OGH 10ObS11/11g

OGH10ObS11/11g1.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Irene Kienzl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, gegen die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Kremser Landstraße 3, vertreten durch Nusterer & Mayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Oktober 2010, GZ 7 Rs 128/10k-35, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 21. April 2010, GZ 33 Cgs 2/08p-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass der Rückersatzanspruch der beklagten Partei gegen die klagende Partei in Höhe von 6.671,16 EUR für das im Zeitraum vom 29. September 2006 bis 18. August 2007 empfangene Kinderbetreuungsgeld und für den Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld nicht zu Recht besteht, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei 6.671,16 EUR binnen vier Wochen zu zahlen“.

Die beklagte Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist indische Staatsbürgerin mit gültigem Aufenthaltstitel seit 16. 5. 2001. Sie ist mit D***** verheiratet, einem indischen Staatsbürger und Angestellten der International Atomic Energy Agency (Internationale Atom Energie-Organisation, IAEO) in Wien, mit dem sie im gemeinsamen Haushalt lebte und lebt. Sie war vom 17. 9. 2001 bis 1. 1. 2006 unselbständig erwerbstätig und bezog vom 2. 1. 2006 bis 28. 9. 2006 Wochengeld. Aufgrund ihres Antrags gewährte ihr die beklagte Partei im Zusammenhang mit der Geburt ihrer im gemeinsamen Haushalt lebenden Tochter I***** am 3. 8. 2006 für den Zeitraum 29. 9. 2006 bis 18. 8. 2007 Kinderbetreuungsgeld und Zuschuss zu diesem von insgesamt 6.671,16 EUR. Sie bezog für ihre Tochter, die nicht österreichische Staatsbürgerin ist, nie Familienbeihilfe. Ihr Ehemann bezieht von der IAEO für die Tochter I***** eine Zahlung.

Mit Bescheid vom 26. 11. 2007 widerrief die beklagte Partei die Zuerkennung des der Klägerin gewährten Kinderbetreuungsgelds samt Zuschuss und verpflichtete die Klägerin zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Leistungen von 6.671,16 EUR.

Das Erstgericht gab der auf Feststellung, dass die Rückersatzforderung nicht bestehe, gerichteten Klage im zweiten Rechtsgang Folge.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Art X Abschnitt 26 des Amtssitzabkommens mit der IAEO sei im Anlassfall nicht einschlägig. Die Klägerin habe Anspruch auf Familienbeihilfe, weil sie und ihre Tochter einen gültigen Aufenthaltstitel (§ 8 Abs 1 Z 3 NAG) hätten. Ihr Anspruch auf Familienbeihilfe leite sich nicht von ihrem Ehemann ab. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 193/06i könne nur so verstanden werden, dass von einem Anspruch auf Familienbeihilfe bzw Kinderbetreuungsgeld ausgeschlossen sein solle, wer die innerstaatlichen Voraussetzungen maßgeblich nur deswegen erfülle, weil er oder sein Angehöriger bei der IAEO tätig sei und damit eine weitere Privilegierung vorliegen würde, während die Ausschlussbestimmung umgekehrt einem allfälligen Leistungsanspruch dann nicht entgegenstehe, wenn die (innerstaatlichen) Anspruchsvoraussetzungen unabhängig von einer Tätigkeit bei der Organisation erfüllt würden.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, bestehe doch zwischen den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 35/09h und 10 ObS 193/06i ein Widerspruch.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig und auch berechtigt.

Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Die Revisionswerberin macht im Wesentlichen unter Berufung auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 35/09h geltend, dass die Klägerin aufgrund des Amtssitzabkommens zwischen der Republik Österreich und der IAEO keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld habe.

Das KBGG stellte in der bis 31. 12. 2007 geltenden, im Anlassfall maßgeblichen (10 ObS 35/09h) Fassung für einen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld - neben weiteren hier nicht relevanten Voraussetzungen - im § 2 Abs 1 Z 1 darauf ab, dass für das Kind Anspruch auf Familienbeihilfe nach dem FamLAG 1967 besteht oder nur deswegen nicht besteht, weil Anspruch auf eine gleichartige ausländische Leistung besteht.

Die Klägerin und ihre Tochter sind nicht österreichische Staatsbürger, halten und hielten sich aber rechtmäßig (§ 8 NAG) in Österreich auf. Gemäß § 3 Abs 2 FamLAG 1967 stünde der Klägerin im hier relevanten Zeitraum grundsätzlich Familienbeihilfe zu.

Art X Abschnitt 26 des IAEO - Amtssitzabkommens (BGBl 1958/82 idF BGBl 1971/413) lautet:

„Die Regierung trifft die gegebenenfalls erforderlichen Maßnahmen, um es jedem Angestellten der IAEO, der an Sozialversicherungseinrichtungen der IAEO nicht teil hat, über Ersuchen der IAEO zu ermöglichen, einer Sozialversicherungseinrichtung der Republik Österreich beizutreten.

Die IAEO hat unter zu vereinbarenden Bedingungen, soweit als möglich, Vorsorge dafür zu treffen, dass die an Ort und Stelle aufgenommenen Angehörigen ihres Personals, denen sie nicht einen Sozialversicherungsschutz zuteil werden lässt, der dem nach österreichischem Recht gewährten zumindest gleichwertig ist, Mitglieder einer österreichischen Sozialversicherungseinrichtung werden können.

Personen, auf die sich dieses Abkommen bezieht, die jedoch weder österreichische Staatsbürger noch Staatenlose mit Wohnsitz in Österreich sind, werden keinen Vorteil aus den österreichischen Bestimmungen über Familienbeihilfe und Geburtenbeihilfe ziehen.“

Der dritte Absatz dieser Bestimmung wurde durch Art III des am 4. 6. 1970 geschlossenen Abkommens zwischen der Republik Österreich und der IAEO zur Abänderung des Amtssitzabkommens vom 11. 12. 1957 (BGBl 1971/413) eingefügt. Demnach sind Angestellte der IAEO von Leistungen aus dem Familienlastenausgleichsfonds ausgeschlossen, soferne diese Personen weder österreichische Staatsbürger noch Staatenlose mit Wohnsitz in Österreich sind. Dieser Ausschluss betrifft auch die Anspruchsberechtigung von im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienmitglieder von IAEO-Angestellten, weil auch sie Personen sind, auf die sich das Ankommen bezieht (10 ObS 35/09h; VwGH 28. 9. 1994, 91/13/0086); eine andere Auslegung würde im Übrigen den Zweck des Ausschlusses konterkarieren (10 ObS 35/09h).

Demnach hat die Klägerin keinen Anspruch auf (österreichische) Familienbeihilfe nach den Bestimmungen des FamLAG. Da der Kinderbetreuungsgeldanspruch nach § 2 Abs 1 Z 1 erste Alternative KBGG eindeutig an den Familienbeihilfenanspruch nach dem FamLAG anknüpft, bedarf es keiner näheren Ausführungen zu den Zwecken des Amtssitzabkommens und des - im Verhältnis dazu späteren und spezielleren - KBGG (10 ObS 35/09h).

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 193/06i ist zu einer anderen als im Anlassfall maßgeblichen Rechtslage ergangen. Der dortigen Klägerin, die keinen Anspruch auf Familienbeihilfe hatte, stand Kinderbetreuungsgeld gemäß § 2 Abs 2 Z 1 und 2 KBGG idF BGBl I 2003/58 aufgrund eigener sozialversicherungspflichtiger Tätigkeit zu. § 2 Abs 2 KBGG idF BGBl I 2003/58 wurde durch Art 13 Z 3 BGBl I 2005/100 aufgehoben. Daraus, dass der Oberste Gerichtshof diesen Fall als von der Leistungsausschlussregelung des Art XV Abschnitt 50 des Abkommens der Republik Österreich mit der Vorbereitenden Kommission für CTBTO, BGBl III 1997/188, nicht erfasst beurteilte, ist für die Ansicht des Berufungsgerichts nichts zu gewinnen, trifft doch auf die nunmehrige Klägerin nicht zu, dass „sie (bereits) durch ihre eigene sozialversicherungspflichtige Tätigkeit in Österreich vom Abkommen unabhängige Ansprüche auf Leistungen aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen (oder aus einer Einrichtung mit gleichartiger Funktion) erworben“ hat. Die Klägerin hat mangels Anspruchs auf Familienbeihilfe keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld.

Zum Ersatz der empfangenen Leistung ist die Klägerin jedenfalls nach § 31 Abs 2 KBGG verpflichtet, sodass in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen das Klagebegehren abzuweisen und die Klägerin zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verurteilen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 ASGG.

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