Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde sowie aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, im Schuldspruch sowie demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben, insoweit eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Linz verwiesen.
Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft werden mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Nelson G***** L***** des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (1) und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 zweiter Fall, § 15 StGB, § 28a Abs 1 sechster Fall, Abs 4 Z 3 SMG (2) schuldig erkannt.
Danach hat er in S*****
(1) am 11. Februar 2009 im einverständlichen Zusammenwirken mit Rudolfo G***** L***** vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) um mehr als das Fünfzehnfache übersteigenden Menge mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem er zumindest 1000 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von 400 Gramm von Eliana R***** R*****, welche die Drogen zuvor im Auftrag des Rudolfo G***** L***** über Madrid aus der Dominikanischen Republik aus- und nach Österreich eingeführt hatte, übernahm und
(2) Ende März/Anfang April 2009 Eliana R***** R***** dazu bestimmt, Harry C***** vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) um mehr als das Fünfundzwanzigfache übersteigenden Menge zu verschaffen, indem er sie ansprach, ob sie nicht wieder „arbeiten“ wolle und den Kontakt zwischen den Genannten herstellte, wobei Eliana R***** R***** sodann im Auftrag des Harry C***** sowie des Ionel L***** C***** den Kontakt mit dem Suchtgiftlieferanten „David“ in der Dominikanischen Republik zum Ankauf von 1000 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von 400 Gramm herstellen und den Erwerb zum Zweck der Einfuhr nach Österreich durch einen Drogenkurier arrangieren sollte, was aufgrund der späteren „Abkehr“ der Eliana R***** R***** in der Folge unterblieb.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist aus dem erstgenannten Nichtigkeitsgrund im Recht.
Zutreffend zeigt nämlich die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) auf, dass zum Schuldspruch 1 die für die Annahme einer die Grenzmenge des § 28b SMG (oder das Fünfzehnfache dieser Quantität) übersteigenden Menge Suchtgift und damit für die vorgenommene Subsumtion der Tat entscheidenden Feststellungen offenbar unzureichend begründet sind. Zu den Konstatierungen, wonach der Angeklagte 1000 Gramm Kokain mit einer Wirkstoffmenge von 400 Gramm Kokain erworben und besessen habe, haben die Tatrichter lediglich ausgeführt, dass darauf „nach der gerichtlichen Erfahrung unbedenklich aus der gegebenen Absatzstufe (noch relativ nahe an der Produktion) geschlossen werden“ konnte (US 12), ohne dass - abgesehen von dem insoweit nicht aussagekräftigen Umstand, dass das verfahrensgegenständliche Kokain zuvor aus der Dominikanischen Republik nach Österreich geschmuggelt worden war (US 4) - auf (in der Hauptverhandlung vorgekommene) Verfahrensergebnisse zur konkreten „Absatzstufe“ Bezug genommen oder die forensische Erfahrung zum Wirkstoffgehalt aus der Dominikanischen Republik stammenden Kokains in der Hauptverhandlung erörtert worden wäre, worauf der Beschwerdeführer deutlich genug hinweist.
Der Angeklagte hat jedoch ein aus dem fair-trial-Gebot des Art 6 MRK erfließendes Recht darauf, nicht von einer ihm unbekannten Gerichtsnotorietät im Tatsachenbereich überrascht zu werden. Auch das, was gerichtskundig ist, muss in der Hauptverhandlung vorkommen, um zur Grundlage von Feststellungen werden zu können. Die Erwähnung eines gerichtskundigen Umstands in der Anklagebegründung - wie hier (ON 23 S 9) - reicht dazu nicht aus. Im Sinn eines den Garantien des Art 6 MRK entsprechenden Verfahrens ist vielmehr das erkennende Gericht verpflichtet, den Angeklagten in der Hauptverhandlung über das, was es als gerichtsnotorisch und im jeweils gegebenen Fall erheblich ansieht, in Kenntnis zu setzen und ihm Gelegenheit zu geben, seine Verteidigung danach einrichten zu können.
Haben aber die Tatrichter die Feststellung einer (hier zudem weit überdurchschnittlich hohen [vgl RIS-Justiz RS0119257, RS0091293, RS0098570]) Wirkstoffkonzentration wie vorliegend auf eine von ihnen angenommene Gerichtsnotorietät gestützt, über die der Angeklagte nicht wie beschrieben informiert wurde, ist die solcherart getroffene Konstatierung des Wirkstoffgehalts der tatverfangenen Suchtgiftmenge offenbar unzureichend begründet (vgl RIS-Justiz RS0119094; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 463).
Der aufgezeigte Begründungsmangel zwingt - im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - zur Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO), zur Anordnung einer neuen Hauptverhandlung und zur Verweisung der Sache an das Erstgericht.
Weil die Tatrichter die Feststellungen zur subjektiven Tatseite betreffend „Inhalt und Umfang“ des - vom Schuldspruch 2 umfassten - „von Harry C***** beabsichtigten 'Geschäfts' mit der Zeugin R*****“ überwiegend auf seine Involvierung in die dem kassierten Schuldspruch zugrunde liegende Tat stützten (US 14 f) und zudem die Annahme eines auf Tatbegehung in Bezug auf eine die Grenzmenge des § 28b SMG (um mehr als das Fünfundzwanzigfache) übersteigende Menge Suchtgift gerichteten Vorsatzes auch insoweit ausschließlich auf der Überlegung basiert, wonach es „allgemein bekannt“ sei, dass direkt aus „Anbauländern“ bezogenes Suchtgift „üblicherweise von außergewöhnlich guter Qualität ist“ (US 15), zwischen den beiden Schuldsprüchen also ein enger beweismäßiger Zusammenhang besteht, und nach Aufhebung eines Schuldspruchs nach § 28 oder § 28a SMG wegen fehlender oder - wie hier - mangelhaft begründeter Feststellungen zur insoweit subsumtionsrelevanten Suchtgiftmenge auch jene Annahmen, die einen - nicht erfolgten - Schuldspruch nach § 27 Abs 1 SMG allenfalls zu tragen vermögen, nicht bestehen bleiben (RIS-Justiz RS0115884; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 18), nahm der Oberste Gerichtshof die Möglichkeit, das angefochtene Urteil nur teilweise aufzuheben (§ 289 StPO) nicht wahr.
Die weitere Mängelrüge und die Tatsachenrüge (Z 5a), die sich im Übrigen im Wesentlichen in einem unzulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung der Tatrichter in Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung erschöpfen, können damit auf sich beruhen.
Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.
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