OGH 10Nc5/11h

OGH10Nc5/11h6.4.2011

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. H*****, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA), Josefstädterstraße 80, 1081 Wien, wegen Versehrtenrente, über den Delegierungsantrag der klagenden Partei den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag, die Sozialrechtssache an „einen anderen Oberlandesgerichtssprengel“ zu delegieren, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Mit der am 31. 8. 2009 beim Arbeits- und Sozialgericht Wien eingebrachten Klage begehrt der in E***** wohnhafte Kläger, die beklagte Partei zur Anerkennung „seiner Erkrankungen“ als Berufskrankheit und zur Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 20 % der Vollrente ab dem gesetzlichen Anfallstag zu verpflichten. Er sei Richter des Landesgerichts E***** und sämtliche Kollegen seien mit ihm befreundet und/oder kollegial verbunden, weshalb der Oberste Gerichtshof in einer anderen Rechtssache - wegen Vorliegens von Befangenheitsanzeigen aller Richter(innen) dieses Landesgerichts - ein Wiener Gericht für zuständig erklärt habe. Die Beklagte habe sich damit einverstanden erklärt, dieses Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien zu führen. Der Kläger berief sich unter anderem auf die Vernehmung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien als Zeugen, welcher Mobbing gegen den Kläger betrieben und diesen gesundheitlich „schwer“ (in anspruchsbegründendem Ausmaß) geschädigt habe (AS 47 bzw 51).

In der Verhandlung vom 16. 9. 2010 (ON 15) beantragte der Kläger die Delegierung der Rechtssache an „einen anderen Oberlandesgerichtssprengel“, um jeden Anschein von Befangenheit auszuschließen; die Vorwürfe, die der Kläger gegen den Oberlandesgerichtspräsidenten erhebe, seien „sehr schwerwiegend“.

Das Erstgericht beschränkte mit Beschlüssen vom 16. 9. 2010 (AS 66) das Prozessprogramm auf die Einsichtnahme in die vorgelegten Urkunden, wies die weiteren Beweisanträge ab, schloss die Verhandlung und sprach aus, dass die Entscheidung schriftlich ergehen werde.

Die zur Äußerung zum Delegierungsantrag aufgeforderte beklagte Partei sprach sich dagegen aus und wies darauf hin, dass „die derzeit bestehende Zuständigkeit“ des Arbeits- und Sozialgerichts Wien bereits „auf einen entsprechenden Wunsch des Klägers selbst“ zurückgehe.

Das Erstgericht erachtete eine Delegierung für nicht erforderlich: Die hinsichtlich eines Zeugen (= des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien) geäußerte Besorgnis des Klägers sei unbegründet, weil jener nicht zu vernehmen sein werde, die Verhandlung bereits geschlossen und das Verfahren ohne diese Beweisaufnahme entscheidungsreif sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Delegierungsantrag ist nicht berechtigt.

Auf eine allfällige Unzuständigkeit (§ 7 Abs 1 iVm § 9 Abs 1 ASGG) ist im Hinblick auf die eingetretene Heilung gemäß § 104 Abs 3 JN (§ 38 Abs 1 Satz 2 ASGG) nicht weiter einzugehen (Neumayr in ZellKomm § 9 ASGG Rz 9 bzw § 38 ASGG Rz 1 bis 4).

Eine Delegierung kommt nur dann in Betracht, wenn klare und überwiegende Zweckmäßigkeitsgründe dafür sprechen (Ballon in Fasching² I § 31 JN Rz 6 f mwN). Sie ist zweckmäßig, wenn die Zuständigkeitsübertragung zu einer wesentlichen Verkürzung des Prozesses, einer Erleichterung des Gerichtszugangs für die Beteiligten sowie der Amtstätigkeit oder zu einer Kostenverringerung beiträgt (RIS-Justiz RS0046333). Kann die Zweckmäßigkeit nicht eindeutig zu Gunsten aller Parteien beantwortet werden und widerspricht eine der Parteien der Delegierung, so ist der widersprechenden Partei in der Regel der Vorzug zu geben (RIS-Justiz RS0046324; RS0046455; RS0046589).

Eine Delegierung an ein anderes Gericht soll grundsätzlich die Ausnahme bilden (RIS-Justiz RS0046441); eine großzügige Anwendung der Delegierungsbestimmungen würde sonst im Ergebnis zu einer unvertretbaren Lockerung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung führen (RIS-Justiz RS0046589).

Die Voraussetzungen einer Delegierung liegen hier nicht vor:

Zweckmäßigkeitsgründe, die für eine Delegierung sprechen, kamen nicht hervor. Zutreffend weist die Erstrichterin vielmehr darauf hin, dass eine Delegierung im derzeitigen Verfahrensstadium schon deshalb nicht erforderlich ist, weil eine Vernehmung des als Zeugen beantragten Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien (angesichts der Abweisung des darauf gerichteten Beweisantrags und des Umstands, dass die Verhandlung bereits geschlossen wurde) gar nicht in Betracht kommt.

Da die Zweckmäßigkeit der Delegierung nicht feststeht und sich die Beklagte dagegen ausgesprochen hat, ist dem Delegierungsantrag nicht stattzugeben.

Stichworte