OGH 5Ob168/10g

OGH5Ob168/10g23.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Bernadette T*****, geboren am 8. November 1993, und des mj Stefan T*****, geboren am 23. September 2002, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Anna-Maria T*****, vertreten durch Dr. Josef Sailer, Rechtsanwalt in Bruck an der Leitha, wegen Obsorgeregelung, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 8. Juni 2010, GZ 20 R 42/10g-62, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung

Als die beiden Kinder Bernadette und Stefan geboren wurden, lebten die zuvor geschiedenen Eltern der Kinder wieder im gemeinsamen Haushalt und vereinbarten die gemeinsame Obsorge für alle Kinder. Diese Vereinbarung wurde auch pflegschaftsgerichtlich genehmigt. Im Oktober 2005 trennten sich die Eltern endgültig. Während der älteste, schon volljährige Sohn bei seinem Vater blieb, zog die Mutter mit den beiden minderjährigen Kindern Stefan und Bernadette an einen nahegelegenen Ort.

Im November 2008 beantragte die damals fünfzehn Jahre alte Bernadette gemeinsam mit ihrem Vater, diesem die alleinige Obsorge zu übertragen. Bernadette zog auch zu ihrem Vater, der seinerseits beantragte, ihm auch die alleinige Obsorge über den mj Stefan zu übertragen. Stefan wohnte während des Verfahrens weiterhin bei seiner Mutter, der Vater übte sein Besuchsrecht aus.

Stefan hat ein sehr enges Verhältnis zu seiner älteren Schwester, die ihm eine wichtige Bezugsperson ist. Er hat weder Präferenzen gegenüber der Mutter noch dem Vater, ist jedoch durch die gegebene familiäre Situation sehr belastet. Er besucht derzeit die Volksschule in S*****, am Nachmittag wird er im Hort versorgt.

Die Mutter zeigt sich wenig bindungstolerant, das heißt, dass sie die gute Beziehung und Verbundenheit von Stefan zu seiner Schwester, aber auch zu seinem Vater nicht zulassen und akzeptieren kann. Stefan ist nicht in der Lage, insoweit der Mutter entgegenzutreten, was ihn in einen massiven Loyalitätskonflikt stürzt und damit sein emotionales Wohl gefährdet.

Das trifft auf den Vater nicht zu. Insofern findet er beim Vater bessere emotionale Entwicklungsmöglichkeiten vor als bei der Mutter. Eine Übersiedlung von Stefan zu seinem Vater würde zwar einen Schulwechsel nach sich ziehen, was jedoch angesichts der Kontaktfreudigkeit des Kindes und seiner Fähigkeit, sich in noch unbekannten Situationen zurechtzufinden, keine Problematik mit sich bringt.

Beide Eltern sind - jeder Elternteil auf seine Art - zur Übernahme der alleinigen Obsorge grundsätzlich geeignet.

Beide Vorinstanzen wiesen dem Vater das alleinige Obsorgerecht hinsichtlich beider Kinder zu.

Unbekämpft blieb die Obsorgezuteilung hinsichtlich Bernadette.

Im außerordentlichen Revisionsrekurs bekämpft die Mutter - unzulässigerweise (vgl RIS-Justiz RS0007533)­ Feststellungen über die ihr zugeschriebene mangelnde Bindungstoleranz und verweist in rechtlicher Hinsicht auf die von den Vorinstanzen angeblich vernachlässigte Bedeutung der Erziehungskontinuität für das Wohl des Kindes. Auch wäre in rechtlicher Hinsicht noch die Frage zu klären, ob einer Nachmittagsunterbringung im Hort nicht der Vorzug gegenüber einer Nachmittagsbetreuung durch die väterlichen Großeltern zu geben sei. Dazu bedürfe es eines weiteren Sachverständigengutachtens.

Rechtliche Beurteilung

Damit werden keine Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt:

Weil hier davon auszugehen ist, dass beide Elternteile zur Ausübung der Obsorge grundsätzlich gleichermaßen gut geeignet sind und eine gütliche Einigung nicht zustandekam, ist ausschließlich das Wohl des Kindes (§ 178a ABGB) maßgebend (vgl 1 Ob 210/05x = EFSlg 110.884; 2 Ob 266/05i mwN; RIS-Justiz RS0048632).

Die Rechtsprechung hat für die Beurteilung des Kindeswohls zahlreiche Leitlinien herausgebildet, von denen hier die Wahrung der Erziehungskontinuität, der Vorzug eines gemeinsamen Aufwachsens von Geschwistern und auch die Fähigkeit, Bindungen zum anderen Elternteil oder anderen Bezugspersonen zu tolerieren (Bindungstoleranz), im Vordergrund stehen.

Bei einer Kollision mehrerer obsorgerechtlicher Leitgedanken ist stets eine Gesamtschau maßgeblich (RIS-Justiz RS0047832).

Die Vorinstanzen konnten sich bei den für die Beurteilung des Kindeswohls in einer solchen Gesamtschau maßgeblichen Feststellungen auf ein sorgfältiges familienpsychologisches Gutachten stützen (ON 24 und 36). Als Folgerung daraus wird die Kontinuität der engen Beziehungen des Kindes zu seiner älteren Schwester und die höhere Bindungstoleranz des Vaters beim Umgang des Kindes mit seiner Mutter als besonders bedeutsam für die emotionalen Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes in den Vordergrund gestellt, weil dadurch das Kind in den elterlichen Konflikt nicht so massiv involviert werde wie im Fall eines Verbleibs bei der Mutter. Der Vater und das von ihm gebotene Umfeld seien die Basis für eine seelisch-geistige und emotionale Entfaltung des Kindes, wohingegen Fähigkeiten der Mutter, wie dem Kind Ordnung und Struktur zu bieten, in den Hintergrund träten.

Diese nach pflichtgemäßem Ermessen getroffene Abwägung konkurrierender obsorgerechtlicher Grundsätze begegnet als solche des Einzelfalls, der keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG hat (vgl RIS-Justiz RS0007101), weil in ausreichender Weise Bedacht auf das Kindeswohl genommen wurde (vgl RIS-Justiz RS0115719), keinen Bedenken im Sinn einer Korrekturbedürftigkeit.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter war daher zurückzuweisen.

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