OGH 11Os73/11m

OGH11Os73/11m14.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Einwagner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johannes R***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 1. März 2011, GZ 38 Hv 3/11z-14, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johannes R***** des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (1) und des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt.

Danach hat er am 5. Oktober 2010 in E***** Melanie Ri*****

(1) durch Würgen und Versetzen von Schlägen und Stößen vorsätzlich am Körper in Form von Blutergüssen am linken Oberarm sowie Schürfwunden am Rücken und am Unterschenkel verletzt;

(2) mit Gewalt zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich eines Oralverkehrs an ihm, genötigt, indem er sie an den Armen und am Oberkörper festhielt, an den Haaren erfasste und ihren Kopf gewaltsam an sein Geschlecht presste.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4, 5, 5a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht berechtigt.

Die Verteidigerin hatte in der Hauptverhandlung die Einholung eines „psychiatrisch-psychologischen“ Gutachtens hinsichtlich Melanie Ri***** zum Beweis dafür beantragt, dass die Zeugin an einer Persönlichkeitsstörung leide. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass Melanie Ri*****, die „sich mehrfach in Widersprüche zum Tathergang selbst verwickelt“ habe, der Zeugin Ornita R***** „offensichtlich von einer schwierigen Kindheit“ erzählt habe (ON 13 S 27 f). Durch die Abweisung dieses Begehrens wurden Verteidigungsrechte schon deshalb nicht verletzt, weil im Beweisantrag nicht einmal behauptet wurde, dass Melanie Ri***** zu einer wahrheitsgemäßen Aussage nicht willens oder fähig sei. Im Hinblick darauf, dass Zeugen nicht verpflichtet sind, sich gegen ihren Willen untersuchen zu lassen, unterblieb auch die gebotene Darlegung, warum anzunehmen sei, dass sich Melanie Ri***** zur Befundaufnahme bereit finden werde (RIS-Justiz RS0118956 [T3, T4]). Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Hilfestellung durch einen Sachverständigen bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen nur in Ausnahmefällen, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen, in Betracht kommt (RIS-Justiz RS0120634; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350).

Entgegen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) musste sich das Erstgericht - dem Gebot der gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend - nicht mit sämtlichen Details der insgesamt als unglaubwürdig verworfenen (US 9 f) Aussage des Angeklagten zum angeblich einverständlich durchgeführten Oralverkehr auseinandersetzen. Gleiches gilt für die - im Übrigen auch nicht entscheidungswesentliche - Aussage der Zeugin Ornita R*****, wonach ihr das Tatopfer nur von körperlichen, aber nicht sexuellen Übergriffen berichtet habe. Der Einwand unterbliebener Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite (Z 5 vierter Fall) ignoriert die dazu auf US 13 letzter Absatz getroffenen Urteilsannahmen und verfehlt solcherart den in der Gesamtheit der Entscheidungsgründe liegenden gesetzlichen Bezugspunkt einer Mängelrüge (RIS-Justiz RS0119370).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) will nur unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof stets ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780). Mit den Argumenten, dass das Tatopfer die Möglichkeit gehabt hätte, sich zu wehren, die Auf- und Ab-Bewegung beim Oralverkehr aufgrund der Rückenlage des Angeklagten nur von Manuela Ri***** ausgehen hätte können, und durch das Pressen des Penis gegen das Gesicht kein derartiger Druck auf die Kaumuskulatur erzeugt werden könne, dass „sich der Mund mehr oder weniger automatisch öffne“, werden erhebliche Bedenken gegen das vom Schöffengericht - durch eine Mehrzahl verschiedener gewaltsamer Handlungen - konstatierte vorsätzliche Überwinden des ernst gemeinten Widerstands der Zeugin Ri***** (US 8, 13) nicht geweckt.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) reklamiert einen Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt (§ 8 StGB), ohne methodisch vertretbar aus dem Gesetz abzuleiten, weshalb bei § 201 StGB Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen sollen (vgl Kienapfel/Schmoller BT III2 §§ 201-202 Rz 38). Im Übrigen übergeht das Vorbringen des Angeklagten, er sei aufgrund vergleichbarer einvernehmlicher Oralverkehrpraktiken bei anderen sexuellen Begegnungen mit dem Tatopfer auch gegenständlich von der Einwilligung der Manuela Ri***** ausgegangen, prozessordnungswidrig die konträr dazu getroffenen Urteilsfeststellungen (US 8, 13). Gleiches gilt schließlich für den Einwand (der Sache nach Z 10), die Verletzungen laut Schuldspruch 1) seien fahrlässig im Zuge einvernehmlichen Oralverkehrs entstanden (vgl dagegen US 6 und 8, wonach die Verletzungen bei einer gesonderten Auseinandersetzung vor der Vergewaltigung entstanden).

Der Rechtsmittelantrag, „nach § 288a StPO die Hauptverhandlung zu vernichten“, bleibt unverständlich, weil im vorliegenden Verfahren kein Oberlandesgericht die Rechtswirksamkeit der Angeklageschrift festgestellt hat und daher Nichtigkeit aus § 281a StPO ausscheidet.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die (wegen des Ausspruchs über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche erhobene) Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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