OGH 3Ob101/11s

OGH3Ob101/11s24.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der betreibenden Partei E***** KG, *****, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die verpflichtete Partei Josef B*****, vertreten durch Dr. Peter Hallas, Rechtsanwalt in Mödling, wegen Aufschiebung einer Räumungsexekution, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 19. Jänner 2011, GZ 38 R 175/10g-35, womit infolge Rekurses der (richtig) betreibenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 22. Juni 2010, GZ 44 E 229/09y-17, (44 C 326/09g), dieser abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß

(§ 78 EO iVm) § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Verpflichtete behauptet in seinem Aufschiebungsantrag zusammengefasst, er habe sich aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten im Zeitraum der Einbringung der Aufkündigung und der Erlassung/Zustellung des Übergabsauftrags in einem körperlichen und seelischen Ausnahmezustand befunden, weshalb er behördlichen Schriftstücken mit für ihn ungewohnten Inhalten und Formulierungen nicht die hinreichende Aufmerksamkeit aufzubringen vermocht habe. Er macht damit geltend, er sei damals (unerkannt) nicht prozessfähig gewesen. Auf diesen Sachverhalt gestützt beantragt der Verpflichtete, das Titelverfahren für nichtig zu erklären; die der Aufkündigung erteilte Vollstreckbarkeitsbestätigung aufzuheben; die Wiedereinsetzung zur Erhebung von Einwendungen zu bewilligen.

Das Rekursgericht wies den Antrag, die zwangsweise Räumung aufzuschieben - im Gegensatz zum Erstgericht - ab.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Verpflichteten vermag keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen und ist deshalb nicht zulässig.

1. Seit der Entscheidung des verstärkten Senats zu 1 Ob 6/01s (= SZ 74/200) entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass der geltend gemachte Umstand - unterstellt man seine Richtigkeit - dem Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung nicht entgegensteht. Die Partei, die ihre Prozessunfähigkeit behauptet, kann mit dem ihr zu Gebote stehenden ordentlichen Rechtsmittel den Nichtigkeitsgrund geltend machen. Ist die Rechtsmittelfrist verstrichen, daher die formelle Rechtskraft eingetreten, kann sie bis spätestens vier Wochen nach der - jedoch keine Zulässigkeitsvoraussetzung bildenden - Zustellung an ihren gesetzlichen Vertreter durch diesen Nichtigkeitsklage aus dem Grund des § 529 Abs 1 Z 2 ZPO erheben (RIS-Justiz RS0116036). Die von der älteren Rechtsprechung eingeräumte Möglichkeit, neben der Nichtigkeitsklage auch einen Antrag auf Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit gemäß § 7 Abs 3 EO zu stellen, besteht bei Zustellung an eine während des gesamten Verfahrens prozessunfähige, aber nicht besachwalterte Partei, deren Prozessunfähigkeit zunächst nicht erkennbar war, nicht mehr. Weil in einem solchen Fall die Bestätigung der Vollstreckbarkeit nicht gesetzwidrig oder irrtümlich erteilt worden ist, kann sie nicht nach § 7 Abs 3 EO aufgehoben werden. Die formell rechtskräftige Entscheidung muss mit Nichtigkeitsklage angefochten werden (RIS-Justiz RS0110275 [T8] = 4 Ob 182/06b).

Nur der Einwand, die Zustellung sei wegen Verletzung der im Zustellgesetz normierten Formvorschriften unwirksam (Ortsabwesenheit § 17 Abs 3 ZustG), ist mit einem Antrag nach § 7 Abs 3 EO geltend zu machen. Eine Nichtigkeitsklage scheidet hier aus, weil es an der formellen Rechtskraft der Entscheidung fehlt und zwar unabhängig davon, ob der Zustellmangel nur das Urteil oder das gesamte Verfahren betrifft (1 Ob 71/10p; 10 Ob 41/07p; RIS-Justiz RS0078895 [T7] = RS0110275 [T7] = RS0116036 [T5]).

2. Der Umstand, dass das Erstgericht entgegen der von der Judikatur vorgegebenen Rechtslage das Verfahren zur Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit fortsetzte und ein Gutachten einer Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie einholte, das bereits vorliegt und die Behauptung des Verpflichteten bestätigt, kann auf die Notwendigkeit der Erhebung einer Nichtigkeitsklage keinen Einfluss nehmen.

3. Dem Rekursgericht ist keine Fehlbeurteilung unterlaufen, wenn es im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung zum Ergebnis gelangte, der Verpflichtete habe sich auf keinen tauglichen Aufschiebungsgrund berufen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

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