OGH 12Os65/11t

OGH12Os65/11t5.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juli 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Varga als Schriftführer in der Strafsache gegen Alban G***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 erster Fall StGB, AZ 64 Hv 82/11x des Landesgerichts Klagenfurt, über den Antrag des Angeklagten Herolind Z***** auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO in Bezug auf den Beschluss des Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz vom 11. April 2011, AZ 10 Ns 18/11v, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Herolind Z***** und einem weiteren Angeklagten liegt nach dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft Graz vom 22. Februar 2011 (ON 7) zur Last, am 29. November 2010 in Graz die Beamten der Justizanstalt Graz-Jakomini Thomas A*****, Michael O*****, Thomas D***** und Marcel L***** im unmittelbaren Anschluss an die gegen sie zu AZ 14 Hv 139/10i des Landesgerichts für Strafsachen Graz durchgeführte Hauptverhandlung an einer Amtshandlung, nämlich ihrer Verbringung (Rückführung) in die Hafträume in der Justizanstalt Graz-Jakomini, zu hindern versucht zu haben, indem sie gegen die Beamten zahlreiche Schläge und Fußtritte führten.

Der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz legte den Akt am 17. März 2011 „mit der Anzeige der Befangenheit“ dem Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Graz mit der Begründung vor, dass zu beantragten Zeugen, nämlich zu der Richterin Mag. Angelika H***** und zu Staatsanwalt Mag. Arnulf R*****, ein kollegiales Verhältnis bestehe, welches geeignet sei, seine Unbefangenheit in Frage zu stellen (unjournalisiert in ON 1).

Der Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Graz legte den Strafakt zur Entscheidung über die Befangenheit aller Richterinnen und Richter des Landesgerichts für Strafsachen Graz dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz vor, weil aufgrund des kollegialen Naheverhältnisses objektiv ein Befangenheitsgrund vorliegen könnte (S 2 in ON 16).

Der Präsident des Oberlandesgerichts Graz nahm mit Beschluss vom 11. April 2011, AZ 10 Ns 18/11v, die Strafsache dem Landesgericht für Strafsachen Graz wegen Ausgeschlossenheit aller Richter ab und übertrug sie dem Landesgericht Klagenfurt, weil vom erkennenden Einzelrichter die beweiswürdigende Beurteilung der Zeugenaussagen der Richterin Mag. Angelika H***** sowie des Staatsanwalts Mag. Arnulf R***** erforderlich sein werde und angesichts des vom Präsidenten des Landesgerichts für Strafsachen Graz aufgezeigten kollegialen Naheverhältnisses bei objektiver Betrachtung ein Grund bestehe, die volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit der Richter in Zweifel zu ziehen (ON 16).

Dagegen richtet sich ein auf § 363a StPO gestützter Antrag des Angeklagten Herolind Z***** mit der - zusammengefassten - Begründung, dass die pauschale Ausgeschlossenheit der Richter des Landesgerichts für Strafsachen Graz zu Unrecht angenommen worden sei und demzufolge die Übertragung der Strafsache an ein anderes Gericht der Verfassungsbestimmung des Art 83 Abs 2 B-VG widerstreite. Darüber hinaus sei ihm vor Beschlussfassung keine Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden, sodass Art 6 MRK verletzt sei.

Dem Antrag kommt in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der Äußerung des Verteidigers aus folgenden Erwägungen keine Berechtigung zu:

Vorweg ist festzuhalten, dass die Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz weder mit einem selbständigen Rechtsmittel (§ 45 Abs 3 StPO) noch (anders als eine negative Entscheidung nach § 45 StPO; vgl 11 Os 162/10y) mit dem - sonst die örtliche Zuständigkeit betreffenden (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 116) - Nichtigkeitsgrund nach § 489 Abs 1 iVm § 468 Abs 1 Z 1 StPO (Ratz, WK-StPO § 468 Rz 9) bekämpft werden kann und demzufolge der Rechtsweg ausgeschöpft ist (Art 35 Abs 1 MRK; RIS-Justiz RS0122737).

Voraussetzung einer Erneuerung nach § 363a StPO ist, dass eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle behauptet wird (Art 34 MRK; Reindl-Krauskopf, WK-StPO § 363a Rz 39; Grabenwarter, EMRK4 § 9 Rz 2). Indem der Beschwerdeführer in der Übertragung der Strafsache an das Landesgericht Klagenfurt ausschließlich eine Verletzung des Art 83 Abs 2 B-VG und - im Übrigen zu Recht (Grabenwarter, EMRK4 § 24 Rz 30 f, 45) - keine Konventionsverletzung erblickt, verfehlt er die Anfechtungskriterien.

Eine Entscheidung über die Ausschließung ist keine solche, in der über eine strafrechtliche Anklage - also über Schuld oder Nichtschuld - entschieden wird. Die Garantien eines fairen Verfahrens nach Art 6 Abs 1 MRK beziehen sich aber nur auf diesen Teil des Strafprozesses (Grabenwarter, EMRK4 § 24 Rz 26; Fabrizy, StPO10 Art 6 MRK Rz 1). Demzufolge geht auch der eine Verletzung des Grundsatzes des beiderseitigen Gehörs reklamierende Einwand des Antragstellers ins Leere.

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