Spruch:
Das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 23. April 2010, AZ 43 Bl 47/10i (ON 30 in den Akten AZ 29 U 494/08w des Bezirksgerichts Salzburg) verletzt § 57 Abs 3 letzter Fall und § 58 Abs 3 Z 2 StGB.
Text
Gründe:
Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2008 erhob Dr. Malte B***** beim Bezirksgericht Salzburg zu AZ 29 U 494/08w Privatanklage gegen DDr. Reinhard P***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB. Der Genannte habe den Privatankläger in einem am 20. November 2008 in der Rechtsanwaltskanzlei Dr. B***** & Partner eingelangten Telefax in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise eines unehrenhaften bzw eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, indem er behauptete, Dr. B***** habe seine Cousine im Zuge einer Scheidung erpresst und er kenne den Genannten nur durch ziemlich unseriöse Vorgangsweise (ON 2).
Die Hauptverhandlung fand (kontinuierlich iSv § 276a letzter Halbsatz StPO, vgl ON 19a S 2 und [wenngleich etwas missverständlich] ON 13 S 2; insofern durch Erwähnung bloß des letzten Verhandlungstages unvollständig Ersturteil S 1) am 20. April 2009 (ON 9), am 10. August 2009 (ON 13) und am 30. November 2009 (ON 19a) statt, wobei DDr. Reinhard P***** bereits beim ersten Verhandlungstermin (verjährungshemmend ‑ § 58 Abs 3 Z 2 StGB; E. Fuchs in WK² § 58 Rz 21 f) als Angeklagter vernommen wurde (ON 9 S 3 ff).
Am 30. November 2009 wurde DDr. Reinhard P***** schließlich gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen, weil das Erstgericht den Wahrheitsbeweis bzw den Beweis des guten Glaubens für erbracht ansah (ON 20). Dagegen meldete der Privatanklägervertreter sofort (undifferenziert) Berufung an (ON 19a S 7) und führte das Rechtsmittel in der Folge wegen des Ausspruchs über die Schuld aus (ON 22).
Mit Urteil vom 23. April 2010, AZ 43 Bl 47/10i (ON 30 der U‑Akten), gab das Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht der Berufung nicht Folge. Zur Begründung führte es aus, dass dem angefochtenen Urteil zur Frage der Verjährung der Strafbarkeit (lediglich) zu entnehmen sei, dass am 30. November 2009 ‑ somit außerhalb der fallkonkret einjährigen Verjährungsfrist (§ 57 Abs 3 StGB) ‑ in Anwesenheit des Angeklagten die Hauptverhandlung durchgeführt wurde. Da das Fehlen von Feststellungen zu verjährungshemmenden Tatsachen vom Privatankläger nicht mit Rechtsrüge geltend gemacht werde und aus Anlass der Berufung des Privatanklägers eine Ergänzung der Feststellungen zum Nachteil des Angeklagten nicht in Betracht komme, müsse es ‑ ungeachtet des Berufungsvorbringens ‑ beim Freispruch bleiben.
Rechtliche Beurteilung
Das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 23. April 2010 steht ‑ wie die Generalprokuratur gemäß § 23 Abs 1 StPO zutreffend ausführt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Die Gerichte sind keineswegs verhalten, stets zu allen denkbaren Strafausschließungsgründen im weiteren Sinn negative Feststellungen zu treffen. Es besteht nur dann die Pflicht, zu einem Ausnahmesatz ‑ hier: die Verjährung und die damit im Zusammenhang stehende Frage der Fortlaufhemmung (§ 58 Abs 3 StGB; vgl E. Fuchs in WK² § 58 Rz 2) ‑ in tatsächlicher Hinsicht Stellung zu beziehen, wenn dieser durch ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes (§ 258 Abs 1 StPO) Sachverhaltssubstrat indiziert ist (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 602).
Im vorliegenden Fall beträgt zwar die Verjährungsfrist im Hinblick auf die Strafdrohung des § 111 Abs 1 StGB (Freiheitsstrafe bis zu sechs Monate oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätze) lediglich ein Jahr (§ 57 Abs 3 letzter Fall StGB) und wäre daher ausgehend vom inkriminierten Tatzeitpunkt am 20. November 2009 abgelaufen. Gemäß § 58 Abs 3 Z 2 StGB ([auch] in der bis 31. Mai 2009 geltenden Fassung) wird jedoch die Zeit zwischen der erstmaligen Vernehmung als Beschuldigter, die hier in der Hauptverhandlung am 20. April 2009 erfolgte (ON 9 S 3 ff), und der rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet, sodass eine allfällige Verjährung der Strafbarkeit durch Vorkommen in der Hauptverhandlung in keiner Weise indiziert und das Erstgericht demzufolge auch nicht verhalten war, neben der Erwähnung der Vernehmung des Angeklagten (Ersturteil S 6) Ausführungen zum Vorliegen dieses Strafaufhebungsgrundes zu machen.
Dem Landesgericht ist zwar zuzugeben, dass die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld nur gegen die Richtigkeit tatsächlich getroffener Feststellungen greift und daher nicht bei dem Prozessstandpunkt des Berufungswerbers dienlichen, jedoch unterlassenen Feststellungen (Ratz, WK‑StPO § 464 Rz 8).
Da das Erstgericht aber weder infolge rechtlich bejahter Verjährung freigesprochen noch Feststellungen getroffen hatte, die ‑ rechtsrichtig beurteilt ‑ einen Freispruch infolge Verjährung der Tat nach sich ziehen müssten, bestand für den Berufungswerber keine Möglichkeit zur Urteilsanfechtung aufgrund verfehlt (in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht) angenommener Verjährung (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 474‑476).
Die Frage, ob ein Fehlen von Feststellungen zur (rechtlichen) Verjährungsfrage unter dem Aspekt erfolgreicher Anfechtung eines Freispruchs wegen Verjährung die Geltendmachung eines Feststellungsmangels erfordert (13 Os 18/10m, EvBl‑LS 2010/137, 830), wäre ‑ so sei zur Abrundung erwähnt ‑ zu verneinen: Nichteintritt von Verjährung ist kein Element des Tatbestands, Eintritt von Verjährung vielmehr ein Strafaufhebungsgrund, mit anderen Worten ein Strafausschließungsgrund im weiteren Sinn (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 607 f), somit ein Ausnahmesatz, dessen nicht berücksichtigte (Gegen‑)Annahmen wie Rechtsfehler mangels Feststellungen zu behandeln sind (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 602 zweiter Absatz).
Die Verjährung ist zwar jederzeit, also auch vom Berufungsgericht im Rechtsmittelverfahren, von Amts wegen zu berücksichtigen (E. Fuchs in WK² § 57 Rz 18), aber gleichfalls nur dann, wenn das Erstgericht darauf hinweisende Indizien nicht durch Feststellungen geklärt hat (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 604).
Aber selbst falls ein Berufungsgericht das Vorliegen der Verjährung für indiziert hielte, würde eine Entscheidung in der Sache bei nicht ausreichender Feststellungsbasis grundsätzlich ausscheiden, weil die Frage der Verjährung kein prozessuales Verfolgungshindernis betrifft, sondern einen materiellen Strafaufhebungsgrund. Nur wenn die Ergänzung aktuell fehlender Feststellungen zu fristverlängernden Umständen im Sinne des § 58 StGB nach der Aktenlage auch in einem weiteren Rechtsgang nicht zu erwarten wäre, kann aus prozessökonomischen Erwägungen von einer Verweisung an die erste Instanz abgesehen und in der Sache selbst entschieden werden (RIS-Justiz RS0118545).
Dem Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht war es daher verwehrt, von Verjährung der Strafbarkeit auszugehen, der Berufung aus diesem Grund nicht Folge zu geben und auf das weitere Rechtsmittelvorbringen nicht einzugehen.
Da das Berufungsurteil dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereicht, war die Gesetzesverletzung lediglich festzustellen.
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