OGH 11Os108/11h

OGH11Os108/11h6.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Oktober 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Karl P***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4. Februar 2011, GZ 16 Hv 96/10f-81, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karl P***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl 241 (richtig: 242)/1989 (I./), der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 60/1974 (II./) und des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idF BGBl 60/1974 (III./) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 60/1974 (IV./) schuldig erkannt.

Danach hat er in S***** und anderen Orten in zahlreichen Angriffen die am 3. Jänner 1981 geborene Michaela R*****

I. von 1993 bis 1998 durch schwere Gewalt, indem er ihr mit Zigaretten Brandwunden zufügte und Schläge ins Gesicht versetzte, und durch Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib und Leben, indem er ankündigte, sie umzubringen, zur Duldung des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen, nämlich des Vollzugs des Oralverkehrs, genötigt, wobei er sie in mehreren Fällen auf besondere Weise erniedrigte, indem er in ihren Mund ejakulierte;

II. von 1991 bis 2. Jänner 1995 die damals unmündige Michaela R***** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er sie an der Brust und der entblößten Scheide betastete und sie veranlasste, an seinem erigierten Penis zu masturbieren;

III. von Spätherbst 1994 bis 2. Jänner 1995 an der damals noch unmündigen Michaela R***** den außerehelichen Beischlaf unternommen;

IV. durch die zu I./ bis III./ geschilderten Tathandlungen ein minderjähriges Kind, das seiner Erziehung unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person zur Unzucht missbraucht, um sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

In seiner Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) behauptet der Beschwerdeführer, in der Urteilsbegründung seien Beweismittel verwertet worden, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren.

Tatsächlich haben die Tatrichter den Schuldspruch im Wesentlichen auf die glaubhaften Angaben der Michaela R***** gestützt, wobei sie in der Beweiswürdigung ausdrücklich darauf verwiesen, dass es zwischen deren Angaben vor der Polizei und bei der kontradiktorischen Vernehmung vor Gericht zu keinen wesentlichen Abweichungen gekommen sei (US 6). Das Protokoll über diese kontradiktorische Vernehmung der Michaela R***** (ON 11) wurde in der Hauptverhandlung jedoch weder verlesen noch iSd § 252 Abs 2a StPO vorgetragen (s ON 80 S 9 und 55).

Damit liegt der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund vor (RIS-Justiz RS0113209) und zeigt sich, dass die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist. Das angefochtene Urteil war daher gemäß § 285e StPO bereits bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Bleibt anzumerken, dass die Schuldsprüche nach § 201 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB in der Fassung BGBl 1989/(richtig:)242 (I./) und - jeweils in der Fassung BGBl 1974/60 - nach §§ 207 Abs 1, 206 Abs 1 und 212 Abs 1 StGB (II./ bis IV./) anstatt nach den - jeweils gleich günstigen (§ 61 StGB) - Bestimmungen der §§ 201 Abs 1, Abs 2 vierter Fall StGB, 207 Abs 1 StGB, 206 Abs 1 StGB und 212 Abs 1 Z 2 StGB, jeweils in der geltenden Fassung, rechtlich verfehlt waren (vgl Höpfel/U. Kathrein in WK² § 61 Rz 13 ff).

Der Tatbestand des § 212 Abs 1 StGB setzt hinsichtlich (ua) Mündeln zur Strafbarkeit das Ausnützen der Stellung gegenüber dem Schutzbefohlenen nicht voraus.

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