OGH 14Os66/11d

OGH14Os66/11d30.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. August 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Steinbichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Helmut S***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 14. Jänner 2011, GZ 12 Hv 117/10z-19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Helmut S***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er von 5. Oktober 2006 bis 11. Jänner 2007 in B***** als Vizebürgermeister der Großgemeinde B***** mit dem Vorsatz, diese an ihrem konkreten Recht auf Rückforderung zu Unrecht ausbezahlter Bezüge zu schädigen, seine Befugnis im Namen der Gemeinde als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er es unterließ (§ 2 StGB), den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft N***** als Aufsichtsbehörde vom 2. Oktober 2006, Zahl *****, zu vollziehen, mit dem ihm die Veranlassung der Rückforderung von 1. Juli 1998 bis 17. September 2002 rechtswidrig an den ehemaligen Bürgermeister der Großgemeinde B*****, Franz Sch*****, ausbezahlter Beträge aufgetragen wurde.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 5 und 9 lit a und lit b des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Soweit die Mängelrüge die Unrechtmäßigkeit der in Rede stehenden Bezüge des ehemaligen Bürgermeisters der Großgemeinde B***** auf Basis urteilsfremder Sachverhaltsannahmen in Zweifel zieht, verfehlt sie die Ausrichtung am Verfahrensrecht, weil sie sich bloß in Spekulationen zum Vorliegen eines konkludent abgeschlossenen Dienst- oder Werkvertrags zwischen der Großgemeinde und Franz Sch***** erschöpft und solcherart die Beweiswürdigung der Tatrichter, die ihre gegenteilige Auffassung logisch und empirisch einwandfrei auf die Aussage des Genannten stützten (US 16 f), in Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung bekämpft, weiters nicht darlegt, inwiefern die - isoliert und aus dem Zusammenhang gerissen zitierten - Aussagen des Zeugen Mag. Martin H***** (ON 18 S 34 ff) dazu in erörterungsbedürftigem Widerspruch (Z 5 zweiter Fall) stehen sollten, und schließlich mit der Kritik an unterlassener Einholung eines Rechtsgutachtens zu dieser „Problematik“ (der Sache nach Z 5a) - abgesehen von fehlender Darlegung, aus welchem Grund der Rechtsmittelwerber selbst an einer darauf abzielenden Antragstellung gehindert war (RIS-Justiz RS0114036) - verkennt, dass Rechtsfragen zufolge des verfahrensrechtlichen Grundsatzes „iura novit curia“ kein Gegenstand der Beweisaufnahme sind (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 343).

Aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall) ist ein Urteil dann, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099431; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467). Solches behauptet die Beschwerde - unter solcherart lediglich nomineller Heranziehung des Nichtigkeitsgrundes - nicht, indem sie sich bloß unsubstantiiert gegen die Auffassung der Tatrichter wendet, aus dem - in der angefochtenen Entscheidung aktenkonform zitierten - Wortlaut des Bescheids der Aufsichtsbehörde (US 9) gehe klar hervor, dass der Beschwerdeführer eine dem darin erteilten Auftrag entsprechende Beschlussfassung des Gemeinderats hätte herbeiführen müssen (US 10).

Mit Einwänden gegen die Feststellungen zum Tatzeitraum und zum konkreten Zeitpunkt der (auch nach dem Beschwerdestandpunkt tatsächlich erfolgten) Zustellung des Bescheids an den Angeklagten spricht die Mängelrüge im vorliegenden Fall erneut keine für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache an (vgl für viele: RIS-Justiz RS0098557).

Die Feststellung gänzlicher Untätigkeit des Beschwerdeführers bezog sich - bei gebotener Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 440) - auf die Nichterfüllung der durch den Bescheid ausgelösten konkreten Handlungspflichten (Einberufung des Gemeinderats, Herbeiführung einer Beschlussfassung oder Anzeige der eigenen „Befangenheit“, US 11 iVm US 14 f), wozu die Konstatierung, er habe einen Tag vor Ablauf der ihm gesetzten Frist einen - am 15 Dezember 2006 abgewiesenen - Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens eingebracht (US 10), schon deshalb nicht im Widerspruch (Z 5 dritter Fall) steht, weil ein solcher Antrag mit keinen unmittelbaren Rechtswirkungen verknüpft, insbesonders nicht mit aufschiebender Wirkung verbunden ist (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 58 mwN) und dessen Einbringung damit der Annahme pflichtwidrigen Verhaltens durch Unterlassung nicht entgegensteht. Soweit die Beschwerde auf Basis dieser Argumentation die Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs in Zweifel zieht, bekämpft sie hier ein weiteres Mal unzulässig die gegenteiligen beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter (US 14 f).

Diese haben die Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite - von der fehlende Begründung reklamierenden Rüge prozessordnungswidrig übergangen - nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der insoweit leugnenden Verantwortung des Beschwerdeführers (US 12 bis 17) im Wesentlichen aus seinem objektiven Täterverhalten im Verein mit dem Wortlaut des Bescheids der Aufsichtsbehörde, seiner langjährigen Tätigkeit im Gemeinderat und seinem Eingeständnis, selbst davon ausgegangen zu sein, dass Franz Sch***** „die zu Unrecht bezogenen Bezüge zurückzahlen muss“, abgeleitet (US 17 f), was unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden ist (vgl auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452; RIS-Justiz RS0116883).

Den Einwand in sich widersprüchlicher Entscheidungsgründe (Z 5 dritter Fall) entwickelt die Mängelrüge auf Basis einzelner, verkürzt und sinnentstellt dargestellter Urteilspassagen, nimmt solcherart gesetzwidrig nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0119370) und ist daher von vornherein nicht geeignet, einen formalen Begründungsmangel aufzuzeigen.

Tatsächlich sind die Tatrichter nämlich davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer die Rechtsmeinung des Franz Sch***** zur Rechtmäßigkeit seiner Bezüge (zunächst) unkritisch und unüberprüft übernahm (US 13), nach Zustellung des Bescheids der Aufsichtsbehörde aber davon überzeugt war, dass die Beträge zurückzuzahlen seien (US 15), was ebensowenig nach Denkgesetzen unvereinbar mit der Urteilsannahme wissentlichen Fehlgebrauchs seiner Befugnisse durch pflichtwidrige Unterlassung des Vollzugs dieses Bescheids (US 11 f, 17 f) ist, wie die Überlegung, dass seine „Untätigkeit … sehr stark vom Bürgermeister beeinflusst wurde“ (US 14). Gleiches gilt für die Ableitung der Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs (auch) aus der langjährigen Tätigkeit im Gemeinderat (US 16) bei gleichzeitiger Verneinung fundierter juristischer Kenntnisse des Beschwerdeführers (US 14).

Indem die Rüge wiederholt aus den Prämissen der angefochtenen Entscheidung andere Schlüsse zieht als jene des Erstgerichts, bekämpft sie ein weiteres Mal bloß die Beweiswürdigung in unzulässiger Weise (RIS-Justiz RS0099674).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) setzt sich mit der Forderung nach Feststellungen „in Richtung des Bestehens eines arbeitsrechtlichen Anspruchs, des Vorliegens eines zumindest konkludenten Vertrags“ in Widerspruch zu den gegenteiligen Urteilsannahmen (US 6), womit sie den gerade im Urteilssachverhalt gelegenen Bezugspunkt des materiellen Nichtigkeitsgrundes verfehlt.

Soweit sie im Folgenden weitgehend ohne Bezugnahme zum Akteninhalt auf Basis spekulativer beweiswürdigender Erwägungen Vertretbarkeit des dem Angeklagten angelasteten Verstoßes gegen seine Handlungspflicht abzuleiten versucht und den zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen gegenteilige Thesen (etwa: „ein Untätigbleiben in der hier gegebenen höchst komplizierten Materie kann nur auf Überlastung, Überforderung, auf mangelnden juristischen/verwaltungsrechtlichen Fähigkeiten beruhen“ [vgl dagegen die solches gerade verneinenden Urteilsannahmen; US 16]; Schädigungsvorsatz „kann“ zufolge angekündigter Ersatzvornahme „nicht gegeben sein“ [vgl dagegen US 15]) entgegenstellt, verfehlt sie erneut den - im Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechtes (einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen) mit dem festgestellten Sachverhalt gelegenen - Gegenstand des geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0117247).

Dass, „die Unterlassung ….im konkreten Fall … nicht einer rechtswidrigen Vornahme eines Hoheitsaktes gleichgesetzt werden“ könne, wird bloß behauptet, nicht aber methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitet.

Mit der These, eine Schädigung der Gemeinde sei zufolge angekündigter und (am 25. Oktober 2007; US 11) erfolgter Ersatzvornahme durch die Bezirkshauptmannschaft N***** „denkunmöglich“, lässt die Rüge offen, aus welchem Grund nachträglichem pflichtgemäßen Verhalten der übergeordneten Behörde strafbefreiende Wirkung zukommen sollte.

Der Einwand substanzlosen Gebrauchs der verba legalia in Betreff des Schädigungsvorsatzes ist mit Blick auf die - von der Beschwerde prozessordnungswidrig ignorierten - umfassenden diesbezüglichen Konstatierungen (US 11 f) nicht nachvollziehbar.

Nicht an den Kriterien gesetzeskonformer Darstellung materieller Nichtigkeit (vgl dazu RIS-Justiz RS0118580) orientiert ist schließlich auch die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit b), die - die Feststellungen zur inneren Tatseite und die dazu angestellten Erwägungen der Tatrichter ignorierend - aus dem Geschehen vor Erlassung des Bescheids der Aufsichtsbehörde, dessen Wortlaut und den fehlenden juristischen Kenntnissen des Beschwerdeführers ableitet, er sei überzeugt gewesen, seine Befugnisse nicht zu missbrauchen, und auf dieser urteilsfremden Grundlage einen „nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum (§ 9 StGB)“ behauptet.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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