OGH 14Os151/10b

OGH14Os151/10b16.11.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Koller als Schriftführer in der Strafsache gegen Janio G***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster und zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11. August 2010, GZ 092 Hv 72/10x-100, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Janio G***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 13. Oktober 2003 in Wien mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz zur Ausführung einer strafbaren Handlung durch andere, die unter Verwendung von Waffen mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) Gewahrsamsträgern einer Bankfiliale rund 400.000 Euro Bargeld wegnahmen, dadurch beigetragen, dass er einen der unmittelbaren Täter durch die Zusage der Mitwirkung in seinem Tatentschluss bestärkte, sowie dadurch, dass er sich beim Fluchtfahrzeug bereithielt und dieses bewachte, um im Anschluss an die Wegnahme die reibungslose Flucht zu ermöglichen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5, 5a und 9 (richtig:) lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist im Recht.

Die Mängelrüge (Z 5) wendet der Sache nach zutreffend eine Überschreitung der Anklage (Z 8) infolge Verletzung der richterlichen Informationspflicht ein:

Die Staatsanwaltschaft legte dem Beschwerdeführer mit Anklageschrift vom 26. Mai 2010 (ON 84) zur Last, an dem gegenständlichen Raubüberfall als unmittelbarer Täter (§ 12 erster Fall StGB) beteiligt gewesen zu sein.

Nach der Aktenlage wurde eben diese Anklage in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragen (ON 99 S 9), wobei es in der Folge weder zu einer Anklagemodifikation noch zu einer Information des Beschwerdeführers über die Möglichkeit kam, das inkriminierte Geschehen im Sinn einer Beitragstäterschaft (§ 12 dritter Fall StGB) zu beurteilen (ON 99).

Seit 14 Os 34/00, EvBl 2000/221, 909 versteht der Oberste Gerichtshof § 281 Abs 1 Z 8 StPO mit Blick auf Art 6 MRK in ständiger Rechtsprechung dahin, dass unter Heranziehung dieses Nichtigkeitsgrundes auch eine Missachtung des § 262 erster Satz StPO geltend gemacht werden kann (RIS-Justiz RS0113755).

Ist daher das Tatbild der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Tat von jenem des Anklagetenors derart verschieden, dass sich die jeweils angenommenen Tatbilder nicht überdecken, liegt ohne dem Schutzzweck des § 262 StPO entsprechende Information stets Anklageüberschreitung vor. Dies gilt - in analoger Anwendung dieser Bestimmung - auch bei jeder Änderung der Beteiligungsform. Dabei ist aus der Sicht erfolgreicher Beschwerdeführung zu beachten, dass es bei Abweichungen von geringerer Relevanz Sache des Beschwerdeführers ist, in einer aus Z 8 ergriffenen Rüge eine Verletzung seiner durch Art 6 Abs 3 lit a oder b MRK garantierten Verteidigungsrechte zu behaupten. Im Rechtsmittel muss also plausibel gemacht werden, dass mit Blick auf den veränderten rechtlichen Gesichtspunkt die Verteidigung eine andere gewesen wäre. Unnötig ist ein solches Vorbringen nur dann, wenn dieser Umstand aus der Sicht des Rechtsmittelgerichts evident ist, also beispielsweise bei Verurteilung wegen einer gegenüber der Anklage anderen Tat im materiellen Sinn (zum Ganzen eingehend Ratz, WK-StPO § 281 Rz 545 mwN).

Fallbezogen folgt daraus zunächst, dass die Verurteilung als Beitragstäter anstelle des auf unmittelbare Täterschaft gerichteten Anklagevorwurfs einer entsprechenden, analog § 262 erster Satz StPO vorzunehmenden Information bedurft hätte. Da die Urteilsfeststellungen über die Tathandlungen (Bestärken eines unmittelbaren Täters im Tatentschluss, Bewachen des Fluchtfahrzeugs) vom Anklagevorwurf (unmittelbare Beteiligung am Raubüberfall) einander im Tatsächlichen in keiner Weise überdecken, ist die Plausibilität des Erfordernisses einer geänderten Verteidigungslinie offensichtlich, sodass es hier eines diesbezüglichen Beschwerdevorbringens nicht bedurfte. In diesem Zusammenhang sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass sich nach der Aktenlage alle im Rahmen der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen zur Tatzeit in der überfallenen Bankfiliale befunden hatten und demnach nicht zu allfälligen Beitragshandlungen, sondern nur zum unmittelbaren Tathergang befragt wurden (ON 99 S 27 bis 31).

Der Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort Folge zu geben (§ 285e StPO).

Ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt sich somit.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte