OGH 2Ob205/11b

OGH2Ob205/11b29.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Eda T*****, geboren am *****, sowie mj Rabia T*****, geboren am *****, wegen Unterhaltsherabsetzung, über den Revisionsrekurs des Vaters Cihan T*****, vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 15. Februar 2011, GZ 51 R 15/11x-28, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 23. Dezember 2010, GZ 37 PU 11/10x-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Der Vater stellte am 17. 5. 2010 den Antrag, seine Unterhaltsverpflichtung beginnend mit Oktober 2009 auf monatlich je 50 EUR pro Kind herabzusetzen. Er sei aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen nur mehr zu einer Teilzeitbeschäftigung als Kellner in der Lage. Inklusive Sonderzahlungen ergebe sich daher nur noch eine Unterhaltsbemessungsgrundlage von 575 EUR monatlich. Zum Beweis seines Vorbringens berief er sich auf Einkommensunterlagen und seine Vernehmung als Partei.

Das Erstgericht forderte ihn - nach Einholung eines Versicherungsdatenauszugs, der im relevanten Zeitraum eine Beschäftigung vom 5. 11. 2009 bis 27. 5. 2010 beinhaltete - auf, binnen 14 Tagen Einkommensnachweise seit Mai 2009 vorzulegen. Der anwaltlich vertretene Vater reagierte daraufhin mit dem Antrag, die Frist um 14 Tage zu erstrecken, was ihm gewährt wurde.

Nach Ablauf der verlängerten Frist verfügte das Erstgericht eine Note zu Handen des Rechtsvertreters des Vaters mit der letztmaligen Aufforderung, binnen 14 Tagen Einkommensnachweise seit Mai 2009 sowie ein ärztliches Attest über die behaupteten gesundheitlichen Einschränkungen vorzulegen. Auf die Mitwirkungspflicht der Parteien gemäß § 16 AußStrG wurde ausdrücklich hingewiesen (ON 18).

Die Zustellung dieses Beschlusses im elektronischen Rechtsverkehr blieb aber offensichtlich insoferne unvollständig, als dem Rechtsvertreter des Vaters nicht die Note, sondern irrtümlich sein eigener Fristerstreckungsantrag zugestellt wurde. In einem Vermerk über eine Nachfrage beim Erstgericht durch Mitarbeiter des Rechtsanwalts heißt es, dass die Stellungnahme hinfällig sei und der Auftrag an die Jugendwohlfahrtsbehörde hätte gehen sollen.

Der Vater legte weder Einkommenssteuernachweise noch ärztliche Atteste über seinen Gesundheitszustand vor.

Das Erstgericht wies in der Folge den Unterhaltsherabsetzungsantrag ab.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Dem Vater sei die begehrte Fristerstreckung gewährt worden. Er habe ausreichend Möglichkeit gehabt, die erforderlichen Unterlagen beizubringen und die von ihm behaupteten geänderten Umstände unter Beweis zu stellen. In seiner unterlassenen Parteienvernehmung liege daher kein Verfahrensmangel. Er habe der ihn nach § 16 AußStrG treffenden Mitwirkungspflicht nicht entsprochen.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nachträglich mit der Begründung zu, eine nochmalige Nachforschung im ERV habe ergeben, dass die Aufforderung zur Vorlage der Einkommensnachweise bzw erstmalige Aufforderung zur Beibringung eines ärztlichen Attestes dem Vater und nicht seinem Vertreter zugestellt worden sei, wobei ein Rückschein über diese Zustellung an den Vater jedoch nicht vorliege. Seinem Vertreter sei dagegen - offensichtlich irrtümlich - statt der im Register vermerkten ON 18 (Aufforderung samt Hinweis auf die Mitwirkungspflicht) sein eigener Schriftsatz zur Stellungnahme übermittelt worden. Die Aufforderung an den Vater sei im Hinblick auf § 24 Abs 1 AußStrG iVm § 93 Abs 1 ZPO aber wirkungslos.

Der Vater macht in seinem Revisionsrekurs eine erhebliche Rechtsfrage des Verfahrensrechts insoweit geltend, als ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht des Antragstellers nicht vorliege, weil ihm die gerichtliche Aufforderung ON 18 nicht wirksam zugestellt worden sei. Es liege eine Verletzung des Parteiengehörs des Vaters und eine Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen vor. Das Rekursverfahren sei mangelhaft bzw liege Aktenwidrigkeit vor, weil bei richtiger Beurteilung der Tatsache, dass dem Vater die Aufforderung ON 18 nicht wirksam zugegangen sei, seinem Rekurs stattzugeben gewesen wäre. Auch das rekursgerichtliche Verfahren leide daher an einem wesentlichen Verfahrensmangel.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Gemäß § 16 AußStrG hat das Gericht von Amts wegen dafür zu sorgen, dass alle für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen aufgeklärt und sämtliche Hinweise auf solche Tatsachen entsprechend berücksichtigt werden. Die Parteien haben nach Abs 2 der Bestimmung vollständig und wahrheitsgemäß alle ihnen bekannten, für die Entscheidung des Gerichts maßgeblichen Tatsachen und Beweise vorzubringen bzw anzubieten und alle darauf gerichteten Fragen des Gerichts zu beantworten. Letztere Bestimmung sichert den Untersuchungsgrundsatz durch eine Parteienpflicht ab, weil eine Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht und eine gewisse Mitwirkungspflicht der Parteien statuiert wird (ErlRV abgedruckt in Fucik/Kloiber, AußStrG 100).

Im vorliegenden Fall hat zwar der Vater die im Unterhaltsherabsetzungsantrag angebotenen Einkommensunterlagen trotz Aufforderung durch das Gericht auch nicht in der von ihm beantragten erstreckten Frist vorgelegt. Demgegenüber hat das Erstgericht aber weder die ebenfalls angebotene Vernehmung des Vaters durchgeführt, noch wurde ihm die mit der neuerlichen Aufforderung zur Vorlage der Einkommensbelege erstmals aufgetragene Vorlage von Unterlagen zu seinen behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ordnungsgemäß und wirksam zugestellt. Auch hat das Erstgericht keine Erhebungen über das Einkommen des Vaters bei dem sich aus dem Versicherungsauszug ergebenden Arbeitgeber durchgeführt.

Das Rekursgericht hat eine darin bestehende Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens im Wesentlichen mit der Begründung verneint, dass der Vater trotz wiederholter Aufforderung die erforderlichen Unterlagen nicht vorgelegt habe. Das Rekursgericht ging daher - wie sich nachträglich herausstellte unrichtig - davon aus, dass dem Vater mehrfach Aufforderungen zur Vorlage der entscheidungsnotwendigen Unterlagen zugingen und er daher in erster Instanz ausreichend Möglichkeit gehabt hätte, die erforderlichen Unterlagen beizubringen und die von ihm behaupteten geänderten Umstände unter Beweis zu stellen. Damit ging das Rekursgericht bei Beurteilung der erstinstanzlichen Mangelhaftigkeit seinerseits von einer unrichtigen Verfahrenslage aus. Dieser Mangel war relevant, weil er geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache zu hindern.

Es liegt daher eine aufzugreifende Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens und in weiterer Folge eine solche des erstinstanzlichen Verfahrens im Sinne einer Nichtbeachtung des Untersuchungsgrundsatzes vor, weil das Erstgericht nicht alle ihm möglichen Ermittlungshandlungen gesetzt hat (Einvernahme des Vaters, Aufforderung zur Vorlage von Urkunden über die gesundheitliche Beeinträchtigung, Einkommensabfrage beim bekannten Dienstgeber).

Somit waren die Entscheidungen beider Vorinstanzen aufzuheben.

Stichworte