OGH 16Ok4/11

OGH16Ok4/115.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Bauer und Dr. Ertl als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, Wien 2, Praterstraße 31, gegen die Antragsgegnerinnen 1. S***** AG, *****, vertreten durch Mag. Dr. Axel Reidlinger, Rechtsanwalt in Wien, 2. A***** GmbH, *****, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte OG in Wien, 3. Al***** GmbH, *****, vertreten durch Hon.-Prof. Dr. Norbert Gugerbauer, Rechtsanwalt in Wien, 6. L***** GmbH, *****, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte OG in Wien, 7. D***** GmbH, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, 9. G. ***** GmbH, *****, vertreten durch Haslinger/Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, 10. E***** GmbH, *****, vertreten durch Eisenberger Herzog Rechtsanwalts GmbH in Wien, 11. A. *****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch willheim/müller Rechtsanwälte in Wien, 13. Sp***** KG, *****, 14. J*****gesellschaft mbH, *****, beide vertreten durch willheim/müller Rechtsanwälte in Wien, 15. K***** GmbH, *****, vertreten durch Hon.-Prof. Dr. Norbert Gugerbauer, Rechtsanwalt in Wien, 16. Ke***** GmbH, *****, vertreten durch willheim/müller Rechtsanwälte in Wien, 17. Ko***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Edmund Kitzler, Rechtsanwalt in Gmünd, 18. Dr. M***** S*****, als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Ku***** GmbH, ***** (Handelsgericht Wien, *****), 19. Kü***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Markus P. Fellner, Rechtsanwalt in Wien, 20. L***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Karin Wessely, Rechtsanwältin in Wien, 21. Mo***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Christian Kuhn Rechtsanwalts GmbH in Wien, 22. J***** GmbH, *****, vertreten durch e|n|w|Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, 25. Lo***** GmbH, *****, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte OG in Wien, 27. I***** Gesellschaft mbH, *****, 29. Le***** KG, *****, beide vertreten durch Haslinger/Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, 31. „Sp*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch willheim/müller Rechtsanwälte in Wien, 32. Jo***** GmbH, *****, vertreten durch Hon.-Prof. Dr. Norbert Gugerbauer, Rechtsanwalt in Wien, 34. T***** GmbH, *****, vertreten durch willheim/müller Rechtsanwälte in Wien, 35. Tr***** GmbH, *****, vertreten durch e|n|w|c Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, 36. Tre*****gesmbH, *****, vertreten durch e|n|w|c Natlacen Walderdorff Cancola Rechtsanwälte GmbH in Wien, 38. Sp***** GmbH, *****, vertreten durch Tino Schönherr, Rechtsanwalt in Wien, 40. G***** GmbH, *****, vertreten durch Barnert Egermann Illigasch Rechtsanwälte GmbH in Wien, 41. W***** GmbH, *****, vertreten durch Hon.-Prof. Dr. Norbert Gugerbauer, Rechtsanwalt in Wien, 42. Ma***** GmbH, *****, vertreten durch Hosp Hegen Rechtsanwaltspartnerschaft in Salzburg, 43. R***** AG, *****, vertreten durch Eisenberger Herzog Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen I. Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art 101 AEUV (ex Art 81 EG) und § 1 KartG 2005 bzw § 9 iVm § 18 KartG 1988 sowie II. Verhängung einer Geldbuße gemäß § 142 Z 1 lit a und lit d KartG 1988 bzw § 29 Z 1 lit a und lit d KartG 2005, aus Anlass der Rekurse der Antragstellerin und des Bundeskartellanwaltes gegen den Teilbeschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 22. Februar 2011, GZ 24 Kt 7, 8/10-146, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Dürfen Verstöße eines Unternehmens gegen Art 101 AEUV mit einer Geldbuße geahndet werden, wenn das Unternehmen über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens geirrt hat und dieser Irrtum nicht vorwerfbar ist?

Für den Fall der Verneinung von Frage 1:

1a) Ist ein Irrtum über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens nicht vorwerfbar, wenn das Unternehmen sich gemäß dem Rat eines im Wettbewerbsrecht erfahrenen Rechtsberaters verhalten und die Unrichtigkeit des Rates weder offensichtlich noch durch die dem Unternehmen zumutbare Überprüfung erkennbar war?

1b) Ist ein Irrtum über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens nicht vorwerfbar, wenn das Unternehmen auf die Richtigkeit der Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde vertraut hat, die das zu beurteilende Verhalten allein nach nationalem Wettbewerbsrecht geprüft und für zulässig befunden hat?

2. Sind die nationalen Wettbewerbsbehörden befugt festzustellen, dass ein Unternehmen an einem gegen Wettbewerbsrecht der Union verstoßenden Kartell beteiligt war, wenn über das Unternehmen keine Geldbuße zu verhängen ist, weil es die Anwendung der Kronzeugenregelung beantragt hat?

II. Das Rechtsmittelverfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

Text

Begründung

I. Sachverhalt

Der Bußgeldantrag der Bundeswettbewerbsbehörde betrifft den Markt für Speditionsdienstleistungen im Wege des Sammelladungsverkehrs (Stückgutverkehrs) innerhalb Österreichs. In diesem Teilbereich des Speditionsgeschäfts werden mehrere Sendungen (Stückgut) verschiedener Versender logistisch zu einer Sammelladung gebündelt und an die unterschiedlichen Bestimmungsorte verteilt. Der Inlandssammelladungsverkehr wird in der Regel zu Lande unter Verwendung von Lastkraftwagen organisiert. Stückgut kann auch im Wege von Paket-, Kurier- und spezialisierten Expressdiensten versendet werden.

Die AG zu 1 bis 3, 6, 7, 9, 10 (als Rechtsnachfolger der vormaligen AG zu 30), 11, 13 bis 22, 25, 27, 29, 31, 32, 34 bis 36, 38 (als Rechtsnachfolger der S***** F***** Gesellschaft mbH) und 40 bis 42 waren Mitglieder der Spediteurs-Sammelladungs-Konferenz (im Folgenden: SSK). Die SSK war eine in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts organisierte Interessengemeinschaft eines Teils der ordentlichen Mitglieder des Zentralverbandes der Spediteure (im Folgenden: ZV). Der als Verein organisierte ZV ist eine Interessenvertretung für Spediteure und Logistik-Dienstleister mit Speditionskonzession. Die SSK war im „Ressort Landverkehr national“ des ZV angesiedelt und besaß rund 40 Mitglieder, die speditionelle Dienstleistungen anboten. Die Kernkompetenzen der AG zu 43, die weder Mitglied der SSK noch des ZV war, liegen im Bereich des Bahntransports und Speditionswesens; ihre Aufgaben (ua Güterbeförderung auf Schiene auch als Inlandssammelladungsverkehr, Herstellung und Betrieb aller hiezu notwendigen Einrichtungen) sind gesetzlich vorgegeben.

Die SSK entstand Mitte der 1990er Jahre. Ihr gingen die beiden im Kartellregister eingetragenen und als „Konferenzen“ bezeichneten Kartelle Autosammelladungskonferenz K40 (ASK) und Bahnsammelladungskonferenz K41 (BSK) voraus. ASK und BSK bestanden seit den 1970er Jahren und wurden nach Ablauf ihrer Genehmigungsdauer zum 31. 12. 1993 aufgelöst; sie haben sich - anders als die SSK - nicht auf das Gebiet der Republik Österreich beschränkt, sondern besaßen einen umfangreichen internationalen Teil über Tarife für den österreichischen Frachtanteil im grenzüberschreitenden Sammelladungsverkehr zwischen Österreich und dem Ausland.

Im November 1992 informierte der Paritätische Ausschuss für Kartellangelegenheiten am Sitz des Kartellgerichts den Kartellbevollmächtigten über die Auswirkungen des zum 1. 1. 1994 bevorstehenden EWR-Beitritts. Das Schreiben enthielt auch die Aufforderung, bestehende Kartelle auf die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Anmeldung bei EG-Kommission und EFTA-Überwachungsbehörde zu prüfen. Der Kartellbevollmächtigte wandte sich an eine auf Kartellrecht spezialisierte Anwaltskanzlei, damit auch nach dem EWR-Beitritt Österreichs die Europarechtskonformität dieser Form der Zusammenarbeit gewährleistet sei. Darüber hinaus wurde beschlossen, die Zusammenarbeit auf das Hoheitsgebiet der Republik Österreich und den innerösterreichischen Auto- und Bahnsammelladungsverkehr (dh auf Transporte mit Ausgangs- und Bestimmungsort in Österreich) zu beschränken, um den zwischenstaatlichen Handel nicht zu beeinträchtigen. Am 30. 5. 1994 wurde die SSK als Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet (aufschiebend bedingt mit der Genehmigung durch das Kartellgericht). Nach Punkt 1. und 7.1 der SSK-Rahmenübereinkunft verfolgt die SSK den Zweck, „der Verladerschaft und den Letztverbrauchern die Einräumung von (gegenüber den Tarifen der Eisenbahnen für Stückgut) günstigeren Auto/Bahn/Sammelladungssätzen zu ermöglichen und - durch Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen - den lauteren Wettbewerb unter ihren Mitgliedern zu fördern, wobei dieser Zweck [...] unter besonderer Bedachtnahme auf Konformität mit dem österreichischen und EU/EWR/Kartellrecht verfolgt werden wird“.

Am 28. 6. 1994 beantragte der Kartellbevollmächtigte beim Kartellgericht zu 4 Kt 533/94, die SSK als Vereinbarungskartell zu genehmigen. Dem Antrag war die Rahmenübereinkunft der SSK angeschlossen; im Antrag wurden die wesentlichen Bestimmungen der SSK erläutert und der Sachverhalt auch nach EU/EWR-Recht beurteilt. Die SSK umfasse nur die innerösterreichischen Sammelladungstransporte; der Verkehr zwischen Österreich und den übrigen EWR-Mitgliedstaaten werde nicht beeinträchtigt. Darüber hinaus sei auf Grund des sehr geringen Marktanteils (weniger als 2 % des innerösterreichischen Produktmarkts) keine Wettbewerbsbeschränkung spürbar, es komme zu keiner Marktabschottung, der Markt sei überdies für ausländische Anbieter offen. Gleichschriften des Genehmigungsantrags samt den dazu vorgelegten Urkunden wurden den damaligen Amtsparteien (Bund, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wirtschaftskammer Österreich, Bundesarbeitskammer, Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs) und dem Paritätischen Ausschuss für Kartellangelegenheiten zur Kenntnis gebracht. Der Paritätische Ausschuss vertrat mit Zwischengutachten vom 15. 12. 1994 die Auffassung, dass das Kartell den zwischenstaatlichen Handel nicht berühre, weshalb die EU-Wettbewerbsvorschriften nicht anzuwenden seien. Von dieser Einschätzung hat sich der Paritätische Ausschuss auch in der Folge nicht distanziert. Im Endgutachten vom 20. 12. 1994 erachtete der Paritätische Ausschuss die SSK als volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigt, worauf der Kartellbevollmächtigte den Genehmigungsantrag zurückzog.

Zu 5 Kt 92/95 (vormals 1 Kt 337/94, verbunden mit 1 Kt 1144/94) hat der Fachverband für das Güterbeförderungsgewerbe eine Tarifempfehlung für den Güternahverkehr 1994 als unverbindliche Verbandsempfehlung beim Kartellgericht angezeigt, dessen Untersagung von der Bundesarbeitskammer beantragt wurde. Das Kartellgericht hat die Anträge der Bundesarbeitskammer abgewiesen und in seiner Entscheidung vom 20. 1. 1995 ausgeführt, Europäisches Kartellrecht sei insbesondere deshalb nicht anzuwenden, weil Transporte im grenzüberschreitenden Verkehr von der Verbandsempfehlung ausgenommen seien.

Mit Schriftsatz vom 6. 2. 1995 beantragte der ZV beim Kartellgericht die Feststellung, dass die SSK ein Bagatellkartell iSd § 16 KartG sei und deshalb ohne Genehmigung durchgeführt werden könne. Im Antrag wurden die Gründung der SSK, der Abschluss der Rahmenübereinkunft, das Modell der zukünftigen gemeinsamen Tarifgestaltung sowie das Ausnahmekundensystem uneingeschränkt offengelegt. Das Kartellgericht nahm Einsicht in den Akt 4 Kt 533/94 und hatte damit Kenntnis vom Rechtsstandpunkt des Paritätischen Ausschusses zur Frage der Anwendbarkeit Europäischen Kartellrechts. Fragen der Marktabgrenzung wurden im Verfahren erörtert; letztlich blieben die auf Basis von Marktdaten des Jahres 1993 berechneten SSK-Marktanteile (1,5 % mengenbezogen, 3,2 % umsatzbezogen) von allen Amtsparteien unwidersprochen. Mit Beschluss vom 2. 2. 1996 stellte das Kartellgericht fest, dass die SSK ein Bagatellkartell iSd § 16 KartG 1988 sei. Die im Endgutachten des Paritätischen Ausschusses für Kartellangelegenheiten angeführten Marktanteile seien unzutreffend gewesen, weil nicht alle substituierbaren Leistungen berücksichtigt worden seien. Der Beschluss erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Aus Sicht der Mitglieder der SSK stand nach der Klärung der Sach- und Rechtslage mit dem Kartellgericht, dem Paritätischen Ausschuss und den damaligen Amtsparteien fest, dass die geplanten Aktivitäten der SSK nach Maßgabe der vorgelegten Rahmenübereinkunft vorbehaltlos umgesetzt werden können. Auch die beteiligten Rechtsanwälte haben dies bestätigt. Nach einer Besprechung mit dem Kartellbevollmächtigten hielt die in den verschiedenen Verfahren als Beraterin herangezogene Anwaltskanzlei in einem Schreiben vom 11. 3. 1996 jene Punkte fest, die bei Durchführung der SSK als Bagatellkartell zu beachten seien. Auf die Frage, ob das Bagatellkartell mit Europäischem Kartellrecht vereinbar sei, geht das Schreiben nicht ausdrücklich ein.

Sowohl die SSK als auch deren Tarifordnung einschließlich der Zuschläge waren den Kunden bekannt. In Medien- und Presseaussendungen wurde 1996, 1997 und 2003 immer wieder auf die Existenz der SSK und deren Tarifordnung Bezug genommen. In Ausbildungsunterlagen des Berufsförderungsinstituts für Logistiker werden Geschichte und Bestehen der SSK samt Ausnahmekundensystem und Tarif beschrieben.

Im Zusammenhang mit dem Plan, den SSK-Tarif vom BEX-Tarif der Bahn zu lösen, fragte das den SSK administrierende Mitglied des ZV am 3. 7. 2001 bei der Anwaltskanzlei an, ob SSK-Mitglieder an eine direkte Vergleichbarkeit mit dem BEX-Stückguttarif der Bahn gebunden seien. Die Anwaltskanzlei antwortete, dass eine Abweichung beider Tarife keinen Einfluss auf die Qualifikation der SSK als Bagatellkartell habe. Ob ein Bagatellkartell bestehe oder nicht, hänge nur davon ab, ob die beteiligten Unternehmen gemeinsam bestimmte Marktanteile überschritten oder nicht. Diese Antwort wurde einigen Mitgliedern der SSK zur Kenntnis gebracht.

Anlässlich der zum 1. 1. 2006 in Kraft tretenden Kartellgesetz-Novelle 2005 ersuchte der ZV die Anwaltskanzlei, die Frage zu prüfen, welche Auswirkungen diese Novelle auf die SSK haben werde. In ihrer Antwort vom 15. 7. 2005 wies die Anwaltskanzlei darauf hin, dass überprüft werden müsse, ob der Anteil der SSK 5 % des inländischen Markts übersteige und, sollte der Anteil überschritten werden, ob die im Rahmen der SSK getroffenen Vereinbarungen vom Kartellverbot ausgenommen seien. Auf die Frage der Vereinbarkeit mit Europäischem Kartellrecht geht das Schreiben nicht ein.

Der ZV informierte wesentliche SSK-Mitglieder vom Inhalt dieses Schreibens und erhob die Marktanteile der SSK-Mitglieder im innerösterreichischen Sammelladungsverkehr im Stückgutbereich für die Jahre 2004, 2005 und 2006 im Wege einer E-Mail-Abfrage. Bei der anschließenden Berechnung der Marktanteile hielt sich der ZV an die Grundsätze der Marktabgrenzung und der Marktanteilsberechnung, die dem Feststellungsantrag sowie dem folgenden Feststellungsbeschluss des Kartellgerichts zugrunde lagen. Diese Marktanteilserhebungen ergaben Marktanteile der SSK von 3,82 % (2005) bzw 3,23 % (2006). Die weiterhin deutliche Unterschreitung der 5%-Schwelle wurde zumindest den wichtigsten SSK-Mitgliedern mitgeteilt, darunter auch der Erstantragsgegnerin. Es ist auszuschließen, dass in den Jahren bis einschließlich 2004 die 5%-Schwelle durch Neubeitritte überschritten worden ist; die für 2005 und 2006 erhobenen Marktanteile liegen unterhalb der genannten Schwelle.

Am 11. 10. 2007 gab die Europäische Kommission bekannt, dass am Vortag Bedienstete der Kommission unangekündigte Nachprüfungen in den Geschäftsräumen verschiedener Anbieter von internationalen Speditionsdienstleistungen durchgeführt hätten und die Kommission Grund zur Annahme habe, dass die betroffenen Unternehmen Bestimmungen des EG-Vertrags verletzt haben könnten, die wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken verbieten. Am 29. 11. 2007 fanden gemeinsame Besprechungen des SSK-Vorstands und des ZV-Präsidiums mit einem Vertreter der Anwaltskanzlei zum Thema der Anwendung österreichischen und Europäischen Kartellrechts auf die Zusammenarbeit in SSK und ZV statt. Damals wurden erstmals Bedenken zur Rechtmäßigkeit der SSK als Bagatellkartell geäußert; es bestehe das Risiko der Anwendbarkeit Europäischen Kartellrechts, weil die Feststellung, ob Vereinbarungen/Absprachen geeignet seien, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, nicht einfach zu treffen sei. Um jedes Risiko zu vermeiden, wurde noch am selben Tag im SSK-Vorstand der einstimmige Beschluss zur sofortigen Auflösung der SSK gefasst und damit begründet, dass die SSK von ihren Mitgliedern auf Grund des Marktdrucks der Auftraggeber und der Nichtmitglieder nicht eingehalten werde, womit die Marktentwicklung die SSK-Mitglieder „überrollt“ habe. Es sei sinnlos, eine „leere Hülle“ aufrecht zu erhalten. Die Mitglieder der SSK wurden mit E-Mail vom 21. 12. 2007 von diesem Beschluss informiert.

II. Anträge und Vorbringen der Parteien

Die Antragstellerin beantragte am 18. 2. 2010 (I.) gemäß § 28 KartG festzustellen, dass die Erstantragsgegnerin Art 101 AEUV und § 1 KartG 2005 bzw § 9 iVm § 18 KartG 1988 zuwidergehandelt habe, und (II.) über die AG zu 2 bis 43 eine Geldbuße gemäß § 87 Abs 2 KartG 2005 iVm § 142 Z 1 lit a und lit d KartG 1988 bzw § 29 Z 1 lit a und lit d KartG 2005 zu verhängen.

Die AG zu 1 bis 42 seien von 1994 bis 27. 11. 2007 an einer einzigen, komplexen und vielgestaltigen Zuwiderhandlung gegen Europäisches und Nationales Kartellrecht beteiligt gewesen, indem sie österreichweit die Tarife für den Inlandssammelladungsverkehr abgesprochen hätten. Die AG zu 1 habe sich als Kronzeugin zur Verfügung gestellt; gegen sie werde daher nur ein Feststellungsantrag gestellt. Der AG zu 43 sei vorzuwerfen, sich an der Zuwiderhandlung dadurch beteiligt zu haben, dass sie (bzw vor ihrer Gründung die ÖBB) gemeinsam mit der SSK seit 1999 ihr Verhalten bei der Festsetzung der Sammelladungstarife abgestimmt habe. Die Bußgeldanträge gegen die AG zu 4, 5, 8, 12, 23, 24, 26, 28, 30, 33, 37 und 39 zog die Antragstellerin zurück.

Die Antragsgegnerinnen traten den Anträgen mit umfangreichen Stellungnahmen entgegen, in denen sie sich - abgesehen von der AG zu 1 - gegen die Bußgeldanträge aussprachen und unter anderem ihr Verschulden deshalb in Abrede stellten, weil die SSK als Bagatellkartell durch das Kartellgericht festgestellt worden und öffentlich bekannt gewesen sei und weil sie fachkundigen Rat eines im Wettbewerbsrecht erfahrenen und verlässlichen Rechtsberaters eingeholt hätten. Europäisches Kartellrecht sei nicht anzuwenden, weil sich die Wettbewerbsbeschränkung auf den zwischenstaatlichen Handel nicht ausgewirkt habe.

Der Bundeskartellanwalt hat sich am Verfahren beteiligt.

III. Bisheriges Verfahren

Das Erstgericht wies mit dem angefochtenen Teilbeschluss die Anträge, I. gemäß § 28 KartG 2005 festzustellen, dass die Erstantragsgegnerin Art 101 AEUV (ex Art 81 EG) und § 1 KartG 2005 bzw §§ 9, 18 KartG 1988 zuwidergehandelt habe und II. gemäß § 87 Abs 2 KartG 2005 iVm § 142 Z 1 lit a und lit d KartG 1988 bzw § 29 Z 1 lit a und lit d KartG 2005 den AG zu 2, 3, 6, 7, 9 bis 11, 13 bis 22, 25, 27, 29, 31, 32, 34 bis 36, 38, 40 bis 42 eine Geldbuße in von der Antragstellerin noch näher zu bezeichnender Höhe aufzuerlegen, ab und sprach aus, dass ein Kostenersatz nicht stattfinde.

Die Antragstellerin und der Bundeskartellanwalt bekämpfen den Beschluss mit Rekurs, über den der Oberste Gerichtshof zu entscheiden hat.

Die Antragsgegnerinnen beantragen, den Rekursen nicht Folge zu geben.

Mit Schriftsatz vom 12. 9. 2011 nahm die Europäische Kommission zur anhängigen Rechtssache gemäß Art 15 Abs 3 VO 1/2003 Stellung. Es sei verfehlt, allein deshalb kein Verschulden der betroffenen Unternehmen anzunehmen, weil diese aufgrund der Feststellungsentscheidung des Kartellgerichts von 1996 und aufgrund des von ihnen eingeholten anwaltlichen Rats darauf hätten vertrauen dürfen, ihre Vereinbarung verstoße nicht gegen Unionsrecht. Vor Inkrafttreten der VO 1/2003 habe das Unionsrecht den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten nicht geboten, EU-Kartellrecht parallel zum innerstaatlichen Wettbewerbsrecht anzuwenden, wenn sich der Verfahrensgegenstand eines nationalen Verfahrens auf Fragen nationalen Rechts beschränkt habe. Die im Feststellungsverfahren 1996 ergangene Entscheidung könne daher kein Vertrauen begründen, dass die dort allein nach nationalem Recht geprüfte wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung mit Unionsrecht vereinbar sei. Auch ein (unzutreffender) Rat von Rechtsanwälten oder der Umstand, dass ein Kartell nicht geheim durchgeführt oder „ordentlich administriert“ worden sei, könne keinen Vertrauensschutz rechtfertigen. Zu beachten sei auch, dass selbst eine (rechtsfehlerhafte) behördliche Freistellung eines bestimmten Verhaltens durch eine mitgliedstaatliche Regulierungsbehörde kein Vertrauen begründen könne, dass das Verhalten mit EU-Wettbewerbsrecht vereinbar sei. Der Vorrang des Unionsrechts verlange, dass jede dem Unionsrecht entgegenstehende nationale Rechtsvorschrift unangewendet bleibe.

Das Kartellgericht sei befugt, die Kartellbeteiligung eines Unternehmens festzustellen. Nach Art 10 VO 1/2003 sei zwar allein die Kommission berechtigt festzustellen, dass EU-Wettbewerbsrecht nicht anzuwenden sei. Im Anlassfall gehe es aber um die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Art 101 AEUV, wozu Art 5 VO 1/2003 auch mitgliedstaatliche Behörden ermächtige.

Rechtliche Beurteilung

IV. Rechtsgrundlagen

Nach Art 5 VO (EG) Nr 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl 2003 L1/1, sind die Mitgliedstaaten für die Anwendung der Art 101 AEUV und Art 102 AEUV in Einzelfällen zuständig. Sie können von Amts wegen oder aufgrund einer Beschwerde die Abstellung von Zuwiderhandlungen und einstweilige Maßnahmen anordnen, Verpflichtungszusagen annehmen und Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige Sanktionen verhängen.

Geldbußen wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht sind nur bei Verschulden zu verhängen. Der Unternehmer muss den Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben (Art 23 Abs 2 VO [EG] Nr 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl 2003 L1/1; ebenso schon zuvor Art 15 Abs 1 und 2 VO Nr 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrags, ABl Nr 13 vom 21. 2. 1962, S 204).

Das Unionsrecht regelt nicht, ob ein nicht vorwerfbarer Verbotsirrtum es ausschließt, eine Geldbuße zu verhängen.

V. Vorlagefragen

1. Die Antragsgegnerinnen begründen den Einwand mangelnden Verschuldens damit, dass das Kartellgericht die SSK als inländisches Bagatellkartell festgestellt habe und die SSK auch öffentlich bekannt gewesen sei. Auch hätten die Antragsgegnerinnen Rechtauskünfte eingeholt, um die Frage der Vereinbarkeit der SSK mit dem Unionsrecht zu klären. Angesprochen ist damit der Rechtfertigungsgrund eines nicht vorwerfbaren und damit schuldausschließenden Verbotsirrtums.

2. Vor Inkrafttreten der VO 1/2003 wurde ein Verbotsirrtum im Zusammenhang mit Verletzungen des Kartell- und Missbrauchsverbots regelmäßig als vermeidbar und damit als unbeachtlich angesehen. So wurde ausgesprochen, dass die Verantwortung eines Unternehmens, die Rechtslage nicht gekannt zu haben, ausgeschlossen sei (EuGH Rs 322/81, Michelin/Kommission, Rn 107). Das Vertrauen des Unternehmens auf die Äußerung eines Rechtsberaters entschuldige nicht (EuGH Rs 19/77, Miller Int. Schallplatten GmbH/Kommission, Rn 18). Für einen Schuldvorwurf reiche es aus, dass sich das Unternehmen nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, das ihm zur Last gelegte Verhalten habe eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt (EuGH Rs 246/86, Belasco ua/Kommission, Rn 41; EuGH Rs C-279/87 , Bellamy/Child, Rn 12-84; EuG T-62/98 , Volkswagen/Kommission, Rn 334).

3. In wenigen Fällen sind der Gerichtshof und das Gericht davon ausgegangen, dass der gute Glaube an die Vereinbarkeit einer Verhaltensweise mit den Wettbewerbsregeln eine vorsätzliche oder fahrlässige Begehung ausschließen oder zumindest zum Verzicht auf die Verhängung eines Bußgeldes führen kann. So wurde ausgesprochen, dass Wettbewerbsregeln weder vorsätzlich noch fahrlässig verletzt werden, wenn die Kommission selbst durch falsche Hinweise und Stellungnahmen einen Rechtsirrtum des Unternehmens hervorgerufen hat (EuGH Rs 40-48, 50.54-56, 111, 113 und 114/73, Suiker Unie, Rn 555-557; EuG T-86/95 , Compagnie générale maritime, Rn 240). In anderen Fällen wurde von der Verhängung eines Bußgeldes abgesehen, weil die Beurteilung der relevanten Rechtsfrage wegen Fehlens von Vorjudikatur unklar war und die Unternehmen auf Grundlage dieser besonderen Rechtsunsicherheit irrtümlich annahmen, im Einklang mit den Wettbewerbsregeln zu handeln (EuGH Rs C-2/86 , AKZO Chemie, Rn 163; EuGH Rs C-279/87 , Bellamy/Child, Rn 12-82; EuG Rs T-43/92 , Dunlop Slazenger international Ltd, Rn 143).

4. Dieser grundsätzlich restriktiven Haltung zum Rechtsirrtum als Schuldausschließungsgrund lag die Rechtslage nach der VO 17/62 zugrunde. Danach gab eine präventive kartellbehördliche Überprüfung kartellrechtlich bedenklichen Verhaltens durch eine Einzelfreistellung den Unternehmen die Möglichkeit, etwaige Zweifel über die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens überprüfen zu lassen.

5. Mit Einführung des Legalausnahmesystems und dem Fortfall der Negativatteste durch die VO 1/2003 ist diese Möglichkeit weggefallen. Im Schrifttum wird deshalb mit guten Gründen vertreten, dass ein Unternehmen nicht mehr mit einem Bußgeld belegt werden könne, wenn es in eigener Verantwortung die relevanten Tatsachen und rechtlichen Aspekte des Falles mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln umfassend geprüft und infolgedessen im guten Glauben an die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens gehandelt hat. Der Irrtum sei in diesem Fall unvermeidlich gewesen und könne den für die Bußgeldverhängung erforderlichen Schuldvorwurf ausräumen (Dreher/Thomas, Rechts- und Tatsachenirrtümer unter der neuen VO 1/2003 , WuW 2004, 8, 12; dem folgend Brugger, Verbotsirrtum und Kartellrecht, ecolex 2010, 1166, 1168; Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht II4 VO 1/2003 Rz 187; ähnlich Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht² Art 1 VO 1/2003 Rz 39). Die Bestätigung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme durch einen im Kartellrecht erfahrenen Rechtsberater auf gesicherter Tatsachengrundlage müsse grundsätzlich zur Bußgeldimmunität führen, sofern ein Fehler bei der Rechtsberatung nicht offensichtlich gewesen sei und durch Vergleich mit den Rechtsquellen ohne weiteres hätte erkannt werden können (Dreher/Thomas, Rechts- und Tatsachenirrtümer unter der neuen VO 1/2003 , WuW 2004, 8, 13; zur Stellungnahme von Rechtsanwälten vgl auch Wiedemann in Festschrift Bechtold, 627, 642).

6. Für den österreichischen Rechtsbereich hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass Rechtsunkenntnis und Rechtsirrtum dann nicht vorwerfbar sind, wenn die (richtige) Gesetzeslage einem Betroffenen trotz zumutbarer Aufmerksamkeit nicht erkennbar war. Die Vorwerfbarkeit eines Rechtsirrtums kann insbesondere dann ausgeschlossen sein, wenn fachkundiger Rat einer verlässlichen, fachlich kompetenten Stelle eingeholt wird, die über den gesamten Sachverhalt informiert ist. Das Vertrauen auf den Rat eines im Kartellrecht erfahrenen Rechtsberaters, der eine geplante Maßnahme auf gesicherter Tatsachengrundlage aufgrund eines umfassenden Prüfauftrags als rechtmäßig beurteilt, kann einen nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum begründen, den für die Verhängung einer Geldbuße erforderlichen Schuldvorwurf ausräumen und zur Bußgeldimmunität führen, sofern ein Fehler bei der Rechtsberatung nicht offensichtlich war und durch Vergleich mit den Rechtsquellen ohne weiteres hätte erkannt werden können. Zu beurteilen ist in diesem Zusammenhang, ob das Unternehmen sein geplantes Handeln unter Berücksichtigung der in Betracht kommenden Rechtsquellen sorgfältig genug dahin überprüft hat oder überprüfen hat lassen, ob es unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten erlaubt sei. Weiteres Kriterium für den Umfang der Sorgfaltspflicht ist neben der Unternehmensgröße auch die Schwierigkeit des zu beurteilenden Sachverhalts. Im Einzelfall kann daher auch ein kleines Unternehmen gezwungen sein, einen kartellrechtlich erfahrenen Rechtsanwalt zu befragen, wenn erkennbar komplizierte und/oder neuartige Probleme zu überprüfen sind (OGH 5. 12. 2011, 16 Ok 2/11).

7. Der Europäische Gerichtshof hatte die ihm nunmehr vorgelegten Fragen seit Inkrafttreten der VO 1/2003 noch nicht zu entscheiden. Die Klärung dieser Rechtsfragen ist im vorliegenden Fall von entscheidender Bedeutung: Zwar unterliegt die Anwendung von Unionskartellrecht durch das Kartellgericht dem inländischen Verfahrensrecht des österreichischen Kartellgesetzes (Petsche/Tautscher in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG § 83 Rz 12), doch verlangt die wirksame und gleichmäßige Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union durch die Mitgliedstaaten, dass die Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats nur dann eine Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Union verhängen darf, wenn das entsprechende Verhalten auch in einem Verfahren vor einem Organ der Union zu einer Geldbuße geführt hätte.

8. Die Entscheidung über den Feststellungsantrag hängt von der Frage ab, ob die Wettbewerbsbehörden eines Mitgliedstaats berechtigt sind, einen Verstoß gegen Wettbewerbsrecht festzustellen, ohne gleichzeitig eine Geldbuße zu verhängen. Nach Art 5 VO Nr 1/2003 können die mitgliedstaatlichen Behörden im Einzelfall Entscheidungen erlassen, mit denen ein Verstoß gegen Art 101 oder 102 AEUV festgestellt und Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige im innerstaatlichen Recht vorgesehene Sanktionen verhängt werden. Die Feststellung, dass die Art 101 oder 102 AEUV keine Anwendung finden, ist hingegen der Europäischen Kommission vorbehalten (Art 10 VO 1/2003 ).

9. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts spricht für eine Feststellungsbefugnis der nationalen Wettbewerbsbehörden, dass sie der Durchsetzung des Unionsrechts dient. Dagegen könnte sprechen, dass eine „reine“ Feststellungsbefugnis in Art 5 VO 1/2003 nicht ausdrücklich angeführt ist; doch fehlt ein sachlicher Grund, der nationalen Wettbewerbsbehörde zwar die mit der Verhängung einer Geldbuße oder einer anderen Sanktion zwangsläufig verbundene Feststellung eines Verstoßes gegen Art 101 und 102 AEUV zu übertragen, nicht aber die Feststellung allein, wenn (wegen Anwendung der Kronzeugenregelung) keine Geldbuße zu verhängen ist.

VI. Verfahrensrechtliches

Als Gericht letzter Instanz ist der Oberste Gerichtshof zur Vorlage verpflichtet, wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass kein Raum für vernünftige Zweifel bleibt. Solche Zweifel liegen hier vor.

Bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist das Verfahren über die Rechtsmittel der Antragstellerin und des Bundeskartellanwaltes zu unterbrechen.

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