Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Kadir S***** des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (I./), Abdulsamet Y***** des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 202 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.
Danach haben am 2. November 2009 in Innsbruck
I./ Kadir S***** Daniela B***** mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie festhielt und ihre Brust drückte;
II./ Abdulsamet Y***** Daniela B***** mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht, indem er sie festhielt und sie unter ihrer Badehose im Schambereich „nicht nur flüchtig“ berühren wollte.
Gegen dieses Urteil richten sich die - gesondert ausgeführten - Nichtigkeitsbeschwerden beider Angeklagter, wobei sich der Erstangeklagte auf § 281 Abs 1 Z 10a StPO stützt, der Zweitangeklagte auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und lit c, 10a und 11 StPO. Beide verfehlen ihr Ziel.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Kadir S*****:
Aus § 281 Abs 1 Z 10a StPO ist ein Urteil dann nichtig, wenn die darin enthaltenen Feststellungen bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen oder wenn Ergebnisse der Hauptverhandlung auf einen Umstand hindeuten, der für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäbe, das Gericht dazu aber keine Feststellungen getroffen hat. Gegenstand dieses Nichtigkeitsgrundes ist demnach - nicht anders als im Fall einer Rechtsrüge nach Z 9 oder einer Subsumtionsrüge nach Z 10 - der Vergleich der im Urteil getroffenen Feststellungen mit den Diversionskriterien. Hat das Gericht nach Ansicht des Beschwerdeführers zu deren Beurteilung erforderliche Feststellungen nicht getroffen, so hat er dies mit einem Feststellungsmangel geltend zu machen (RIS-Justiz RS0119091).
Soweit der zur Tatzeit jugengliche Rechtsmittelwerber - nicht näher substantiiert und ohne im dargelegten Sinn einen Feststellungsmangel geltend zu machen - vorbringt, es handle sich um eine „harmlose“ Tat, die eine diversionelle Erledigung geradezu geboten erscheinen ließe, übergeht er die Konstatierungen des Schöffengerichts (US 4 f). Insbesondere vermag er nicht aufzuzeigen, weshalb - mag auch ein Geständnis nicht vorausgesetzt sein - eine bei allen diversionellen Erledigungsformen erforderliche, das Unrecht der Tat akzeptierende Einsicht entbehrlich wäre, um spezialpräventive Bedenken auszuräumen. Eine solche Verantwortungsübernahme würde im Übrigen auch die innere Bereitschaft zur Schadensgutmachung bzw zum Tatfolgenausgleich erfordern, die nur bei entsprechendem Unrechtsbewusstsein möglich ist (RIS-Justiz RS0116299; Schroll, WK-StPO § 198 Rz 36).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Abdulsamet Y*****:
Mit der Kritik, das Erstgericht hätte abweichend von der Anklageschrift in dem Urteilsspruch II./ den Passus „um sie nicht nur flüchtig zu berühren“ ergänzend aufgenommen, wird weder die angesprochene Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO noch jene nach § 281 Abs 1 Z 8 StPO aufgezeigt, weil diese der Präzisierung dienende Ergänzung der Diktion der Anklage weder den gesetzlichen Tatbestand noch die Identität der Tat berührt.
Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider hat das Schöffengericht seine Feststellungen zur angewandten Gewalt und zu den geschlechtlichen Handlungen des Nichtigkeitswerbers unter Hinweis auf die belastenden Angaben des Tatopfers logisch und empirisch einwandfrei (RIS-Justiz RS0118317, RS0108609) begründet. Soweit der Beschwerdeführer aus der Aussage der Zeugin Daniela B***** verbunden mit eigenständigen beweiswürdigenden und hypothetischen Überlegungen unter Hervorkehrung des Zweifelsgrundsatzes (vgl dazu RIS-Justiz RS0102162) für sich günstigere Schlüsse zu ziehen trachtet, wendet er sich nur nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen Schuld gegen die Lösung der Tatfrage.
Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts (einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen) mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen, zu deren Verdeutlichung das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) herangezogen werden kann. Von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend ist zur Geltendmachung eines aus Z 9 oder Z 10 gerügten Fehlers klar zu stellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz hätte abgeleitet werden sollen (RIS-Justiz RS0117247; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 584).
Die Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a und c, der Sache nach Z 5 sowie Z 9 lit a und b StPO) argumentiert nicht wie erforderlich auf Basis des Urteilssachverhalts, sondern behauptet, das erkennende Gericht hätte Beweisergebnisse „mit Stillschweigen übergangen“, die der Feststellung ausgeübter Gewalt „widersprechen“, weswegen „allenfalls ... § 218 Abs 1 Z 1 StGB erfüllt“ sei, wobei es jedoch an einer Ermächtigung fehle (vgl RIS-Justiz RS0118040) und orientiert sich insoweit nicht an der Verfahrensordnung.
Zur Diversionsrüge (Z 10a), die lediglich vermeint, dass nach „dem JGG keine Schuldeinsicht ... erforderlich“ sei, ist auf die Ausführungen bei Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten zu verweisen.
Mit der Sanktionsrüge (Z 11) wird weder ein Überschreiten der Strafbefugnis noch die unrichtige Beurteilung für die Strafbemessung maßgebender entscheidender Tatsachen oder ein sonst in unvertretbarer Weise begangener Verstoß gegen Bestimmungen über die Strafbemessung (§ 281 Abs 1 Z 11 erster, zweiter oder dritter Fall StPO) aufgezeigt, sondern lediglich ein Formulierungsfehler zu den fehlenden Voraussetzungen nach § 37 StGB, der im Übrigen aus dem Gesamtzusammenhang eindeutig als solcher zu erkennen ist, angesprochen. Sollte mit diesem Vorbringen darüber hinaus die Anwendung dieser Strafzumessungsbestimmung angestrebt werden, wird bloß ein Berufungsvorbringen zur Darstellung gebracht.
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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