OGH 15Os75/11k

OGH15Os75/11k29.6.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bütler als Schriftführerin in der Strafsache der Privatankläger Dr. Gregor S***** und Dr. Karl V***** gegen Mag. Ewald St***** wegen § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB, AZ 91 Hv 7/05y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen Beschlüsse in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, und des Verteidigers Dr. Rami zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. Oktober 2009, GZ 91 Hv 7/05y‑120a, und des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 15. März 2010, AZ 18 Bs 44/10t, verletzen insoweit, als hiedurch dem Privatankläger Dr. Karl V***** vom Verurteilten Mag. Ewald St***** zu ersetzende Kosten für seine Teilnahme an der Berufungsverhandlung zuerkannt wurden, § 381 Abs 1 Z 8 und § 393 Abs 1 StPO.

Text

Gründe:

In der Strafsache der Privatankläger Dr. Gregor S***** und Dr. Karl V***** gegen Mag. Ewald St*****, AZ 91 Hv 7/05y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, wurde der Angeklagte Mag. Ewald St***** mit Urteil vom 11. März 2008 des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt (ON 89).

Rechtliche Beurteilung

Den gegen dieses Urteil erhobenen Berufungen des Privatanklägers Dr. Gregor S***** (wegen Nichtigkeit) und des Angeklagten (wegen Nichtigkeit sowie der Aussprüche über die Schuld und die Strafe) gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit (auch einen Kostenersatzausspruch gemäß § 390a Abs 1 erster sowie zweiter Satz StPO enthaltendem) Urteil vom 7. September 2009, AZ 18 Bs 69/09t (ON 114 der Hv-Akten), nicht Folge.

Mit Beschluss vom 13. Oktober 2009 (ON 120a) bestimmte das Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß § 395 Abs 1 StPO ‑ soweit hier von Interesse ‑ die Kosten des ‑ dort persönlich anwesenden, indes unvertretenen ‑ Privatanklägers Dr. Karl V***** für die Teilnahme an der Berufungsverhandlung nach den Tarifansätzen des RATG in der beantragten Höhe (von 988,42 Euro samt USt) mit der Begründung, dass dem Zweitprivatankläger als Rechtsanwalt in eigener Sache „gemäß § 1 Abs 2 RATG Kosten zustehen, als wäre er von einem Rechtsanwalt vertreten“.

Der dagegen erhobenen Beschwerde des Verurteilten gab das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 15. März 2010, AZ 18 Bs 44/10t (ON 139 der Hv-Akten), dem Verteidiger zugestellt am 6. April 2010 (ON 141), die Rechtsansicht des Erstgerichts bekräftigend, nicht Folge. Letztgenannter Beschluss blieb vom Verurteilten unbekämpft (§ 34 MRK, § 363a StPO).

Die genannten Beschlüsse stehen ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer am 19. Mai 2011 zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Entgegen der Rechtsansicht der hier befasst gewesenen Gerichte steht einem Privatankläger (wie auch einem Angeklagten oder Subsidiarankläger), der sich im Verfahren selbst vertreten hat, nach dem Gesetz auch dann kein Anspruch auf Vertretungskosten zu, wenn er selbst Rechtsanwalt ist. Denn § 1 Abs 2 erster Satz zweiter Halbsatz RATG bestimmt bloß, dass die Vorschriften dieses Bundesgesetzes (soweit im Folgenden nicht anderes bestimmt wird) auch bei Bestimmung der Kosten gelten, die der Gegner zu ersetzen hat, und zwar auch dann, wenn dem Rechtsanwalt in eigener Sache Kosten vom Gegner zu ersetzen sind. Die Bestimmung sagt demgemäß nichts darüber aus, unter welchen Voraussetzungen einem Rechtsanwalt in eigener Sache vom Gegner Kosten zu ersetzen sind, sondern bloß, dass sich die Höhe des Ersatzes nach dem Tarif richtet, falls überhaupt ‑ dem Grunde nach ‑ ein Ersatz stattfindet.

Schon nach dem eindeutigen Wortlaut sind unter den „Kosten der Verteidiger und anderer Vertreter“ (§ 381 Abs 1 Z 8 StPO) ‑ was ebenso der Formulierung des § 393 Abs 1 StPO („Wer sich im Strafverfahren eines Vertreters bedient …“) deutlich zu entnehmen ist ‑ nur die Kosten eines tatsächlich in Anspruch genommenen Vertreters zu verstehen, nicht aber die Entschädigung, die eine rechtskundige Partei für ihre eigene Betätigung im Verfahren in Anspruch nimmt (zum Ganzen: EvBl 1977/188; Lendl, WK-StPO § 393 Rz 28; Fischer, Kostenersatz im Strafprozess [2006] Rz 107).

Entgegen der Ansicht der Generalprokuratur war die Gesetzesverletzung lediglich festzustellen. Wurde über zivilrechtliche Ansprüche im Strafverfahren entschieden, ist die Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft grundsätzlich auch unter dem Aspekt einer im Sinn des Art 1 des 1. ZPMRK geschützten Position zu prüfen: Bei untrennbar mit einem Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) verbundenen Zusprüchen (§ 366 Abs 2 StPO) prävaliert im Strafverfahren der Schutz des Angeklagten (RIS-Justiz RS0124740). Im vorliegenden Fall, in dem der Schuldspruch jedoch unverändert bestehen bleibt und die Gesetzesverletzung nur den Kostenbestimmungsbeschluss betrifft, steht einer Zuerkennung konkreter Wirkung (§ 292 Abs 2 letzter Satz StPO) Art 1 des 1. ZPMRK entgegen, weil auch dem Verurteilten keine Möglichkeit zur Einbringung zulässiger weiterer Rechtsbehelfe mehr offen stand (vgl RIS-Justiz RS0124838, RS0124798 [T2], 15 Os 52/10a), sodass der Privatankläger auf die Rechtskraft des Zuspruchs vertrauen durfte.

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