OGH 15Os152/10g (15Os153/10d)

OGH15Os152/10g (15Os153/10d)15.12.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2010 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fries als Schriftführer, in der Strafsache gegen Manfred B***** wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter und dritter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 17. Mai 2010, GZ 602 Hv 3/10i-35, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, des Angeklagten und seines Verteidigers, Mag. Machac, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 602 Hv 3/10i des Landesgerichts Korneuburg verletzt das Urteil vom 17. Mai 2010

1./ durch die Unterlassung von das Vorliegen diversioneller Voraussetzungen und der Tatprivilegierung der §§ 27 Abs 2, 30 Abs 2 SMG ausschließenden Feststellungen, § 270 Abs 4 Z 2 StPO,

2./ in seinem Schuldspruch IV./ § 30 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG.

Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird dieses Urteil zur Gänze aufgehoben.

Im Umfang der dem Schuldspruch IV./ zugrunde liegenden Tat wird gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Manfred B***** wird von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe von Herbst 2008 bis 8. Oktober 2009 vorschriftswidrig psychotrope Stoffe besessen, indem er ca 0,5 Gramm psilocin- und psilocybinhältige Pilze im Wald sammelte und bei sich zu Hause aufbewahrte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Im weiteren Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Korneuburg brachte am 17. Februar 2010 beim Landesgericht Korneuburg zum AZ 602 Hv 3/10i gegen Manfred B***** eine Anklageschrift wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 und Abs 4 Z 3 SMG, § 15 StGB (1./a./ und b./), des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 zweiter Fall SMG (2./) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (3./) ein (ON 27).

In der Hauptverhandlung vom 17. Mai 2010 wurde der unbescholtene (ON 31) Angeklagte, der sich weisungsgemäß (ON 18, S 3) in psychosozialer Betreuung befand (ON 20, 21, 25, 28, 32), - anklagedifform - des Vergehens (richtig: der Vergehen) des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter und dritter Fall SMG (1./ und 3./), des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 (zweiter Satz) und 2 SMG (2./) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (4./) schuldig erkannt.

Danach hat er in L***** von 2006 bis 8. Oktober 2009

1./ vorschriftswidrig Cannabis mit einem Reinheitsgehalt von ca 123 Gramm Delta 9 THC erzeugt, indem er eine unbekannte Menge an Cannabispflanzen anbaute, erntete, die Blüten trocknete und zum Teil Cannabisharz daraus gewann;

2./ vorschriftswidrig ca 300 Stück Cannabispflanzen mit einem Reinheitsgehalt von ca 577 Gramm Delta 9 THC angebaut, wobei er die Straftat in Bezug auf Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge begangen hat;

3./ vorschriftswidrig Cannabis in einer nicht mehr feststellbaren Menge besessen, indem er es gemischt mit Tabak ca dreimal wöchentlich verrauchte;

4./ von Herbst 2008 bis 8. Oktober 2009 vorschriftswidrig psychotrope Stoffe besessen, indem er ca 0,5 bis 1 Gramm psilocin- und psilocybinhältige Pilze im Wald sammelte und bei sich zu Hause aufbewahrte.

Das Schöffengericht verhängte „nach § 28 Abs 4 zweiter Fall SMG“ eine Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr, deren Vollzug es gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah. Als mildernd wertete es den bisher ordentlichen Lebenswandel und das reumütige Geständnis des Angeklagten, als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit Vergehen. Das Urteil erwuchs unangefochten in Rechtskraft und wurde gemäß § 270 Abs 4 StPO in gekürzter Form ausgefertigt (ON 35).

Erhebungen zum Vorliegen der in Abs 3 bis 7 des § 35 SMG iVm § 37 SMG genannten Voraussetzungen und Bedingungen wurden nach der Aktenlage nicht durchgeführt.

Rechtliche Beurteilung

Dadurch wurde - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - das Gesetz mehrfach verletzt:

1./ Nach § 35 SMG (in der hier - auch hinsichtlich des vor 1. Jänner 2008 gelegenen Tatzeitraums aufgrund des anzustellenden Günstigkeitsvergleiches [RIS-Justiz RS0124177] - anzuwendenden, mit 1. Jänner 2008 in Kraft getretenen geltenden Fassung, BGBl I 2007/110) iVm § 37 SMG hat das Gericht nach Einbringung der Anklage unter den in Abs 3 bis 7 genannten Voraussetzungen und Bedingungen des § 35 SMG das Strafverfahren wegen einer Straftat nach §§ 27 Abs 1 und 2 oder 30 SMG, die ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch oder den persönlichen Gebrauch eines anderen begangen worden ist, ohne dass der Angeklagte daraus einen Vorteil gezogen hat (Abs 1), und wegen einer anderen Straftat nach §§ 27 oder 30 bis 31a SMG sowie einer Straftat nach §§ 28 oder 28a SMG, sofern (ua) der Angeklagte an Suchtmittel gewöhnt ist, die Straftat nicht in die Zuständigkeit des Schöffen- oder Geschworenengerichts fällt, die Schuld des Angeklagten nicht als schwer anzusehen wäre und die Einstellung nicht weniger als eine Verurteilung geeignet erscheint, ihn von solchen Straftaten abzuhalten (Abs 2), unter Bestimmung einer Probezeit von einem bis zu zwei Jahren mit Beschluss einzustellen.

Im vorliegenden Fall hat das Gericht ausschließlich Tathandlungen des Erwerbens, Besitzens, Erzeugens (§§ 27 Abs 1 Z 1 zweiter und dritter Fall, 30 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG) und Anbauens (§ 28 Abs 1 zweiter Satz SMG) konstatiert, jedoch keine Feststellungen darüber getroffen, ob der Angeklagte diese Taten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch (§§ 27 Abs 2, 30 Abs 2 SMG) bzw um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen (§ 28 Abs 4 iVm § 27 Abs 5 SMG) begangen hat, wenngleich es ersichtlich eine Gewöhnung des unbescholtenen und reumütig geständigen (ON 35, S 3) Angeklagten, der seine Therapiewilligkeit bewiesen hat (ON 20, 21, 25, 28, 32), an Suchtgift angenommen hat, indem es - im Übrigen weder dem Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) noch der Bezeichnung der strafbaren Handlung (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) entsprechend - die Strafe (bloß) nach dem zweiten Strafsatz des § 28 Abs 4 SMG ausgemessen hat (ON 35, S 3).

Im Fall einer Verurteilung hat die gekürzte Urteilsausfertigung neben den wesentlichen Bestandteilen des Urteils (§ 270 Abs 2 StPO) auch die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung zu enthalten, sodass insgesamt die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nachvollziehbar und überprüfbar ist (RIS-Justiz RS0125764).

Das Schöffengericht, das den Angeklagten ausschließlich wegen nicht in die schöffengerichtliche Zuständigkeit gehörender strafbarer Handlungen verurteilt hat, hätte gemäß § 270 Abs 4 Z 2 StPO Feststellungen zu den Tatsachen treffen müssen, aufgrund derer es trotz der - aus der Anwendung des § 28 Abs 4 SMG bei der Strafbemessung ableitbaren - Ergebnisse der Hauptverhandlung, die auf Umstände hindeuten, welche für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäben, nicht nach den - als temporäres Verfolgungshindernis (Schwaighofer in WK2 SMG § 35 Rz 6) einer Verurteilung entgegenstehenden - Diversionsbestimmungen der §§ 35 Abs 1 und 2, 37 SMG vorgegangen ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 659).

Im Übrigen hätte das Gericht ausgehend von der (in Hinblick auf die zur Strafbemessung herangezogene Bestimmung des § 28 Abs 4 SMG ersichtlich angenommene) Gewöhnung an Suchtmittel auch hinsichtlich der den übrigen Schuldsprüchen zugrunde liegenden Tathandlungen, jedenfalls aber in Bezug auf den Schuldspruch 3./, der ohne weiteres die Tatprivilegierung verwirklicht hätte, die privilegierenden Bestimmungen der §§ 27 Abs 2, 30 Abs 2 SMG anzuwenden, oder aber gemäß § 270 Abs 4 Z 2 StPO in der gekürzten Urteilsausfertigung diese Ausnahmesätze ausschließende Feststellungen zu treffen gehabt.

2./ Der Angeklagte wurde zudem schuldig erkannt, von Herbst 2008 bis 8. Oktober 2009 vorschriftswidrig psychotrope Stoffe besessen zu haben, indem er ca 0,5 bis 1 Gramm psilocin- und psilocybinhältige Pilze im Wald sammelte und bei sich zu Hause aufbewahrte (4./). Das Erstgericht subsumierte diese Handlung als das Vergehen des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG.

Im Anhang V.1. der Suchtgiftverordnung (SV) sind jene Stoffe und Zubereitungen taxativ aufgelistet, die als Suchtgifte im Sinn des SMG gelten. Darunter fallen auch die Stoffe Psilocin, Psilotin und Psilocybin. Pflanzen, die diese Substanzen enthalten, sind in der SV hingegen nicht genannt. Um die rechtliche Qualifikation von Pilzen mit diesen Wirkstoffen klar zu stellen und um deren zunehmendem Bedeutungsgewinn Rechnung zu tragen, wurden mit der SMG-Novelle 2007 in Z 3 des § 27 Abs 1 SMG das Anbieten, Überlassen oder Verschaffen von Pilzen mit diesen Wirkstoffen sowie deren Anbau zum Zweck des Suchtgiftmissbrauchs in die gerichtlichen Straftatbestände aufgenommen, womit auch klargestellt werden sollte, dass in Bezug auf solche Pilze tatsächlich nur diese Tathandlungen, nicht aber andere von der Strafbarkeit umfasst sind (vgl dazu JABl Nr 9/2008, Punkt B./1./d./).

Der Erwerb und Besitz von psilocin- und psilocybinhältigen Pilzen ist daher nicht strafbar (vgl EBRV SMG-Novelle 2007, 301 BlgNR 23. GP , 12; Litzka/Matzka/Zeder SMG2 § 27 Rz 54; Schwaighofer in WK2 § 27 SMG Rz 52; 14 Os 57/09b, 12 Os 39/10t).

Die Gesetzesverletzungen waren festzustellen und es war iSd § 292 letzter Satz StPO der Angeklagte zum einen Teil freizusprechen, zum anderen Teil war eine Erneuerung des gegen ihn geführten Verfahrens vor dem nunmehr zuständigen Einzelrichter (RIS-Justiz RS0100271) anzuordnen.

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