OGH 2Ob32/11m

OGH2Ob32/11m29.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marktgemeinde S*****, vertreten durch Mag. Friedrich Kühleitner und Mag. Franz Lochbichler Rechtsanwälte OG in Schwarzach im Pongau, gegen die beklagten Parteien 1. Lisbeth S*****, und 2. Manuela R*****, beide vertreten durch Dr. Alexander Rehrl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Entfernung (Streitwert 4.000 EUR sA), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 11. November 2010, GZ 22 R 364/10y-13, womit das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 30. Juli 2010, GZ 2 C 397/10h-9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Das Erstgericht gab dem auf Entfernung einer Absperrung auf der öffentlichen Gemeindestraße gerichteten Klagebegehren statt. Den Einwand der Beklagten, sie hätten ein Recht zur Absperrung ersessen, verwarf es unter Hinweis auf § 8 Abs 1 Salzburger Landesstraßengesetz 1972 (Sbg StrG), wonach durch die besondere Benutzung der Straße ein Recht nicht ersessen werden kann.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und ließ die Revision nachträglich zur Frage zu, ob das Ersitzungsverbot nur dann anwendbar sei, wenn die streitverfangenen Grundstücke tatsächlich zu Wegzwecken genutzt werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist - ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts - in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Die Beklagten machen geltend, aus den Feststellungen der Tatsacheninstanzen ergebe sich („zumindest indirekt“), dass die gegenständlichen Grundflächen nicht zu Wegzwecken genutzt würden. Es fehle oberstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob § 8 Abs 1 Sbg StrG generell die Ersitzung an Straßengrundstücken oder Teilen davon verbiete oder nur für den Fall, dass die Grundstücke auch tatsächlich zu Wegzwecken genutzt werden. Im Übrigen habe sich der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht mit der Vorfrage der Verfassungsmäßigkeit der genannten Bestimmung des Sbg StrG auseinandergesetzt. Gemäß Art 15 Abs 9 B-VG könne der Landesgesetzgeber auch die zur Regelung des Gegenstands erforderlichen Bestimmungen des Zivilrechts treffen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sei hiefür jedoch erforderlich, dass die dem Landesgesetzgeber vorbehaltene Materie ein drängendes zivilrechtliches Problem aufwerfe, das mitgeregelt werden müsse, weil die Materienregelung ohne eine diesbezügliche Regelung unvollständig erschiene. Dies sei in Bezug auf die Straßenangelegenheiten nicht der Fall. Die Bestimmung des § 8 Sbg StrG 1972 sei somit verfassungswidrig.

Dazu ist auszuführen:

1. Die Bestimmung des § 8 Sbg StrG hindert eine Ersitzung von als öffentliche Straße gewidmeten Flächen auch dann, wenn sie derzeit nicht dem öffentlichen Verkehr dienen (7 Ob 575/92; 6 Ob 37/07w = RIS-Justiz RS0066056).

2. In den beiden genannten Entscheidungen hat der Oberste Gerichtshof keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Ersitzungsverbots des § 8 Abs 1 Sgb StrG zum Ausdruck gebracht; die letztere griff auch nicht die von Auckenthaler (in JBl 1994, 444) zu 7 Ob 575/92 geäußerten Zweifel an der Erforderlichkeit (iSv Art 15 Abs 9 B-VG) der Regelung von Ersitzungsfragen im Zusammenhang mit Landesstraßengesetzen auf. Auch die Rechtsmittelwerber berufen sich auf diese Abhandlung nicht.

3.1. Es liegt keine die Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigende Rechtsfrage vor, wenn dieser die verfassungsrechtlichen Bedenken des Rechtsmittelwerbers - wie hier - nicht teilt (RIS-Justiz RS0116943).

3.2. Der Verfassungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass der Landesgesetzgeber nur solche zivilrechtlichen Bestimmungen erlassen darf, die in einem unerlässlichen Zusammenhang mit anderen Bestimmungen, die den Hauptinhalt des jeweiligen Gesetzes bilden, stehen. Er hat weiters ausgeführt, dass ein innerer, rechtstechnischer Zusammenhang der zivilrechtlichen Regelung mit einer konkreten Bestimmung öffentlich-rechtlichen Inhalts des Gesetzes bestehen und dass die jeweilige Bestimmung zivilrechtlichen Inhalts eine notwendige Ergänzung einer bestimmten Regelung der Verwaltungsmaterie darstellen muss (VfGH 28. 6. 2011, G 11/11 mwN). Jedoch steht es einer eigenständigen Regelung durch den Landesgesetzgeber nicht entgegen, wenn das allgemeine bürgerliche Recht bei Fehlen einer besonderen Bestimmung zu einem bestimmten Ergebnis führt, zumal der (Landes-)Gesetzgebung auch im Bereich des Art 15 Abs 9 B-VG ein Regelungsspielraum offenbleiben muss (vgl VfSlg 10097/1984).

3.3. Im vorliegenden Fall spricht für die Notwendigkeit des Ausschlusses der Ersitzung die Zielrichtung der straßenrechtlichen Bestimmungen des § 8 Sbg StrG, Benutzungen von Straßen für andere Zwecke als für jene des Verkehrs im öffentlichen Interesse tunlichst einzuschränken. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich somit als unbedenklich.

4. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Revisionsgegner hat nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen; er hat daher die Kosten seiner Revisionsbeantwortung selbst zu tragen (RIS-Justiz RS0035979 ua).

Stichworte