Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung
Der Kläger begehrte die Feststellung der auf § 7 Arbeiterkammergesetz (AKG) gestützten Verpflichtung der beklagten Kammer, ihm in einem bestimmten vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien anhängigen Verfahren Rechtsschutz durch gerichtliche Vertretung in vollem Umfang zu gewähren. Er brachte vor, die beklagte Partei habe mit Schreiben vom 30. 9. 2009 seinem Antrag auf Gewährung von Rechtsschutz für eine Klage gegen seinen ehemaligen Dienstgeber wegen Rechnungslegung zugestimmt. Daraufhin habe er die auf Rechnungslegung und Zahlung eines noch unbezifferten Betrags gerichtete Klage eingebracht. Nach erfolgter Rechnungslegung habe der Kläger das Leistungsbegehren konkretisiert. Mit Schreiben vom 2. 9. 2010 habe die beklagte Partei dem Begehren auf Rechtsschutzgewährung für das Leistungsbegehren nur insoweit stattgegeben, als sie dem Kläger kostenlose Rechtsvertretung unter der Voraussetzung gewährte, dass er sich verpflichte, im Fall des (teilweisen) Unterliegens oder eines Vergleichs die Gerichtsgebühren, Barauslagen und die gegnerischen Kosten selbst zu tragen. Dies sei damit begründet worden, dass aufgrund der gegensätzlichen Rechts- und Tatsachenbehauptungen der Prozessparteien an einer erfolgreichen Prozessführung zu zweifeln sei. Die beklagte Partei dürfe daher gemäß § 7 Abs 5 AKG nicht Rechtsschutz in vollem Umfang gewähren. Der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde des Klägers habe die Rechtsschutzkommission zweiter Instanz nicht entsprochen. Die beklagte Partei habe nicht näher begründet, weshalb die vom Kläger dargestellte Sach- und Beweislage keine Aussicht auf einen positiven Verfahrensausgang zulasse. Nach den Bestimmungen des Rahmenregulativs zu § 7 AKG wäre sie zu einer derartigen Begründung verpflichtet gewesen. Die Entscheidung der beklagten Partei sei daher im Ergebnis ohne sachliche Begründung erfolgt.
Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs a limine zurück. Die in § 7 AKG geregelte Leistungserbringung der beklagten Partei gegenüber ihren eigenen Mitgliedern sei eine typische Angelegenheit ihres eigenen Wirkungsbereichs. Bei der den Rechtsschutz ablehnenden Entscheidung der beklagten Partei handle es sich um einen Bescheid.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Das Rekursgericht teilte die Auffassung des Erstgerichts, wonach die Gewährung von Rechtsschutz in den eigenen Wirkungsbereich der Arbeiterkammern falle. Die Übertragung hoheitlicher Vollzugsaufgaben in den eigenen Wirkungsbereich gehöre nach herrschender Meinung zum Wesensmerkmal nichtterritorialer Selbstverwaltungskörper. Die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben erfolge regelmäßig durch die Erlassung von Bescheiden. Die zuständigen Organe der beklagten Partei hätten daher grundsätzlich mit Bescheid festzustellen, ob Rechtsschutz gewährt werde oder nicht. Ob die Schreiben der beklagten Partei, mit welchen diese dem Kläger vollen Rechtsschutz versagte, ungeachtet ihrer tatsächlichen Bezeichnung als Bescheid zu qualifizieren seien, müsse nicht beantwortet werden. Eine bürgerliche Rechtssache, die der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen wäre, liege nach der gesetzlichen Zuordnung des Gesetzgebers jedenfalls nicht vor. Bedenken gegen diese Zuordnung bestünden auch nicht unter dem Aspekt des Artikel 6 EMRK. Es sei weiters nicht erforderlich, den administrativen Instanzenzug, der durch die Bestimmungen des AKG und die auf dessen Basis erlassenen Regulative vorgegeben sei, näher zu beleuchten. Die im Rekurs aufgestellte Behauptung, die beklagte Partei habe dem Kläger die Gewährung von Rechtsschutz vertraglich zugesichert, verstoße gegen das Neuerungsverbot.
Zur Begründung seines Zulassungsausspruchs führte das Rekursgericht aus, dass zur Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs für eine auf Gewährung von Rechtsschutz gemäß § 7 AKG gerichtete Klage Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.
Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Er ist jedoch nicht berechtigt.
Der Kläger macht geltend, dass die Gewährung von Rechtsschutz ihrem Inhalt nach keineswegs eine typische Angelegenheit darstelle, die ein Selbstverwaltungskörper im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen habe. Folgte man dieser Ansicht, wären die Bestimmungen der §§ 7 und 14 AKG iSd Art 120a B-VG verfassungswidrig. Die Gewährung von Rechtsschutz erfolge auch nicht im Rahmen der Übertragung hoheitlicher Vollzugsaufgaben. Es fehle eine entsprechende gesetzliche Zuordnung, sodass der Anspruch nach den §§ 7 und 14 AKG bei den ordentlichen Gerichten geltend zu machen sei. Dem erstinstanzlichen Vorbringen des Klägers sei klar zu entnehmen, dass ihm die beklagte Partei dem Grunde nach (uneingeschränkten) Rechtsschutz zugesichert habe und lediglich die Höhe des zu leistenden Aufwandersatzes strittig sei.
Hiezu wurde erwogen:
1. Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs sind in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und die Klagebehauptungen von Bedeutung. Es kommt auf die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruchs an, wofür wiederum der geltend gemachte Rechtsgrund ausschlaggebend ist. Danach ist zu entscheiden, ob ein privatrechtlicher Anspruch iSd § 1 JN erhoben wurde, der vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen ist (2 Ob 80/06p mwN; 1 Ob 195/10y; 2 Ob 203/10g; RIS-Justiz RS0045644, RS0045584 ua). Unter privatrechtlichen Ansprüchen sind jene anspruchsbegründenden rechtlichen Regelungen zu verstehen, die auf Gleichbehandlung beruhende Rechtsbeziehungen zwischen beliebigen Rechtssubjekten zum Gegenstand haben (2 Ob 80/06p mwN; vgl RIS-Justiz RS0045438; P. Bydlinski in KBB³ § 1 Rz 2).
2. Rechtsgrundlage für das Arbeiterkammerwesen ist das Arbeiterkammergesetz 1992 (AKG). Gemäß § 1 AKG sind die Kammern für Arbeiter und Angestellte und die Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte berufen, die sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu vertreten und zu fördern. Zufolge § 3 AKG sind die Arbeiterkammern und die Bundesarbeitskammer Körperschaften des öffentlichen Rechts. Nach § 14 iVm § 7 AKG hat jeder kammerzugehörige Arbeitnehmer Anspruch auf Rechtsberatung und Rechtsschutz in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten nach Maßgabe des von der Bundesarbeitskammer beschlossenen Rahmen-Regulativs, das die Grundlage für die Regulative auf Landesebene bildet. Das Rechtsschutzregulativ der beklagten Partei sieht einen kammerinternen Instanzenzug vor. Insofern existiert demnach - anders als noch nach dem AKG 1954 (vgl SZ 38/107) - eine gesetzliche Verpflichtung gegenüber dem einzelnen Kammermitglied (Reischauer in Rummel, ABGB³ II/2a § 1300 Rz 16; Cerny, Arbeiterkammergesetz 1992, DRdA 1992, 65 [66]). Die Arbeiterkammern und die Bundesarbeitskammer unterliegen der Aufsicht des Bundesministers für Arbeit und Soziales, der in Ausübung der Aufsicht ua gesetzwidrige Beschlüsse aufzuheben und das Rahmen-Rechtsschutzregulativ zu genehmigen hat (§ 91 AKG).
3. § 7 AKG („Rechtsschutz“) lautet auszugsweise wie folgt:
„(1) Die Arbeiterkammern haben kammerzugehörige Arbeitnehmer in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten zu beraten und ihnen insbesondere Rechtsschutz durch gerichtliche Vertretung in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten nach Maßgabe eines von der Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer zu beschließenden Rahmen-Regulativs zu gewähren.
[…]
(5) Rechtsschutz muss nicht oder nicht in vollem Umfang gewährt werden, wenn
1. er offenbar mutwillig oder in einem aussichtslosen Fall oder gegen eine hinlänglich ausjudizierte Rechtsmeinung verlangt wird oder
2. er im Vergleich zu dem zu erwartenden Erfolg einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordern würde oder
3. die Prozessführung im Einzelfall den von den Arbeiterkammern gemäß § 1 wahrzunehmenden allgemeinen Interessen der Arbeitnehmer widersprechen würde.“
In den Gesetzesmaterialien (AB 252 BlgNR 18. GP, 7) wird zu § 7 AKG ua folgendes ausgeführt:
„Im Streitfall hat zunächst die Arbeiterkammer durch Bescheid festzustellen, ob Rechtsschutz gewährt wird oder ob ein entsprechender Antrag eines Kammerzugehörigen deswegen abgelehnt wird, weil die Arbeiterkammer der Auffassung ist, dass die Voraussetzungen für den Rechtsschutz entweder aufgrund des Gesetzes oder aufgrund des Rahmenregulativs bzw des Regulativs der Länderkammer nicht gegeben sind. Der Rechtsschutzwerber kann gegen einen ablehnenden Bescheid die im allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz vorgesehenen Rechtsmittel ergreifen, wobei letzte Instanz im ordentlichen Verwaltungsverfahren der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist, gegen dessen Entscheidung die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofs bzw des Verfassungsgerichtshofs möglich ist. Es ist allerdings zu bedenken, dass der Selbstverwaltungskörper Arbeiterkammer bei der Frage, ob im Einzelfall Rechtsschutz gewährt wird oder nicht, einen gewissen Ermessensspielraum besitzt. Dies ergibt sich schon aufgrund des Abs 1, wonach lediglich 'nach Maßgabe eines von der Hauptversammlung der Bundesarbeitskammer zu beschließenden Rahmenregulativs' Rechtsschutz zu gewähren ist. Jene Behörden und Gerichtshöfe, die über Bescheide der Arbeiterkammer in Angelegenheiten der Rechtsschutzgewährung entscheiden, können einen entsprechenden Bescheid der Arbeiterkammer also nur dann aufheben wenn die Arbeiterkammer bei ihrer Entscheidung das pflichtgemäße Ermessen überschritten hat.“
Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu allerdings bereits festgehalten, dass der in den Gesetzesmaterialien erwähnte Instanzenzug gegen ablehnende Bescheide „der Arbeiterkammer“ an den zuständigen Bundesminister im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden hat (VwGH 4. 10. 2000, 2000/11/0014).
4. Der Oberste Gerichtshof hat die Auffassung vertreten, dass die beratenden und die Interessen vertretenden Tätigkeiten der nichtterritorialen Selbstverwaltungskörper ohne Zwangsautorität wahrgenommen werden und daher nicht in den Bereich der Hoheitsverwaltung fallen, sondern dem „gesellschaftlichen“ Wirkungsbereich der Selbstverwaltung zuzuordnen sind (vgl 1 Ob 143/06w; 4 Ob 67/11y; auch Rill/Stolzlechner in Kneihs/Lienbacher [Hrsg] Rill-Schäffer-Kommentar [6. Lfg, 2010] Art 120a B-VG Rz 15). Aus fehlerhafter Rechtsberatung abgeleitete Schadenersatzansprüche eines Kammermitglieds wurden nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen geprüft (vgl 1 Ob 250/02z; dazu Naderhirn/Resch, Sachverständigenhaftung der Arbeiterkammer für ihre Angestellten?, RdW 2003, 271). Um solche Schadenersatzansprüche geht es hier aber nicht, sondern um einen Rechtsschutzgewährungsanspruch aus einer gesetzlichen Pflichtmitgliedschaft.
5. Zu den weisungsfrei (im „eigenen Wirkungsbereich“) zu besorgenden Angelegenheiten der Arbeiterkammern zählt auch die Gewährung von Rechtsschutz gemäß § 7 AKG (VwGH 4. 10. 2000, 2000/11/0014; VfGH 2. 3. 2001, WI-14/99; Rill/Stolzlechner aaO Art 120a B-VG Rz 16 FN 70). Der Verfassungsgerichtshof sieht in dieser Bestimmung die Ermächtigung zu hoheitlichem Handeln. Sofern im Einzelfall strittig sei, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Rechtsschutz - einer primären Aufgabe der Kammer - gegeben sind, habe die Arbeiterkammer darüber durch Bescheid zu befinden, wogegen der Rechtsmittelwerber im Einzelfall die im AVG vorgesehenen Rechtsmittel ergreifen könne (VfGH 30. 6. 2007, KI-1/07).
Der erkennende Senat schließt sich der Meinung des Verfassungsgerichtshofs an. Von „gesellschaftlichen“ Aktivitäten der Arbeiterkammern unterscheidet sich deren Verpflichtung zur Gewährung von Rechtsschutz durch gerichtliche Vertretung maßgeblich dadurch, dass „im Streitfall“ nach Maßgabe der auf der Grundlage des Rahmen-Regulativs der Bundesarbeitskammer beschlossenen Verfahrensordnungen (Rechtsschutzregulative) Entscheidungen über Rechtsschutzanträge zu treffen sind, bei denen den Arbeiterkammern ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt ist (vgl § 7 Abs 5 AKG). Ihnen kommt in diesem Bereich somit nach bestimmten Verfahrensregeln ausschließliche Entscheidungsbefugnis zu. Eine Nachprüfung dieser Entscheidung im ordentlichen Rechtsweg nach Ausschöpfung des kammerinternen Instanzenzugs (etwa im Wege einer „sukzessiven Kompetenz“ oder nach dem Vorbild des § 8 Abs 1 VerG) ist gesetzlich nicht vorgesehen.
6. Unbedenklich ist die zweitinstanzliche Auslegung des klägerischen Prozessvorbringens dahin, dass dieses keinen Hinweis auf eine vertragliche Grundlage für den geltend gemachten Anspruch enthält.
7. Aus den dargelegten Erwägungen ist den Vorinstanzen darin beizupflichten, dass der Klage das Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegensteht. Dem Revisionsrekurs muss daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.
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