OGH 1Ob24/11b

OGH1Ob24/11b24.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** B*****, vertreten durch Dr. Helmut Graupner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 6.711,49 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. November 2010, GZ 14 R 167/10x-18, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 20. Juli 2010, GZ 1 Cg 121/09m-14, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei deren mit 559,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit Urteil vom 2. 6. 2005 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fest, dass die Verurteilung des Klägers wegen §§ 15 Abs 1, 209 StGB (idF BGBl 60/1974) gegen Art 14 iVm Art 8 EMRK verstoßen habe. Dieses Urteil ist dem Kläger vor dem 17. 1. 2006 zugegangen. In der Folge stellte das Landesgericht Wels das über Antrag des Klägers gemäß §§ 363a ff StPO erneuerte Verfahren gegen diesen ein. Der Einstellungsbeschluss wurde dem Kläger am 12. 4. 2006 zugestellt. Mit einem am 26. 4. 2006 bei der Finanzprokuratur eingelangten Schreiben forderte der Kläger die beklagte Partei auf, seinen Ersatzanspruch anzuerkennen. Das dieses Ansinnen ablehnende Schreiben der Finanzprokuratur ging dem Kläger am 22. 6. 2006 zu.

Das Erstgericht wies das auf Zahlung von 6.711,49 EUR gerichtete Begehren des Klägers ab, weil bereits der Zugang des Urteils des EGMR den Beginn der Verjährungsfrist nach § 8 StEG auslöse. Die am 8. 6. 2009 eingebrachte Klage sei daher verjährt.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an dieses zurück. Nach § 2 Abs 1 Z 3 StEG 2005 stehe ein Ersatzanspruch nach dessen § 1 Abs 1 nur einer Person zu, die durch ein inländisches Strafgericht nach Wiederaufnahme oder Erneuerung des Verfahrens oder sonstiger Aufhebung eines früheren Urteils freigesprochen oder sonst außer Verfolgung gesetzt oder neuerlich verurteilt worden sei, sofern es zur Verhängung einer milderen Strafe oder zum Entfall einer vorbeugenden Maßnahme komme oder diese durch eine weniger belastende Maßnahme ersetzt werde (Wiederaufnahme). Für den Beginn der Verjährung des Ersatzanspruchs fordere § 8 Abs 1 StEG die Kenntnis der anspruchsbegründenden Voraussetzungen, was nach § 2 Abs 1 Z 3 StEG die Aufhebung des rechtskräftigen Urteils und die Außer-Verfolgung-Setzung voraussetze. Vor der Einstellung des Verfahrens habe daher die Verjährung keinesfalls begonnen. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil - soweit überblickbar - keine oberstgerichtliche Judikatur zu der Frage bestehe, wann die Verjährungsfrist nach § 8 Abs 1 StEG im Falle des Entschädigungsgrundes nach § 2 Abs 1 Z 3 StEG zu laufen beginne.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der beklagten Partei ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 526 Abs 2 Satz 2 ZPO) nicht zulässig:

Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 Rz 32 mwN, § 528 Rz 46; E. Kodek in Rechberger³ § 502 Rz 18; RIS-Justiz RS0112921; RS0112769). Das gilt auch für den Anwendungsbereich des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO. Ist eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu lösen, so ist der Rekurs zurückzuweisen (Zechner aaO § 519 Rz 106). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn die bedeutsame Rechtsfrage durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (5 Ob 92/10f ua; RIS-Justiz RS0112921 [T5]).

Das ist hier der Fall.

Der Oberste Gerichtshof hat zwischenzeitig in der Entscheidung 1 Ob 204/10x die auch in der vorliegenden Rechtssache entscheidungswesentliche Rechtsfrage beantwortet und ausgesprochen, dass dann, wenn der EGMR die Konventionswidrigkeit einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe durch ein österreichisches Gericht in casu ebenfalls wegen § 209 StGB aF feststellt, für die Verjährung des Entschädigungsanspruchs nach § 2 Abs 1 Z 3 StEG 2005 nicht auf die Kenntnis des die Konventionsverletzung feststellenden Urteils des EGMR abzustellen ist. Der Anspruch verjährt demnach in der Regel in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der Geschädigte nach Wiederaufnahme oder Erneuerung des Verfahrens Kenntnis von der - auch hier bedeutsamen - nachträglichen Einstellung erhält, weil erst dann die vollständige Kenntnis der anspruchsbegründenden Voraussetzungen im Sinne des § 8 Abs 1 StEG 2005 vorliegt. Dem entspricht die Entscheidung des Berufungsgerichts, das die vom Erstgericht angenommene Verjährung verneinte und diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftrug.

Da bereits eine einzige, ausführlich begründete Entscheidung für das Vorliegen gesicherter Rechtsprechung ausreicht (RIS-Justiz RS0103384 [T5]), ist die von der beklagten Partei entsprechend dem Zulassungsausspruch des Rekursgerichts aufgeworfene Frage nicht mehr als erheblich einzustufen und deren Rechtsmittel zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen einen Aufhebungsbeschluss im Sinne des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS-Justiz RS0123222). Der Kläger hat in seiner Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen, sodass er Anspruch auf Ersatz der Kosten dieses Zwischenstreits hat.

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