedingtes Kündigungsrecht bestehe, müsse - unter der Voraussetzung der formalen Gleichheit - ein Ausschluss bzw eine Einschränkung grundsätzlich zulässig sein. Der Versicherungsnehmer habe in der Rechtsschutzversicherung nach dem Gesetz kein versicherungsfallbedingtes Kündigungsrecht, das heiße von einem vertraglichen Ausschluss bzw einer Einschränkung des versicherungsfallbedingten Kündigungsrechts könne - mangels Analogie des § 158 VersVG - gar nicht die Rede sein, weil man nichts ausschließen bzw einschließen könne, das nicht gesetzlich vorgeschrieben sei. Entweder werde dem Versicherungsnehmer auch bei überdurchschnittlicher berechtigter Inanspruchnahme der Versicherung ein Kündigungsrecht eingeräumt oder es könne dieses Kündigungsrecht auch für den Versicherer nicht zulässig vereinbart werden.
Reisinger (Versicherungsrechtliche Entscheidungen, Kommentar zu 7 Ob 83/08v) führt zur Frage, ob eine Schadensfallkündigung auch in dem im Gesetz nicht geregeltem Bereich der Rechtsschutzversicherung möglich sei, aus, es spreche nichts dafür, eine Analogie zur Sachversicherung und Haftpflichtversicherung anzunehmen, weil die Bestimmungen über die Rechtsschutzversicherung eine Beschränkung des Kündigungsrechts (wie etwa bei der Krankenversicherung nach „§ 189i“ [gemeint wohl: § 178i] VersVG) nicht kennen.
Geist (in Kronsteiner/Lafenthaler, Erläuterungen zu den Musterbedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung [ARB 1994] 153 f) legt zu Art 15.3. ARB 1994 dar, dass die Kündigungsrechte des Versicherers und des Versicherungsnehmers gleichwertig bzw ausgewogen, nicht jedoch „gleich“ im Wortsinn sein müssten. Wenn der Versicherer sein eigenes Kündigungsrecht nach sachlichen Gesichtspunkten - wie dies im Art 15 ARB 1994 erfolgt sei - einschränke, dann sei auch eine Vereinbarung über ein eingeschränktes Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers im Schadensfall zulässig, wenn die Regelung ausgewogen sei. Aus diesem Grund seien die Kündigungsrechte des Versicherungsnehmers erweitert und das Kündigungsrecht des Versicherers durch eine Beschreibung des Zwecks eingeschränkt worden. Würde man in der Rechtsschutzversicherung dem Versicherungsnehmer ein uneingeschränktes Kündigungsrecht im Schadensfall einräumen, würde dies wegen des großen Einflusses des Versicherungsnehmers auf den Versicherungsfall (Verstoßtheorie; Bedarf nach Rechtsberatung) zur jederzeitigen Auflösbarkeit des Versicherungsvertrags durch den Versicherungsnehmer führen. Lafenthaler (in Versicherungs-Handbuch, Rechtsschutzversicherung 14) schließt sich der letztgenannten Aussage an und vertritt die Ansicht, dass ein paritätisches Kündigungsrecht, das im Schadensfall dem Rechtsschutzversicherungsnehmer die gleichen Kündigungsmöglichkeiten wie dem Versicherer einräume, - im Gegensatz zur Feuer-, Hagel- und Haftpflichtversicherung - nicht „vorgesehen“ sei.
Prölss (in Prölss/Martin, VVG27 § 8 Rn 5; in diesem Sinn auch Prölss/Armbrüster in Prölss/Martin aaO § 13 ARB 94 Rn 3) vertritt die Ansicht, dass eine analoge Anwendung des § 96 dVVG aF auf sonstige „normale“ Sachversicherungszweige und eine solche des § 158 dVVG aF auf die Rechtsschutzversicherung aus Gründen der Rechtssicherheit wohl ausscheide. Gesetzliche Kündigungsrechte sollten grundsätzlich auf ihren unmittelbaren Anwendungsbereich beschränkt bleiben, auch wenn ihr Zweck in anderen Fällen ebenfalls zutreffe. Das hindere jedoch nicht, dass die Bestimmungen für AVB Leitbildfunktion hätten, wenn ihre Analogie sachlich - also ohne Rücksicht auf die Rechtssicherheit - gerechtfertigt wäre. Jedenfalls seien AVB nichtig (§ 307 Abs 1 BGB), wenn sie dem Versicherungsnehmer anlässlich des Schadensfalls nicht unter gleichen Bedingungen ein Kündigungsrecht einräumten wie dem Versicherer.
Kollhosser (in Prölss/Martin, VVG27 § 96 Rn 2) legt dar, dass ein hinreichendes Bedürfnis für eine Analogie (zu §§ 96, 113, 158 dVVG aF) heute in der Regel nicht mehr gegeben sei. Schon bei Schaffung des dVVG habe der Gesetzgeber ein solches Kündigungsrecht nicht für alle damals schon von ihm geregelten Sachversicherungsbereiche anerkannt, nämlich nicht für die Tier- und Transportversicherung, weil die Verhältnisse unterschiedlich seien. Im Lauf der Zeit sei ein etwaiges Analogiebedürfnis außerdem geschrumpft. Zum einen enthielten heute die AVB für viele Sachversicherungsbereiche verfallsbedingte Kündigungsrechte. Zum anderen sei es den Vertragspartnern in den Bereichen ohne ein solches ausdrücklich geregeltes besonderes Kündigungsrecht auf Grund der allgemein verbesserten Kündigungsmöglichkeiten (§ 8 Abs 2 dVVG aF) und der gesetzlichen Beschränkung der Vertragshöchstdauer (§ 8 Abs 3 dVVG aF) heute in der Regel zumutbar, trotz Unzufriedenheit mit dem Vertragspartner das vereinbarte Vertragsende abzuwarten, wie den Vertragsparteien in anderen Lebensbereichen auch. Wo tatsächlich im Einzelfall ein starkes Bedürfnis nach sofortiger Vertragsauflösung vorhanden sei, stehe unabdingbar das allgemeine Recht zur sofortigen Kündigung aus wichtigem Grund zur Verfügung.
Mit der Neufassung des dVVG erfolgte für den Bereich der Sachversicherung eine Erweiterung des Kündigungsrechts (§ 92 dVVG nF), indem das Kündigungsrecht von der Feuerversicherung auf die gesamte Sachversicherung erstreckt wurde. Zudem enthält auch § 111 dVVG nF (Haftpflichtversicherung) ein Kündigungsrecht nach Eintritt des Versicherungsfalls. Keine Änderung erfuhr diesbezüglich die Rechtsschutzversicherung. Nach Fausten (in Münchner Kommentar zum VVG [2010] § 11 VVG Rn 46) habe eine Einzelanalogie des für die Sparte Haftpflicht geschaffenen § 111 Abs 1 dVVG nF auf artverwandte Versicherungszweige, etwa den der Rechtsschutzversicherung, allein schon aus Gründen der Rechtssicherheit außer Betracht zu bleiben, weil durch Gesetz angeordnete Sonderkündigungsrechte grundsätzlich nicht über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus ausgedehnt werden sollten. Für Armbrüster (in Prölss/Martin, VVG28 § 92 Rn 2) fehlt es für eine Erstreckung des Kündigungsrechts (des § 92 dVVG nF) auf andere Zweige der Schadensversicherung, jedenfalls wenn keine kombinierte Sach- und Schadensversicherung vorliege, angesichts der Novellierung bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.
Der Oberste Gerichtshof hat dazu nun Folgendes erwogen:
Nach der Rechtsprechung setzt ein Analogieschluss das Vorhandensein einer Gesetzeslücke, das heißt einer „planwidrigen“, nicht gewollten Unvollständigkeit voraus. Eine solche Lücke ist dort anzunehmen, wo das Gesetz gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie unvollständig und ergänzungsbedürftig ist, ohne dass eine Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Eine echte Lücke liegt vor, wenn man von einem bestimmten Standpunkt aus die konkrete Regelung eines Sachverhalts erwartet, eine solche aber fehlt. Die bloße Meinung des Rechtsanwenders, eine Regelung sei wünschenswert, rechtfertigt die Annahme einer Gesetzeslücke noch nicht. Genauso bedeutet es noch keine durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke, wenn der Gesetzgeber eine Regelung nicht vorgenommen hat, die ein Autor als wünschenswert empfindet. Den Gerichten kommt nämlich nicht die Aufgabe zu, im Wege einer allzu weitherzigen Interpretation rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen, die den Gesetzgeber bisher (bewusst oder unbewusst) nicht veranlasst haben, eine Gesetzesänderung vorzunehmen. Analogie ist daher ausgeschlossen, wenn ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber die Rechtsfolge nur eintreten lassen will, wenn gerade die Voraussetzungen des geregelten Tatbestands erfüllt sind, also die Nichtregelung dem Plan des Gesetzes entspricht (7 Ob 13/10b mwN).
Die Rechtsschutzversicherung wurde zunächst durch BGBl Nr 1993/90 (in Umsetzung der Rechtsschutzversicherungs-Richtlinie 87/344/EWG) und in weiterer Folge durch die VersVG-Novelle 1994, BGBl Nr 1994/509, im VersVG gesetzlich geregelt. Die ARB enthielten bereits damals (vgl Art 15.3.2 ARB 1994; Fenyves aaO § 108 Rz 4) und auch schon vorher (vgl Art 15.3. ARB 1988; Fenyves aaO § 108 Rz 1) ein Kündigungsrecht im Schadensfall. Der Gesetzgeber griff dieses weder als gesetzliche Regelung in den §§ 158j ff VersVG auf noch gestaltete er das Kündigungsrecht paritätisch aus. Letzteres widerspricht dem Regelungskonzept des Gesetzgebers der VersVG-Novelle 1994, wie er es in der Sachversicherung in den §§ 96 und 108 Abs 1 VersVG sowie in den §§ 113 und 115a Abs 3 VersVG und in der Haftpflichtversicherung in den §§ 158 und 158a Abs 2 VersVG verwirklichte. Da die ARB schon vor den Gesetzesnovellen ein imparitätisches Kündigungsrecht zu Lasten des Versicherungsnehmers vorsahen (und noch immer vorsehen), hätten sie damit wohl eine korrigierende Reaktion des Gesetzgebers hervorrufen müssen, hätte er diesbezügliche Regelungen aus der Sach- und der Haftpflichtversicherung auch für die Rechtsschutzversicherung übernehmen wollen. Die Schadensfallkündigung in der Rechtsschutzversicherung ist aber, weiterhin nur in den ARB und nicht (auch) im VersVG geregelt (Gruber aaO 106 und 107). Auch in den zahlreichen Novellen zum VersVG seit 1994 wurde kein solches Kündigungsrecht im Schadensfall geschaffen. Zwar besteht diesbezüglich ein rechtspolitischer Wunsch der Versicherungsmakler (Gisch, Die VersVG-Novelle aus der Sicht der Versicherungsmakler, VR 2011, 45 [49]: „versicherungsrechtlicher Dauerbrenner“), den der Gesetzgeber aber nicht aufgegriffen hat. Schon daraus ergibt sich, dass mangels „planwidriger“ Gesetzeslücke eine analoge Anwendung des gesetzlich geregelten Kündigungsrechts im Schadensfall auf die Rechtsschutzversicherung nicht in Betracht kommt. Zudem ist auf die vom Oberlandesgericht Düsseldorf (VersR 1968, 243 [zust Klatt aaO 245 f]) und Kriegner (aaO) angeführten Unterschiede zwischen der Haftpflichtversicherung und der Rechtsschutzversicherung zu verweisen, die einer analogen Anwendung des § 158 Abs 1 VersVG in der Rechtsschutzversicherung entgegenstehen.
Die Revision ist daher nicht berechtigt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.
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