Spruch:
Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. Jänner 2011, GZ 095 Hv 158/10s‑86, verletzt im Zoran M***** betreffenden Schuldspruchpunkt C/I und II sowie im Marko M***** betreffenden Schuldspruchpunkt C/II § 229 Abs 1 StGB.
Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den Schuldsprüchen zu C und demgemäß in den Strafaussprüchen aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. Jänner 2011, GZ 95 Hv 158/10s‑86, wurden Zoran M***** des Verbrechens (richtig) des gewerbsmäßig schweren und durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1, 130 dritter und vierter Fall, 15 StGB (A und B) sowie des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (C) und Marko M***** der Verbrechen des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB (A/2), und der Hehlerei nach § 164 Abs 1 und Abs 4 zweiter Satz StGB (D) sowie „des Vergehens“ der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (C/II) schuldig erkannt.
Nach dem Schuldspruch haben ‑ soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes von Bedeutung ‑ Urkunden, über die sie nicht verfügen durften, mit dem Vorsatz unterdrückt zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden und zwar
(C/I) Zoran M*****
1) am 17. Juli 2010 in Klosterneuburg 19 Begutachtungsplaketten (§ 57a KFG), indem er diese aus dem Geschäftslokal der Wi***** AG entwendete;
2) zwischen 17. Juli 2010 und 18. Juli 2010 in Klosterneuburg 362 Begutachtungsplaketten (§ 57a KFG), indem er diese aus dem Geschäftslokal der G***** AG/W***** GmbH entwendete;
3) zwischen 18. Juli 2009 und 19. Juli 2009 in Baden der Liliane Wa***** (ergänze: entwendete) 152 Begutachtungsplaketten (§ 57a KFG) sowie 500 Blanko-Zulassungsscheine;
(C/II) Zoran M***** und Marko M***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter am 24. Juli 2010 in Klosterneuburg 70 Begutachtungsplaketten (§ 57a KFG) indem sie diese aus dem Geschäftslokal der Wi***** AG entwendeten.
Die Tatrichter stellten fest, dass die Angeklagten die Begutachtungsplaketten und Blanko-Zulassungsscheine bei Einbruchsdiebstählen (Schuldsprüche A/I/4, 9, 10; A/II/2) erbeuteten und diese in der Folge (teilweise) an andere Personen verkauften (US 14); teilweise konnten Begutachtungsplaketten sichergestellt werden (US 15).
Nach den Konstatierungen zur subjektiven Tatseite war den Angeklagten bewusst, dass es sich hiebei um Urkunden handelte, über die sie nicht verfügen durften, wobei sie es ernstlich für möglich hielten und sich damit abfanden, durch ihr Handeln zu verhindern, dass diese Urkunden im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden (US 14).
Die Angeklagten haben gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel erhoben. Über die von der Staatsanwaltschaft betreffend Zoran M***** ergriffene Berufung wurde bislang nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht das bezeichnete Urteil im Umfang des Schuldspruchpunkts C mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Gegenstand des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB sind Urkunden im Sinn des § 74 Abs 1 Z 1 StGB, mithin Schriften, die errichtet worden sind, um ein Recht oder Rechtsverhältnis zu begründen, abzuändern oder aufzuheben oder eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen. Für den Urkundenbegriff des materiellen Strafrechts sind vier Kriterien maßgeblich, nämlich das Vorliegen einer rechtserheblichen Gedankenerklärung, deren schriftliche Verkörperung, die Abgabe dieser schriftlich verkörperten Gedankenerklärung zu Beweiszwecken im Rechtsverkehr und die Erkennbarkeit des Ausstellers. Fehlt eines dieser Merkmale, liegt eine Urkunde im Sinn des StGB nicht vor (Jerabek in WK2 § 74 Rz 46).
Die gegenständlich bei Kraftfahrzeugversicherern oder Zulassungsstellen erbeuteten Blanko-Zulassungsscheine und Begutachtungsplaketten entsprechen mangels rechtserheblichen Erklärungsinhalts, hinsichtlich der Blanko-Zulassungsscheine auch mangels Erkennbarkeit eines Ausstellers nicht dem strafrechtlichen Urkundenbegriff (vgl Jerabek in WK2 § 74 Rz 54; SSt 49/65).
Es handelt sich dabei um reine Drucksorten.
Die rechtsfehlerhafte Subsumtion der Wegnahme der Blankozulassungsscheine und der Begutachtungsplaketten unter § 229 Abs 1 StGB wirkt sich zum Nachteil der Angeklagten aus, weshalb sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, die Feststellung dieser Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
Da Feststellungen für eine Subsumtion des vom Anklagevorwurf umfassten (ON 53 S 5 und 9) Ansichnehmens der Blanko-Zulassungsscheine und Begutachtungsplaketten, um sie weiter zu veräußern, als Vergehen der Vorbereitung der Fälschung öffentlicher Urkunden oder Beglaubigungszeichen nach § 227 Abs 1 StGB fehlen, war die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen.
Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO (vgl dazu Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 39) sei in Betreff des Erstangeklagten Zoran M***** festgehalten, dass die Urteilsannahmen, wonach „die Tathandlungen des Erstangeklagten zudem auf die Begehung schwerer Diebstähle mit einer Schadenssumme von jeweils mehr als 3.000 Euro gerichtet“ waren (US 12), jedenfalls im Zusammenhalt mit den rechtlichen Ausführungen (US 16) den ‑ unter dem Aspekt materiellrechtlicher Nichtigkeit maßgeblichen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19) ‑ Willen der Tatrichter, die der insoweit vorgenommenen Subsumtion auch nach § 130 dritter Fall StGB entsprechenden Feststellungen zu treffen, hinreichend zum Ausdruck bringen.
Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
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