OGH 2Ob40/11p

OGH2Ob40/11p14.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef S*****, vertreten durch Dr. Erwin Köll, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Thomas F*****, vertreten durch Mag. Martin Wolf, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Aufkündigung eines Landpachtvertrags, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. November 2010, GZ 4 R 360/10k-20, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 25. Juni 2010, GZ 17 C 462/09s-16, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger ist Alleineigentümer eines geschlossenen Hofes sowie einer landwirtschaftlichen Liegenschaft, die er mit schriftlichem Pachtvertrag vom 20. 3. 2008 dem Beklagten in Bestand gab. Das Pachtverhältnis begann per 1. 4. 2008. Es ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, wobei jeder Vertragsteil berechtigt ist, unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem halben Jahr zum 31. März eines jeden Jahres zu kündigen. Der klagende Verpächter verzichtete auf eine Kündigung vor dem 31. 3. 2009, sodass er erstmals zur Kündigung per Ende März 2010 berechtigt war.

Die Pachtliegenschaft wurde seit Beginn des Vertragsverhältnisses sowohl vom Kläger als auch vom Beklagten und dessen Vater zu Wohnzwecken genutzt. Dabei kam es zu Differenzen, die die Bewirtschaftung des Pachtgegenstands generell, aber auch Zahlungsrückstände bei den Betriebskosten, Feuerversicherungsprämien und bei einem vom Kläger dem Vater des Beklagten gewährten Darlehen betrafen.

Mit der am 23. 9. 2009 eingebrachten gerichtlichen Aufkündigung kündigte der Kläger den Pachtvertrag per 31. 3. 2010 auf. Die Fortsetzung des Pachtvertrags sei nicht mehr zumutbar, weil der Beklagte und dessen Vater sich gegenüber dem Kläger laufend unleidlich verhielten. Sie seien dem Kläger und seinen Besuchern gegenüber wiederholt aggressiv und gewalttätig gewesen, sodass mehrfach Polizeieinsätze notwendig wurden. Der Umgangston des Beklagten mit dem Kläger sei permanent von offenen und unterschwelligen Drohungen gekennzeichnet. Auch hätten der Beklagte und sein Vater die Nahrungsversorgung des Klägers durch „Essen auf Rädern“ unterbunden.

Im Aufkündigungsverfahren wurde eine Tagsatzung für den 23. 3. 2010 anberaumt. Bei einer Zusammenkunft am Abend vor diesem Termin in der Küche des Bestandobjekts erklärte der Vater des Beklagten, dass der Beklagte nunmehr die gesamte Pacht für das Jahr 2010 in Höhe von 2.000 EUR bar bezahlen wolle und legte den genannten Geldbetrag vor dem Kläger auf den Tisch. Er sprach das behängende Kündigungsverfahren an, erklärte, dass er und der Beklagte sich bessern würden und ersuchte den Kläger ihnen noch eine Chance zu geben. Dabei zog er eine von einem befreundeten Anwalt im Voraus konzipierte Bestätigungsurkunde über den Erhalt des Pachtzinses für das Jahr 2010 hervor. Im Beisein der Streitteile fügte er am Ende der Urkunde den handschriftlichen Zusatz „nächster Kündigungstermin September 2010“ an. Dieser Zusatz wurde nicht näher erörtert, insbesondere nicht in der Richtung, wann und zu welchem Zeitpunkt nun eine Aufkündigung möglich wäre, welche Auswirkungen dieser Zusatz auf die bereits getroffene schriftliche Vertragsbestimmung entfalte und ob und inwieweit dadurch das behängende Kündigungsverfahren beeinflusst werde.

Der Kläger unterfertigte letztlich die Urkunde und nahm die Zahlung an. (Die erstgerichtlichen Feststellungen darüber, dass der Vater des Beklagten die Bestätigung in der Absicht verfassen ließ, den Kläger im Rahmen eines persönlichen Gesprächs zu Handlungen und Äußerungen zu bewegen, die zu einer Verbesserung der Prozesschancen seines Sohnes führen sollten, dass er aus diesem Motiv den Kläger drängte, die vorbereitete Erklärung samt handschriftlichem Zusatz zu unterfertigen und der Kläger letztlich dem Drängen nachgab, auch um seine Ruhe zu haben und die Küche wieder ungestört verlassen zu können, sind unerledigt bekämpft.)

In der mündlichen Streitverhandlung vom 23. 3. 2010 wendete der Beklagte ein, dass die Parteien am Tag davor die Verlängerung des Pachtverhältnisses ausdrücklich vereinbart hätten und somit auf die Auflösung des Pachtverhältnisses sowie die Fortsetzung des vorliegenden Kündigungsverfahrens ausdrücklich verzichtet worden sei. Der Kläger bestritt und führte aus, dass es zu keiner einvernehmlichen Verlängerung gekommen sei. Er habe die Urkunde nur unter Zwang unterschrieben und bekämpfe eine etwaige Vereinbarung deswegen, aber auch wegen Irrtums und Arglist.

Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf die Frage der außergerichtlichen Vertragsverlängerung ein, erkannte die gerichtliche Aufkündigung für rechtswirksam und gab dem Räumungsbegehren des Klägers statt. Dem Gespräch vom 22. 3. 2010 und der dabei erstellten Urkunde könne nicht das Gewicht beigemessen werden, dass dabei mit übereinstimmender Willenserklärung eine vom schriftlichen Vertrag abweichende Dauer bzw Kündigungsmöglichkeit festgelegt worden sei. Der Vorgang könne nicht dahin gedeutet werden, dass der Kläger bei objektiver Sicht in Anwendung des § 863 ABGB in konkludenter Form von seinem Rechtsstandpunkt, nämlich der Aufkündigung zum ehestmöglichen Termin laut schriftlichem Vertrag, abgewichen sei. Die reine Annahme des Bestandzinses führe ebenfalls nicht zu einer konkludenten Verlängerung des Bestandverhältnisses. Auch der unterfertigte Zusatz „nächster Kündigungstermin September 2010“ könne nicht als einvernehmliche abweichende Kündigungsregelung angesehen werden. Auch bei Berücksichtigung als schlüssiges Verhalten könne eine übereinstimmende Willenserklärung in der vom Beklagten gewünschten Weise nicht erkannt werden, weshalb die Aufkündigung berechtigt sei.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass dem Kläger eine Unterschriftsleistung herausgelockt worden sei, ohne einen Bezug zum behängenden Kündigungsverfahren herzustellen. Es lägen daher die Voraussetzungen des § 863 ABGB zu Gunsten des Beklagten vor. Jemand, der eine Urkunde unterschreibe, habe deren Inhalt im Regelfall gegen sich gelten zu lassen. Dass sich der Kläger am 22. 3. 2010 im Zustand der Geschäftsunfähigkeit befunden habe, sei nicht festgestellt und auch nicht behauptet worden. Die Parteien hätten daher am 22. 3. 2010 eine neue Vereinbarung geschlossen, bei der der September 2010 als „nächster Kündigungstermin“ vereinbart worden sei. Der Kläger habe mit Unterfertigung der Urkunde zumindest schlüssig zu verstehen gegeben, dass er dem Beklagten die erbetene „zweite Chance“ einräume, was auch unzweifelhaft Auswirkungen auf das Kündigungsverfahren entfalte, dessen Fortsetzung mit der vom Kläger getätigten Erklärung nicht vereinbar wäre. Im Ergebnis bedeute dies, dass die Aufkündigung nicht mehr aufrecht erhalten werden könne und das Räumungsbegehren unberechtigt sei. Es sei daher der Berufung des Beklagten bereits aus rechtlichen Erwägungen zu folgen und das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung abzuändern.

Auf die Anfechtung des Vertrags (bzw der Vertragsverlängerung) wegen Zwangs, Arglist und Irrtum ging das Berufungsgericht nicht ein.

Das Berufungsgericht sprach weiters aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil es sich nur um Fragen des Einzelfalls handle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, der die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte erachtet in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung die Revision für nicht zulässig und beantragt, ihr nicht Folge zu geben.

Mittlerweile wurde für den Kläger ein einstweiliger Sachwalter bestellt. Die vorliegende Klage wurde pflegschaftsbehördlich genehmigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt im Sinne einer Aufhebung.

Das Rechtsmittel verweist darauf, dass der Kläger die (allfällige) Vereinbarung vom 22. 3. 2010 auch wegen Irrtums, Arglist und Zwang bekämpft und sich das Berufungsgericht mit diesem Vorbringen nicht auseinandergesetzt habe. Aus der Gesamtsituation sowie den Umständen, unter denen die Erklärung abgegeben worden sei, sei bei richtiger Betrachtung davon auszugehen, dass der Kläger echten Willen, den Pachtvertrag zu verlängern, nicht hatte und der Beklagte mangels Redlichkeit darauf auch nicht habe vertrauen dürfen.

Hiezu wurde erwogen:

Sowohl für die Frage, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt, als auch für die Bestimmung ihres Inhalts ist nicht der wahre Wille des Erklärenden, sondern entsprechend der Vertrauenstheorie der Empfängerhorizont maßgeblich: Die Erklärung gilt so, wie sie ein redlicher Empfänger verstehen durfte. Es kommt also auf den objektiven Erklärungswert und nicht auf den Willen des Erklärenden oder das tatsächliche Verständnis des Empfängers an (Bollenberger in KBB3 § 863 Rz 3; Rummel in Rummel 3 ABGB § 863 Rz 8; Apathy/Riedler in Schwimann 3 § 863 ABGB Rz 1f).

Sieht man vom Einwand des Klägers in Richtung Willensmängel ab, die eine Willenserklärung nicht ausschließen, sondern lediglich anfechtbar machen, bleibt für die Beurteilung seiner Erklärung insbesondere seine Unterschriftsleistung unter die Bestätigung einer Zahlung von Pachtzins für einen Zeitraum, der nach dem geltend gemachten Kündigungstermin liegt, und unter einen handschriftlichen Zusatz über den nächsten Kündigungstermin.

Nach ihrem objektiven Erklärungswert war diese Unterschriftsleistung des Klägers dahin zu verstehen, dass mit der Entgegennahme des Pachtzinses für eine nach dem Kündigungszeitpunkt liegende Periode und der Vereinbarung eines danach liegenden weiteren Kündigungstermins das Pachtverhältnis entsprechend weiter aufrecht bleiben sollte.

Ob, wie die Revision moniert, beim Kläger kein echter Wille den Pachtvertrag zu verlängern vorlag, wird dagegen im Zusammenhang mit der Anfechtung des Vertrags wegen Irrtum, List und Zwang zu prüfen sein.

Richtig ist, dass das Berufungsgericht auf diesen Einwand nicht Bedacht genommen hat. Im Hinblick auf sein rechtliches Ergebnis war das Erstgericht wiederum nicht gehalten umfassende Feststellungen zum Tatsachenkomplex der Vertragsanfechtung des Klägers zu treffen. Zwar weisen einige der Feststellungen des Erstgerichts bereits massiv in diese Richtung, diese Feststellungen sind aber bekämpft und wurden vom Berufungsgericht auch im Rahmen der Tatsachenrüge nicht behandelt.

Dennoch erscheint es im vorliegenden Fall geboten, nicht dem Berufungsgericht die Behandlung der Rüge der bisherigen Feststellungen, sondern dem Erstgericht umfassende Feststellungen über die geltend gemachten Willensmängel aufzutragen und daher die Rechtssache an die erste Instanz zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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