Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil (zur Gänze) aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gerhard H***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen - abweichend von der wider ihn in Richtung des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB erhobenen Anklage - des Verbrechens des Totschlags nach §§ 15, 76 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er sich am 15. August 2010 in A***** in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, (seine Schwester) Romana H***** durch mehrfache, gegen deren Kopf gerichtete wuchtige Schläge mit einem ca 500 Gramm schweren Hammer und einer ca 90 cm langen Säge vorsätzlich zu töten, wobei die Tat im Versuchsstadium verblieb.
Die Geschworenen hatten jeweils die anklagekonform gestellte Hauptfrage nach versucht gebliebenem Mord (§§ 15, 75 StGB) verneint und die Eventualfrage 1./ nach versuchtem Totschlag (§§ 15, 76 StGB) bejaht. Weitere Eventualfragen nach absichtlich schwerer Körperverletzung (§ 87 Abs 1 StGB) und nach schwerer Körperverletzung (§ 84 Abs 1, Abs 2 Z 1 StGB) blieben folgerichtig unbeantwortet.
Die Staatsanwaltschaft bekämpft den Schuldspruch zum Nachteil des Angeklagten mit einer auf § 345 Abs 1 Z 6 und 12 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft sprach sich bereits in der Hauptverhandlung gegen die Stellung der Eventualfrage 1./ nach im Stadium des Versuchs gebliebenem Totschlag (§§ 15, 76 StGB) aus. Nach Abweisung seines Antrags auf Streichung dieser Eventualfrage durch den Schwurgerichtshof behielt er sich die Nichtigkeitsbeschwerde vor (§ 345 Abs 4 StPO [ON 68 S 64]). Die prozessualen Voraussetzungen für die Anfechtung der Fragestellung sind daher gegeben.
Die Staatsanwaltschaft führt in ihrer Fragenrüge (Z 6) zutreffend aus, dass die von ihr bekämpfte Eventualfrage nicht indiziert war. Eine Eventualfrage ist nämlich (unter anderem) nur dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, nach denen, sofern sie als erwiesen angenommen werden, die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes, nicht strengeres Strafgesetz fiele (§ 314 Abs 1 StPO). Bezogen auf die hier aktuelle Fallkonstellation setzt die Stellung einer Eventualfrage nach Totschlag demnach ein bestimmtes Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung voraus, das, wenn es zutrifft, die rechtliche Annahme zulässt, der Angeklagte habe sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung hinreißen lassen, Romana H***** vorsätzlich zu töten.
Derartige Tatsachen wurden jedoch, wie die Anklagebehörde zutreffend rügt, in der Hauptverhandlung nicht vorgebracht. Der Angeklagte hat sich des Versuchs, Romana H***** vorsätzlich zu töten, nicht schuldig bekannt (ON 68 S 4, ON 5 S 39). Er will in das von seiner Schwester und seiner Mutter bewohnte Haus trotz polizeilichen Betretungsverbots durch Eintreten der Hintertür eingedrungen sein, weil er „angeschleimt“ gewesen sei. Dies teils aus Ärger über Lärm vom Balkon der Wohnung seiner Schwester (ON 5 S 37), für den sich der Angeklagte einerseits vor den Nachbarn genierte, andererseits weil dieses nicht erstmalige lautstarke Verhalten der - allerdings im Tatzeitpunkt nicht anwesenden - Mutter ein Zusammenleben mit Romana H***** im gemeinsamen Haus verleidete und sie bereits mehrfach zum vorübergehenden Verlassen ihrer Wohnung bewogen hatte; teils habe er aber auch aus Angst um seine Schwester wegen allfälliger nicht vertrauenswürdiger Besucher gehandelt. Das spätere Tatwerkzeug habe er nur zur Abschreckung allenfalls gefährlicher Besucher mitgenommen, um diese zu verscheuchen. Nachdem die jugendlichen Besucher seiner Schwester über seine Aufforderung fluchtartig die Wohnung verlassen hatten, habe Romana H***** gemeint, sie würde die Polizei rufen, worauf er gesagt habe „sicher nicht“. Weitere Erinnerungen an den Vorfall habe er nicht, er sei wieder zu sich gekommen, als seine Schwester neben ihm am Boden lag und überall Blut gewesen sei, worauf er - im Glauben, sie getötet zu haben - die Polizei gerufen habe (ON 68 S 4 f).
Die gerichtsmedizinische Sachverständige geht in ihrem Gutachten (ON 68 S 28) von einer erheblichen Alkoholisierung (zwischen 1,8 und 2,24 Promille BAW) des Angeklagten im Tatzeitpunkt aus (ON 68 S 28, 30 iVm ON 24). Die psychiatrischen Experten attestierten eine mittelstarke Alkoholisierung und erachteten im Wesentlichen übereinstimmend Störungen iSd § 11 StGB und einen Rauschzustand nach § 287 StGB als nicht nachweisbar. Univ.-Prof. Dr. Ha***** geht für den Tatzeitpunkt von einer erheblichen affektiven Erregung im Sinne eines protrahierten Affekts aus und erachtet die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tat, die sich als komplexes, im Wesentlichen vom Angeklagten gestaltetes Geschehen darstellt, als hochgradig eingeschränkt, aber nicht aufgehoben (ON 62 S 163 iVm ON 68 S 57). Nach den Ausführungen Dris. K***** befand sich der Angeklagte bei der Tatbegehung in einem durch einen chronischen Konflikt und eine mittelgradige Berauschung labilisierten Zustand, wobei die Konfliktsituation durch die Persönlichkeit des Angeklagten wesentlich mitkonstelliert wurde und der Tatablauf psychodynamisch nur vor dem Hintergrund seiner impulsiven Persönlichkeitsstruktur und seiner erhöhten Kränkbarkeit nachvollziehbar erscheint (ON 44 S 61 iVm ON 68 S 59).
Diese Verfahrensergebnisse indizieren zwar eine heftige Gemütsbewegung zur Tatzeit, schließen aber deren Beurteilung als allgemein begreiflich jedenfalls aus. Denn allgemein begreiflich ist eine Gemütsbewegung nur, wenn das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlass und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand so beschaffen ist, dass sich ein Durchschnittsmensch vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls in eine solche Gemütsverfassung geraten. Die Ursache der Gemütsbewegung muss somit - objektiv gesehen - sittlich verständlich sein. Sie darf daher nicht im psychisch abnormen Persönlichkeitsbild des Täters oder in seinen verwerflichen Leidenschaften oder Neigungen liegen, sondern muss ausschließlich in äußeren, opferbezogenen Umständen begründet sein (Moos in WK² § 76 Rz 37 f; RIS-Justiz RS0092259, RS0099233).
Im vorliegenden Fall war nach dem Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung der (allfällige) Affekt beim Angeklagten nur eingetreten, weil dieser infolge Alkoholmissbrauchs enthemmt war und sich durch das ihn nicht unmittelbar betreffende Lärmen seiner Schwester und ihrer Besucher sowie durch die - zufolge Zuwiderhandelns gegen das aufrechte Betretungsverbot und Auftretens mit einem Hammer und einer Säge begründete - Ankündigung seiner Schwester, die Polizei zu rufen, aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur - anders als ein Durchschnittsmensch - zur Tat hinreißen ließ. Die Ursache des Affekts war demnach nicht in äußeren Umständen, sondern im Persönlichkeitsbild des Angeklagten und in seiner Neigung zu Alkoholmissbrauch begründet. Dies lässt bereits eine sozialethisch positive Bewertung im Sinne einer allgemeinen Begreiflichkeit des Affekts nicht zu.
Überdies kann dem mit Werkzeug bewaffneten, unter bewusstem Verstoß gegen das aufrechte Betretungsverbot in die Wohnung seiner Schwester eindringenden, einen Konflikt damit geradezu heraufbeschwörenden Angeklagten, dessen Mutter zufolge ihrer vorübergehenden Abwesenheit durch den Lärm aktuell nicht gestört wurde, bloß wegen eines (behaupteten) gegenüber Nachbarn empfundenen Schamgefühls für das lärmende Verhalten seiner Schwester kein sittliches Verständnis entgegengebracht werden. Ein mit den rechtlichen Werten verbundener Mensch in der Lage des Angeklagten wäre insgesamt nicht in einen heftigen Affekt geraten (Moos in WK² § 76 Rz 47).
Mangels eines tatsächlichen Substrats, das die rechtliche Beurteilung der Tat als Fall privilegierter vorsätzlicher Tötung eines Menschen iSd §§ 15, 76 StGB zugelassen hätte, war somit die Stellung einer diesbezüglichen Eventualfrage verfehlt (vgl RIS-Justiz RS0100604).
Demnach war - wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte - der Fragenrüge der Staatsanwaltschaft Folge zu geben, der Wahrspruch sowie der darauf beruhende Schuldspruch und demgemäß auch der Strafausspruch aufzuheben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 349 Abs 1 StPO).
Ein Eingehen auf die Subsumtionsrüge (Z 12) erübrigte sich.
Die Berufungen waren auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.
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