OGH 6Ob247/10g

OGH6Ob247/10g28.1.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** L*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Perg, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 19.348,97 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 17. September 2010, GZ 2 R 161/10a-11, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 26. Mai 2010, GZ 49 Cg 138/10a-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:

„Die Klage wird, soweit sie auf Zahlung von 16.547,27 EUR samt 4 % Zinsen ab 16. 3. 2010 und auf Feststellung (Eventualbegehren) gerichtet ist, zurückgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 2.254,82 EUR (darin enthalten 425,04 EUR Umsatzsteuer und 4,58 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Das restliche Klagebegehren von 2.801,70 EUR samt 4 % Zinsen ab 16. 3. 2010 betreffend werden die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortführung des Verfahrens über dieses Begehren aufgetragen.

Text

Begründung

Die Klägerin kaufte von der Beklagten am 21. 12. 2005 1.073 Zertifikate der M***** Ltd (im Folgenden M*****) um 16.547,27 EUR.

In dem zu 40 Cg 21/09b beim Handelsgericht Wien anhängigen, jedoch seit 17. 8. 2009 unterbrochenen Verfahren (Erstprozess) begehrt die Klägerin die Aufhebung dieses Kaufvertrags und die Rückzahlung des von ihr entrichteten Kaufpreises samt 4 % Zinsen ab 21. 12. 2005 Zug-um-Zug gegen Rückstellung der Wertpapiere. Sie erklärte, diese Klage „vordergründig auf listige Irreführung iSd § 870 ABGB als auch auf veranlassten Irrtum iSd § 871 ABGB“ zu stützen. Sie sei von der Beklagten über wichtige, für den Kaufvertragsabschluss kausale Umstände getäuscht worden, nämlich über die Rechtsnatur und den Risikograd der Wertpapiere, über den Sitz von M***** sowie über das enge Naheverhältnis zwischen dieser und der Beklagten, das letzterer dazu verholfen habe, Profite zum Nachteil der Anleger (und damit auch der Klägerin) zu lukrieren. Die Beklagte habe gegen die Wohlverhaltensregeln des § 11 WAG verstoßen und der Klägerin gegenüber ihre Aufklärungspflicht verletzt. Darüber hinaus werde ein Wegfall der Geschäftsgrundlage geltend gemacht.

Im vorliegenden Verfahren, das dieselben Wertpapierkäufe zum Gegenstand hat, begehrt die Klägerin primär die Zahlung von 19.348,97 EUR samt 4 % Zinsen ab 16. 3. 2010 Zug-um-Zug gegen die Rückstellung der Wertpapiere. Hilfsweise wird „lediglich für den Fall als festgestellt werden sollte, dass Naturalrestitution nicht möglich“ sei, die Feststellung angestrebt, dass die Beklagte für jeden aus dem Wertpapiererwerb resultierenden Schaden hafte. Der Klagebetrag setzt sich aus dem Kaufpreis von 16.547,27 EUR sowie einem Betrag von 2.801,70 EUR zusammen, der den kapitalisierten Zinsen von 4 % aus dem Kaufpreis für den Zeitraum vom 21. 12. 2005 bis 15. 3. 2010 entspreche. Die Klägerin erklärte, ihre Begehren auf Schadenersatz sowie auf jeden weiteren erdenklichen Rechtsgrund wegen arglistiger beziehungsweise schuldhafter Verletzung der gebotenen Aufklärung und zusätzlich auf Lieferung eines Aliuds sowie rechtliche Unmöglichkeit zu stützen. Den Betrag von 2.801,70 EUR stützte die Klägerin auf das Vorbringen, dass es sich dabei um einen entgangenen Zinsgewinn einer alternativen Veranlagung handle, welcher ein positiver Schaden sei.

Die Beklagte erhob unter Hinweis auf den Erstprozess die Einrede der Streitanhängigkeit.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Streitanhängigkeit zurück.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig; die zu beurteilende Frage nach der Identität der Streitgegenstände stelle sich nahezu unverändert auch in zahlreichen am Handelsgericht Wien und am Bezirksgericht für Handelssachen Wien anhängigen Parallelverfahren.

In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht die Auffassung, die Klägerin habe in ihrer neuen Klage das in der früheren Klage erhobene Zinsenbegehren lediglich kapitalisiert und darüber hinaus nur Zinseszinsen begehrt. Die Klägerin habe ihre erste Klage „vordergründig“ auf die Anfechtung wegen Arglist und wegen Irrtums gestützt und auch einen Wegfall der Geschäftsgrundlage behauptet. Damit habe sie ein Sachverhaltsvorbringen erstattet, aus dem sich allenfalls Schadenersatzansprüche ableiten ließen. Solche wären im ersten Verfahren erforderlichenfalls auch zu prüfen gewesen. Die Befürchtung der Verjährung von Schadenersatzansprüchen sei unbegründet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch teilweise berechtigt.

1. Zwar bewirkt der Umstand alleine, dass die zu lösenden Fragen in einer Vielzahl von Fällen auftreten, nicht ihre Erheblichkeit iSd § 502 Abs 1 ZPO (stRsp, etwa 3 Ob 196/10k; RIS-Justiz RS0042816; hier § 528 Abs 1 ZPO). Das Rekursgericht hat jedoch zum Teil die Rechtslage verkannt.

2. Der Oberste Gerichtshof hatte sich bereits in zahlreichen ebenfalls gegen die Beklagte geführten und vergleichbaren Parallelverfahren (7 Ob 207/10g; 1 Ob 177/10a ua) mit den auch hier zu beurteilenden Rechtsfragen zu befassen. Er führte dabei zusammengefasst aus, dass von der Streitanhängigkeit des ersten Verfahrens im Umfang der Geltendmachung der Rückabwicklung des Erwerbs der Zertifikate gegen Zahlung des seinerzeitigen Ankaufspreises auszugehen sei. Die Streitanhängigkeit werde durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vom Kläger vorgebrachten Tatsachen (rechtserzeugender Sachverhalt, Klagegrund) bestimmt, nicht hingegen durch die rechtliche Beurteilung dieses Vorbringens. Entscheidend sei, ob der vorgetragene Sachverhalt im Kern jenem entspricht, der schon in der ersten Klage vorgebracht wurde. Die Behauptung listiger Irreführung iSd § 870 ABGB schließe notwendigerweise ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten iSd §§ 1294 ff ABGB ein. Durch Hinzufügen weiterer Details und Facetten eines bereits im Erstprozess grundsätzlich geltend gemachten Fehlverhaltens der Beklagten werde keine Änderung des Klagegrundes iSd § 235 Abs 4 ZPO bewirkt. Daran könne auch der Umstand des auf demselben Klagegrund beruhenden Eventualbegehrens auf Feststellung nichts ändern.

Diesen Rechtsausführungen schließt sich der erkennende Senat an. Auch im vorliegenden Verfahren werden zur Begründung des Schadenersatzanspruchs im Wesentlichen nur weitere Details und Facetten eines bereits im Erstprozess behaupteten rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens der Beklagten aufgezeigt. Der von der Klägerin in ihrem Revisionsrekurs argumentativ herangezogene dreigliedrige Streitgegenstandsbegriff wird von der ständigen Rechtsprechung abgelehnt (RIS-Justiz RS0037419, RS0039255, RS0037522, RS0037551).

Die Zurückweisung der Klage auf Zahlung von 16.547,27 EUR und des Eventualbegehrens auf Feststellung war daher zu bestätigen.

3. Anders verhält es sich hingegen mit dem restlichen Klagebetrag von 2.801,70 EUR (vgl dazu 7 Ob 207/10g; 1 Ob 177/10a ua). Dieser Anspruch beruht nach dem Vorbringen der Klägerin darauf, dass sie bei ordnungsgemäßer Anlageberatung durch die Beklagte eine alternative Veranlagung gewählt und daraus Gewinn erzielt hätte, wobei dieser Gewinn exakt in Höhe einer gesetzlichen Verzinsung veranschlagt wird. Ein solcher Gewinnanspruch stellt einen von der Forderung auf Rückersatz des Kaufpreises unabhängigen positiven Schaden dar und ist nicht bloß eine Nebenforderung; er beruht vielmehr auf einem im Erstprozess nicht vorgetragenen rechtlichen Sachverhalt (Klagegrund).

Im Umfang des restlichen Klagebegehrens von 2.801,70 EUR liegt daher keine Streitanhängigkeit vor, weshalb dem Revisionsrekurs insofern Folge zu geben war.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 43 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin ist im Zwischenstreit über die Einrede der Streitanhängigkeit, der mit dieser Entscheidung vollständig erledigt wurde, etwa zu 85 % unterlegen. Sie hat der Beklagten daher 70 % der dieser in allen drei Instanzen entstandenen Kosten des Zwischenstreits zu ersetzen.

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