Spruch:
Das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 18. Oktober 2010, GZ 3 U 161/10g-4, verletzt § 218 Abs 3 StGB.
Dieses Urteil wird aufgehoben und Alexander M***** von der Anklage, er habe am 3. August 2010 in Absam, während er mit seinem Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ***** langsam fahrend das Moped der Laura B*****, geboren am 17. November 1994, und der Maria K*****, geboren am 10. September 1994, überholte ‑ bei heruntergelassenem Beifahrerfenster und bewusst Augenkontakt zu den beiden suchend ‑ (die zuvor Genannten) dadurch sexuell belästigt, dass er in ihrer Gegenwart für diese sichtbar masturbierte und somit vor den beiden jugendlichen Mädchen eine geschlechtliche Handlung an sich unter Umständen vorgenommen, unter denen dies geeignet war, berechtigtes Ärgernis zu erregen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Innsbruck erhob am 21. September 2010 zu AZ 71 BAZ 1227/10k gegen Alexander M***** - trotz Fehlens einer nach dem Akteninhalt auch nicht einzuholen versuchten Ermächtigung ‑ einen Strafantrag wegen des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1 Z 2 StGB (ON 3). Mit Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 18. Oktober 2010, GZ 3 U 161/10g-4, erfolgte ein strafantragskonformer Schuldspruch. Danach hat er am 3. August 2010 in Absam, „während er mit seinem Pkw langsam fahrend das Moped der Laura B*****, geboren am 17. November 1994, und der Maria K*****, geboren am 10. September 1994, überholte ‑ bei heruntergelassenem Beifahrerfenster und bewusst Augenkontakt zu den beiden suchend ‑ (erg: die zuvor Genannten) dadurch sexuell belästigt, dass er in ihrer Gegenwart für diese sichtbar masturbierte und somit vor den beiden jugendlichen Mädchen eine geschlechtliche Handlung an sich unter Umständen vorgenommen hat, unter denen dies geeignet ist, ein berechtigtes Ärgernis zu erregen“.
Das Urteil erwuchs am 22. Oktober 2010 unangefochten in Rechtskraft.
Rechtliche Beurteilung
Der Schuldspruch des Alexander M***** wegen § 218 Abs 1 Z 2 StGB steht ‑ wie die Generalprokuratur gemäß § 23 Abs 1 StPO zutreffend ausführt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Nach § 218 Abs 3 StGB ist ein des Vergehens der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach Abs 1 leg cit Beschuldigter nur mit Ermächtigung der belästigten Person zu verfolgen.
Dass die Verurteilung auf Ermächtigungen der Laura B***** oder der Maria K***** gründet, ist dem ‑ in gekürzter Form ausgefertigten ‑ Urteil nicht zu entnehmen. Der Hauptverhandlung sind die Genannten, die jeweils als Opfer geladen waren, ferngeblieben. Auch die Protokolle über die Vernehmung der beiden Zeuginnen vor der Polizeiinspektion Hall in Tirol (ON 2 S 25 ff und 33 ff) enthalten keine entsprechenden Erklärungen. Letztlich liegt auch ein ‑ als Ermächtigung geltender (§ 92 Abs 2 letzter Satz StPO) ‑ Anschluss der Opfer als Privatbeteiligte nicht vor. Die bloße Anzeigeerstattung stellt keine Ermächtigung dar (Fabrizy, StPO10 § 92 Rz 5; RIS‑Justiz RS0096119).
Der in der Hauptverhandlung vom 18. Oktober 2010 strafantragskonform erfolgte Schuldspruch des Alexander M***** wegen § 218 Abs 1 Z 2 StGB verletzt § 218 Abs 3 StGB, was sich zum Nachteil des Angeklagten auswirkt.
Neben der Feststellung dieser von der Generalprokuratur allein geltend gemachten Gesetzesverletzung sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO), die Verurteilung aufzuheben und mit einem Freispruch vorzugehen.
Die Anberaumung und Durchführung einer Hauptverhandlung aufgrund des ‑ entgegen § 92 Abs 2 erster Satz StPO ‑ ohne Ermächtigung eingebrachten Strafantrags wird von der Generalprokuratur zwecks Klärung der ‑ ohne weitere Beweisaufnahme nicht sofort zwingend verneinbaren ‑ Frage, ob der angeklagte historische Sachverhalt allenfalls unter § 218 Abs 2 StGB subsumierbar wäre (vgl Erklärung des Erstrichters ON 5), hingegen als vertretbar erachtet.
Dem vermag sich der Oberste Gerichtshof so nicht anzuschließen: Die gegenüber dem alten Recht (§ 2 Abs 5 vorletzter Satz StPO idF vor dem StPRG BGBl I 2004/19) enger gefasste Bestimmung des § 92 Abs 2 erster Satz StPO (idgF) muss vielmehr bei einem angeklagten Ermächtigungsdelikt ohne Vorliegen der Ermächtigung bei Einbringen der Anklage zu einer beschlussmäßigen Verfahrenseinstellung (hier nach § 451 Abs 2 StPO) führen, wenn die Akten (unbeschadet einer allfälligen rechtlichen Einordnung als Offizialdelikt in der Anklage) ‑ wie hier - nur Indizien enthalten, die die Subsumtion des angeklagten historischen Sachverhalts als derart vorgegebenen Prozessgegenstand lediglich unter das in Frage kommende Ermächtigungsdelikt ermöglichen (vgl zur Grundlage der Prüfung Bauer, WK‑StPO § 450 Rz 2). Umgekehrt hindert jedoch eine rechtsirrige Subsumtion eines den Tatbestand eines Offizialdelikts herstellenden Anklagesachverhalts durch die Staatsanwaltschaft als Ermächtigungsdelikt Anberaumung und Durchführung einer Hauptverhandlung darüber auch ohne Vorliegen einer Ermächtigung sowie ‑ im Fall der Erweislichkeit ‑ einen (formell) anklageidenten Schuldspruch nicht (§ 262 StPO).
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