OGH 7Ob173/11h

OGH7Ob173/11h9.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Ludwig S*****, geboren am *****, vertreten 1. durch die Sachwalterin Gertrude B*****, und 2. durch den Verein gemäß § 8 Abs 2 HeimAufG, VertretungsNetz - Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Bewohnervertreterin Mag. Manuela O*****), dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Leiters der Einrichtung Manfred R*****, vertreten durch WT Tautschnig Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 17. Mai 2011, GZ 4 R 157/11x-14, mit dem anlässlich des Rekurses der Bewohnervertreterin gegen einen anderen erstinstanzlichen Beschluss der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 9. Mai 2011, GZ 3 HA 3/11v-11, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die Entscheidung über den gegen den erstinstanzlichen Beschluss vom 20. April 2011 gerichteten Rekurs aufgetragen.

Der Leiter der Einrichtung hat die Kosten des Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung

Nach Durchführung einer Anhörung (ohne Beiziehung der Bewohnervertretung) wies das Erstgericht mit Beschluss vom 20. 4. 2011 die Anträge der Bewohnervertretung

a) festzustellen, dass es sich bei der „gesetzten Maßnahme“ (Türtaster) um eine freiheitsbeschränkende Maßnahme im Sinn des HeimAufG handle,

b) die „gesetzte Maßnahme“ (Türtaster) für unzulässig zu erklären und

c) festzustellen, welche gelinderen Pflege- und Betreuungsmaßnahmen zur Anwendung zu kommen haben, ab und beraumte die mündliche Verhandlung gemäß § 14 HeimAufG an. Rechtlich führte es aus, es gebe keine gesicherte Judikatur zur Frage, ob das Anbringen eines Türtasters an der Eingangstür eine freiheitsbeschränkende Maßnahme sei oder nicht. „Vorerst“ werde der Standpunkt vertreten, dass eine solche freiheitsbeschränkende Maßnahme nicht gegeben sei.

Mit dem - nach Abhaltung der mündlichen Verhandlung ausgefertigten - Beschluss vom 9. 5. 2011 wies das Erstgericht die Anträge der Bewohnervertretung „endgültig“ ab. Das Anbringen eines Türtasters an der Eingangstür eines Pflegeheims sei keine freiheitsbeschränkende Maßnahme.

Gegen den (ersten) Beschluss vom 20. 4. 2011 erhob die Bewohnervertreterin am 10. 5. 2011 Rekurs. Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Rekursgericht „dem Rekurs Folge“, änderte jedoch den (zweiten) Beschluss vom 9. 5. 2011 dahin ab, dass es die Freiheitsbeschränkung des Heimbewohners durch Hindern am Verlassen des Heims mittels Türtasters für unzulässig erklärte. Rechtlich führte es - ohne darauf einzugehen, welcher erstinstanzliche Beschluss angefochten wurde - aus, dass Türöffnungsmechanismen, die ein Heimbewohner aufgrund des Abbaus seiner kognitiven Fähigkeiten nicht bedienen könne, unzulässige freiheitsbeschränkende Maßnahmen im Sinn des HeimAufG seien. Der Schutz des HeimAufG entfalle nicht deshalb, weil ein Bewohner seine Bewegungsfreiheit aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands „ohnedies nicht in Anspruch nehmen könne“ oder wegen seiner schweren psychischen Beeinträchtigung die Freiheitsbeschränkung „nicht bewusst erlebe“. Darin, dass einem Heimbewohner eine Betätigung des Öffnungsmechanismus einer Eingangstüre wegen fortgeschrittener Demenz unmöglich sei, liege eine Unterbindung der Ortsänderung, die im Fall möglicher gelinderer Mittel unzulässig sei. Gelindere Mittel seien elektronische Melder samt Anordnung des Zurückhaltens und das „im Auge behalten“.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Erst nach Fassung des angefochtenen Beschlusses des Rekursgerichts erhob die Bewohnervertreterin Rekurs gegen den (zweiten) erstgerichtlichen Beschluss vom 9. 5. 2011. Diesen Rekurs wies das Rekursgericht mit Beschluss vom 21. 7. 2011 zurück, weil der Bewohnervertreterin durch die bereits erfolgte Entscheidung des Rekursgerichts vom 17. 5. 2011 die Beschwer fehle. Dieser (weitere) Beschluss des Rekursgerichts blieb unangefochten.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 17. 5. 2011 richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Leiters der Einrichtung mit einem Aufhebungsantrag, hilfsweise wird ein Abänderungsantrag gestellt.

Die Bewohnervertreterin beantragt in der freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist auf Grund eines absolut wirkenden Verfahrensmangels zulässig und berechtigt.

1. Mit dem am 10. 5. 2011 eingebrachten Rekurs bekämpfte die Bewohnervertreterin ausdrücklich nur den erstinstanzlichen Beschluss vom 20. 4. 2011; das Rekursgericht sah jedoch diesen Rekurs als gegen den erstinstanzlichen Beschluss vom 9. 5. 2011 gerichtet an und änderte diesen mit dem angefochtenen Beschluss in der Sache ab.

Gemäß § 36 Abs 3 AußStrG ist jeder Beschluss im Rahmen des Gegenstands des Verfahrens zu fassen, wobei auf die Interessenlage und die zivilrechtlich wirksamen rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen der Parteien Bedacht zu nehmen ist. In Verfahren, die nur auf Antrag eingeleitet werden können, ist der Beschluss im Rahmen der Anträge zu fassen (§ 36 Abs 4 erster Satz AußStrG). § 36 Abs 3 und Abs 4 erster Satz AußStrG sind die Parallelbestimmungen zu § 405 ZPO (ErläutRV 224 BlgNR XXII. GP zu § 36 AußStrG, abgedruckt in Fucik/Kloiber, AußStrG 156). Gemäß § 55 Abs 2 AußStrG darf das Rekursgericht - mit einer hier nicht relevanten Ausnahme für Verfahren, die von Amts wegen eingeleitet werden können - nur im Rahmen des Rekursbegehrens entscheiden. Dies hat das Rekursgericht nicht beachtet, indem es über den im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses nicht angefochtenen erstinstanzlichen Beschluss vom 9. 5. 2011 entschied. Die Überschreitung des Verfahrensgegenstands bildet einen Verfahrensmangel (Fucik/Kloiber aaO § 36 Rz 9; Rechberger in Rechberger, AußStrG § 36 Rz 3; RIS-Justiz RS0007501 [T6]; RS0041240 [T15]), der hier infolge der Überschreitung der funktionellen Grenze der Entscheidungskompetenz durch das Rekursgericht absolut wirkt.

2. Dem Revisionsrekurs des Einrichtungsleiters ist daher Folge zu geben und der angefochtene Beschluss aufzuheben. Das Rekursgericht wird im fortgesetzten Verfahren über den gegen den erstinstanzlichen Beschluss vom 20. 4. 2011 gerichteten Rekurs der Bewohnervertreterin zu entscheiden haben.

Dem Revisionsrekurswerber steht kein Kostenersatz zu. Die Gewährung eines zugänglichen und wirksamen Rechtsschutzsystems setzt die Kostenfreiheit des Verfahrens nach dem HeimAufG voraus, sodass keine Kostenersatzpflicht besteht (Barth/Engel, Heimrecht [2004] § 11 HeimAufG Anm 8 und 13; Zierl/Wall/Zeinhofer, Heimrecht Band I3 196 f unter Verweis auf LG Innsbruck iFamZ 2009/125; vgl auch Frühwirth, Das Recht auf gerichtliche Haftprüfung im Schubhaftregime, juridikum 2010, 199 [213]). Die Bestimmung des § 78 AußStrG über den Kostenersatz ist wegen der abweichenden Sonderbestimmung des § 11 Abs 4 HeimAufG nicht anwendbar (aA Strickmann, Heimaufenthaltsrecht [2008] 146 FN 711). § 11 Abs 4 HeimAufG regelt die Kostentragung durch den Bund für die gerichtlichen Verfahrenskosten. Zwar zählen zu diesen Verfahrenskosten weder die Kosten eines bestellten Vertreters des Bewohners nach § 8 Abs 1 HeimAufG oder seines Sachwalters (s zur inhaltsgleichen und als historisches Vorbild dienenden Kostenbestimmung des § 40 UbG: Hopf/Aigner, UbG § 40 Anm 1; Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts2 Rz 445) noch die Kosten eines bevollmächtigten Vertreters des Bewohnervertreters oder des Leiters der Einrichtung, jedoch ergibt sich aus dieser Bestimmung, dass der Gesetzgeber keine Kostenersatzpflicht vorsehen will. Die Kostentragung durch den Bund beruht auf dem dem HeimAufG „zugrunde liegenden umfassenden Schutzgedanken“ (so die übertragbare Begründung der ErläutRV 464 BlgNR XVII. GP zu § 40 UbG, abgedruckt in Thanner/Vogl, UbG [2006] 146), der einer Kostenersatzpflicht entgegensteht. Damit spricht die Sonderregelung des § 11 Abs 4 HeimAufG gegen das Zurückgreifen auf die allgemeinen Bestimmungen des Außerstreitgesetzes im Sinn des § 11 Abs 3 HeimAufG und ordnet im Sinn des § 78 Abs 1 erster Satz AußStrG ausdrücklich „etwas anderes“ an.

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