OGH 15Os178/10f

OGH15Os178/10f19.1.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Jänner 2011 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Dr.Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jahn als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gernot P***** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 31. August 2010, GZ 4 Hv 77/10y‑15, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit def Vertreterin der Generalprokuratur, Staatsanwältin MMag. Sauter, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 31. August 2010, GZ 4 Hv 77/10y‑15, verletzt in der rechtlichen Unterstellung der Gernot P***** angelasteten Tat unter das im Versuchsstadium (§ 15 StGB) gebliebene Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB das Gesetz.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in der rechtlichen Unterstellung der Gernot P***** angelasteten Körperverletzung, demzufolge auch im Strafausspruch samt den darauf gegründeten Beschlüssen auf Absehen vom Widerruf der zu AZ 64 U 7/06a des Bezirksgerichts Graz‑Ost gewährten bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre, auf Anordnung von Bewährunghilfe und auf Erteilung der Weisung auf Absolvierung eines Anti‑Gewalt‑Trainings aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Gernot P***** hat durch die im Ersturteil festgestellte Tat das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB begangen.

Zur Entscheidung über die Strafneubemessung wird die Sache an das Erstgericht verwiesen.

Text

Gründe:

Mit (seit 3. September 2010 rechtskräftigem) Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 31. August 2010, GZ 4 Hv 77/10y‑15, wurde Gernot P***** des Vergehens der „versuchten schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB“ schuldig erkannt und hiefür zu einer ‑ unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren ‑ bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.

Inhaltlich des Schuldspruchs hat er am 28. Mai 2010 in Graz „versucht, Jürgen E***** durch das Versetzen eines Schlages mit der rechten Faust in das Gesicht, wodurch dieser zu Boden ging, und das nachfolgende Versetzen mehrerer Tritte gegen den Körper und den Kopf vorsätzlich schwer am Körper zu verletzen, wobei die Tat eine nicht länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung (Schädelprellung, Prellung des Brustkorbs, Abschürfungen auf der Stirn, Bluterguss am linken Auge, Prellung und Abschürfung des linken Knies, Blutergüsse an beiden Oberarmen) zur Folge hatte“.

Mit zugleich gefasstem und in der Hauptverhandlung mündlich verkündetem Beschluss erteilte der Einzelrichter dem Verurteilten die Weisung, sich einem Anti-Gewalt-Training zu unterziehen, und ordnete Bewährungshilfe an (ON 14, S 11).

Die (gekürzte) Urteilsausfertigung vom selben Tag (ON 15, S 3 f) enthält überdies den auf § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gestützten Beschluss auf Absehen vom Widerruf der Gernot P***** mit Urteil des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 26. Juli 2007 zu AZ 64 U 7/06a gewährten bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der dort bestimmten Probezeit auf fünf Jahre (1./) sowie auf Anordnung der Bewährungshilfe für die Dauer der verlängerten Probezeit (3./).

Das Urteil und die Beschlüsse blieben unbekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, verletzt die Unterstellung der vom Schuldspruch erfassten Tathandlung unter den ‑ im Versuchsstadium (§ 15 StGB) verbliebenen ‑ Qualifikationstatbestand des § 84 Abs 1 StGB das Gesetz.

Nach den erstinstanzlichen Feststellungen hat Gernot P***** versucht, Jürgen E***** schwer am Körper zu verletzen, wobei die von ihm vorsätzlich gesetzten Tätlichkeiten die im Tenor beschriebenen Verletzungen zur Folge hatten, welche mit einer nicht länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbunden waren.

Die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs wegen Körperverletzung gehen vom Grunddelikt der vorsätzlichen Verletzung oder Gesundheitsschädigung nach § 83 Abs 1 StGB aus. Weiters ist nach § 83 Abs 2 StGB der genannten Gesetzesstelle auch schon die bloße körperliche Misshandlung strafbar, aber nur insoweit, als dadurch fahrlässig eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung verursacht wird. Die Misshandlung an sich, ohne Eintritt dieser Folgen ‑ erst recht die bloß versuchte Misshandlung ‑, ist sohin nach dieser Gesetzesstelle nicht strafbar. Diese Konstruktion, nämlich die Strafbarkeit bzw die erhöhte Strafbarkeit an den Eintritt gewisser Folgen zu knüpfen, setzt sich in den Bestimmungen des § 84 Abs 1 StGB (schwere Körperverletzung), des § 85 StGB (Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen) und des § 86 StGB (Körperverletzung mit tödlichem Ausgang) fort. Diese Delikte setzen nach ihrem eindeutigen Wortlaut den Erfolgseintritt voraus (vgl SSt 47/84; 11 Os 172/86). Solcherart wird vom Obersten Gerichtshof die Frage, ob ein Täter wegen Versuchs einer schweren Körperverletzung strafbar sein kann, wenn der von seinem bedingten Vorsatz umfasste schwere Verletzungserfolg nicht eintritt, in ständiger Judikatur verneint und klargestellt, dass der Versuch einer schweren Körperverletzung iSd §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB rechtlich nicht denkbar ist (RIS‑Justiz RS0089439; vgl dazu auch Burgstaller/Fabrizy in WK2, § 84 Rz 38 mwN; Burgstaller in WK2, § 7 Rz 32 mwN [jeweils auch zur anderslautenden Auffassung eines Teils der Lehre]; Fabrizy StGB10 § 84 Rz 23; Mayerhofer StGB6 § 84 E 42).

Hat der Täter den Eintritt des schweren Erfolgs gewollt, ohne dass dieses Ergebnis eintritt, so kommt bei schwerer Verletzungsabsicht versuchte absichtliche schwere Körperverletzung (§§ 15, 87 StGB) in Betracht, in welcher die versuchte Zufügung einer schweren Körperverletzung umfassend und ausschließlich behandelt wird.

Da vorliegend zwar der Vorsatz iSd § 5 Abs 1 StGB, jedoch keine Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) des Angeklagten Gernot P***** festgestellt wurde, eine schwere Körperverletzung des Jürgen E***** herbeizuführen, bilden die ihm angelasteten Tätlichkeiten mit (bloß) leichten Verletzungsfolgen des Opfers nur den Grundtatbestand des (vollendeten) Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB.

Die vom Erstgericht vorgenommene rechtfehlerhafte Beurteilung des Sachverhalts gereicht dem Angeklagten zum Nachteil, weshalb das erstinstanzliche Urteil in seiner rechtlichen Unterstellung der Tat und demzufolge auch im Strafausspruch samt den darauf gegründeten Entscheidungen (auf Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu AZ 64 U 7/06a des Bezirksgerichts Graz‑Ost unter Verlängerung der dort gewährten Probezeit sowie auf Anordnung der Bewährungshilfe und Erteilung einer Weisung nach §§ 50, 51 StGB) aufzuheben und der Angeklagte des Vergehens nach § 83 Abs 1 StGB schuldig zu sprechen war.

Zur Entscheidung über die Strafneubemessung (einschließlich der Beschlussfassung nach § 494a StPO) war die Sache an das Erstgericht zu verweisen, weil der unvertretene Angeklagte zum Gerichtstag nicht erschienen ist und eine ordnungsgemäße Zustellung der Ladung nicht sichergestellt werden konnte.

Zu beachten ist, dass andere als die in § 494a StPO genannten, in Zusammenhang mit einem Urteil ergehenden Beschlüsse (so etwa jene nach § 494 StPO über die Erteilung von Weisungen oder die Anordnung der Bewährungshilfe) nicht gemeinsam mit dem Urteil, sondern erforderlichenfalls (§ 86 Abs 3 StPO) gesondert auszufertigen sind (Danek, WK‑StPO § 270 Rz 50).

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