European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:0040OB00137.10S.0831.000
Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird in der Abweisung eines Begehrens von 4.685,74 EUR samt Zinsen unter Vorbehalt der Kostenentscheidung als Teilurteil bestätigt.
Im Übrigen, also in der Entscheidung über ein weiteres Begehren von 14.057,24 EUR samt Zinsen und im Kostenpunkt, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben, und die Rechtssache wird insofern zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die auf diesen Teil des Streitgegenstands entfallenden Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte vermittelte als selbständiger „Mobilitätsberater“ Verträge über den „Mietkauf“ von fabriksneuen Pkw. Für diese Tätigkeit war er - mit anderen - von einem Schweizer Unternehmen angeworben worden, das ihm das Vertriebskonzept bei einer Schulung erläutert hatte. Durch die Ausschaltung von Zwischenhändlern sollten Rabatte von 25 % auf den Listenpreis ermöglicht werden. Vertragspartner des Kunden sollte ein deutsches Unternehmen werden, das die Fahrzeuge als „Großhändler“ günstig vom Hersteller erwarb. Für die Vermittlung sollte der Kläger vom Schweizer Unternehmen eine Provision erhalten. Im Vertriebssystem traten die „Mobilitätsberater“ jeweils als eigene „Autovermittlungsagenturen“ auf; der Beklagte war „Geschäftsführer“ der ‑ offenkundig allein aus ihm bestehenden und auch nach ihm benannten - „M***** Agentur“.
Die Klägerin nahm an zwei Veranstaltungen teil, bei denen der Beklagte das Angebot vorstellte, und äußerte ihr Interesse am Erwerb eines Pkw. Der Beklagte verwies sie zunächst auf die Website des Schweizer Unternehmens, auf der Interessenten die gewünschte Ausstattung des Pkw zusammenstellen konnten. Zu diesem Zeitpunkt war für die Klägerin noch nicht erkennbar, dass der Vertrag mit dem deutschen Unternehmen geschlossen werden sollte. Sie nahm vielmehr an, dass ihr Vertragspartner das Schweizer Unternehmen würde und dass sie den Kaufpreis direkt an den Hersteller zu überweisen hätte.
Nachdem die Klägerin dem Beklagten die gewünschte Ausstattung mitgeteilt hatte, suchte er sie am 21. November 2007 mit den Vertragsunterlagen zu Hause auf. Dort war erstmals das deutsche Unternehmen als Geschäftspartner genannt. Der Beklagte teilte der Klägerin mit, dass sie im Voraus an dieses Unternehmen zahlen müsse, dieses würde das Geld dann an den Hersteller weiterleiten. Die Klägerin wünschte statt dessen eine treuhändische Abwicklung. Dies war jedoch zum damaligen Zeitpunkt im Vertriebssystem nicht möglich. Der Beklagte stellte ihr das Vertriebssystem mit Ausnahme des Insolvenzrisikos des Herstellers als „sicher“ dar. Daraufhin unterzeichnete die Klägerin den Vertrag und überwies dem deutschen Unternehmen das gesamte Entgelt von 18.742,98 EUR. Dieses Entgelt setzte sich nach der ihr gelegten Rechnung aus einer „Mietsonderzahlung“ sowie aus der „Vorauszahlung“ der „Monatsraten“ und der „Schlussrate“ zusammen.
Das Schweizer Unternehmen bestätigte den Eingang dieses Betrags beim deutschen Unternehmen und gab „unverbindlich“ eine Lieferzeit von 22 bis 26 Wochen an. Für die Zwischenzeit stellte das deutsche Unternehmen der Klägerin „unentgeltlich“ ein von ihm angemietetes Fahrzeug zur Verfügung. Die Klägerin „musste“ dieses Fahrzeug jedoch noch vor der Auslieferung des gekauften Pkw zurückgeben.
Am 10. Juni 2008 wurde über das deutsche Unternehmen das Insolvenzverfahren eröffnet. Dem Beklagten waren das Insolvenzrisiko oder (allfällige) betrügerische Machenschaften nicht bekannt gewesen, er wollte die Klägerin nicht „bewusst“ täuschen. Die Klägerin erhielt in weiterer Folge weder das Fahrzeug, noch wurde ihr das Entgelt rückerstattet. Der Beklagte hatte für die Vermittlung des Geschäfts vom Schweizer Unternehmen eine Provision von 400 EUR erhalten.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten Schadenersatz in Höhe des von ihr gezahlten Entgelts. Sie stützt sich, soweit im Revisionsverfahren noch relevant, auf die Zusicherung des Beklagten, das Erwerbssystem sei abgesehen von einer allfälligen Insolvenz des Herstellers sicher. Der Beklagte habe den Eindruck vermittelt, dass er ein seriöser Geschäftspartner sei, der für die reibungslose Abwicklung des Geschäfts bürge. Zunächst habe er mehrfach von Direktzahlungen an den Hersteller gesprochen; erst beim letzten Gespräch sei deutlich geworden, dass sie an das deutsche Unternehmen zahlen sollte. Sie habe sich dann eine Treuhandlösung gewünscht. Das habe der Beklagte als unmöglich bezeichnet und auf die nur durch die allfällige Insolvenz des Herstellers gefährdete Sicherheit des Systems hingewiesen. Daraufhin habe sie den Vertrag unterfertigt.
Der Beklagte wendet ein, dass sich nur das mit jeder Vorleistung verbundene Insolvenzrisiko des Empfängers verwirklicht habe. Dieses Risiko habe die Beklagte zu tragen. Er sei lediglich als „selbständiger Vermittler“ tätig geworden, habe mit der Klägerin keinen Vertrag geschlossen und von ihr auch kein Entgelt erhalten. Ein Insolvenzrisiko des deutschen Unternehmens habe er weder gekannt, noch sei es für ihn erkennbar gewesen. Zudem habe er die Klägerin nicht nur auf das Insolvenzrisiko des Herstellers, sondern auch auf jenes des deutschen Unternehmens hingewiesen.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Beklagte sei bloßer Abschlussvermittler gewesen und in keinem Vertragsverhältnis mit der Klägerin gestanden. Eine Verletzung von Schutz- und Aufklärungspflichten könne ihm nicht vorgeworfen werden, weil er sich auf das Funktionieren des Systems verlassen habe und für ihn kein Insolvenzrisiko des deutschen Unternehmens erkennbar gewesen sei. Eine Haftung nach dem Vorbild der Anlageberaterhaftung komme nicht in Betracht, weil nur das überschaubare Risiko bestanden habe, dass der Pkw trotz Vorauszahlung nicht oder nur mangelhaft geliefert werde.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Es qualifizierte den Beklagten als „Erfüllungsgehilfen“, wobei unklar blieb, ob es als dessen Geschäftsherrn das Schweizer oder (auch) das deutsche Unternehmen ansah. Der Beklagte habe weder besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen, noch habe er ein erhebliches und unmittelbares eigenwirtschaftliches Interesse am Vertragsabschluss gehabt. Diese Ausnahmen vom Grundsatz, dass der Verhandlungsgehilfe nicht persönlich für den Erfolg des Geschäfts hafte, seien nach der Rechtsprechung eng auszulegen. Der Beklagte hafte daher nur bei Wissentlichkeit. Den von ihm allenfalls zunächst erweckten Eindruck, die Zahlung sei unmittelbar an den Hersteller zu leisten, habe er rechtzeitig korrigiert.
Nachträglich ließ das Berufungsgericht die Revision mit der Begründung zu, dass Anlagevermittler schon für die Zusage der Risikolosigkeit hafteten. Das könnte auch für entsprechende Angaben im Zusammenhang mit dem Insolvenzrisiko beim Kfz-Vertrieb gelten.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und teilweise berechtigt.
1. Der Beklagte handelte als Sachverständiger im Sinn der §§ 1299, 1300 ABGB.
1.1. Der Begriff des Sachverständigen ist weit auszulegen. Er erfasst jeden, der eine Tätigkeit übernimmt, für die ein besonderes Können oder Fachwissen Voraussetzung ist ( Koziol / Welser , Bürgerliches Recht II 13 [2007] 353; Karner in KBB 2 § 1299 Rz 5; RIS-Justiz RS0026557 [insb T1]). Darunter fallen insbesondere Anlagevermittler (1 Ob 182/97i = SZ 70/147; 3 Ob 13/04i = ÖBA 2005, 55) und Immobilienmakler (RIS-Justiz RS0109996).
1.2. Der Beklagte wurde nach den Feststellungen der Vorinstanzen ‑ was den vorliegenden Fall von jenem unterscheidet, der zu 7 Ob 76/10t zu entscheiden ist - als selbständiger Vermittler von besonders günstigen Verträgen über den Erwerb von fabriksneuen Kraftfahrzeugen tätig. Damit nahm er für sich in Anspruch, über besondere Sachkunde auf dem Gebiet des Kfz-Vertriebs zu verfügen, die es ihm ermöglichte, wesentlich höhere Rabatte zu erwirken als im sonstigen Handel. Diese Sachkunde bezog sich zwar ‑ anders als bei Anlagevermittlern und Immobilienmaklern ‑ nicht auf das vermittelte Produkt, sondern auf wirtschaftliche Zusammenhänge, die einen günstigen Vertragsabschluss ermöglichten. Genau diese Sachkunde nahmen aber die Kunden des Beklagten in Anspruch. Insofern trat er ihnen gegenüber als Sachverständiger auf.
2. Der Beklagte haftet ‑ Kausalität vorausgesetzt ‑ nach § 1300 Satz 1 ABGB.
2.1. Die Haftung nach § 1300 Satz 1 ABGB setzt nach ständiger Rechtsprechung nicht Entgeltlichkeit voraus; es genügt, dass der Rat oder die ‑ diesem gleichgehaltene (RIS-Justiz RS0026527) ‑ Auskunft nicht aus bloßer Gefälligkeit (selbstlos) erteilt wurde (RIS-Justiz RS0044121, RS0026596; Karner in KBB 2 § 1300 Rz 2; Harrer in Schwimann 3 § 1300 Rz 2). Das trifft insbesondere dann zu, wenn das beanstandete Verhalten im Zusammenhang mit einer von dritter Seite erwarteten Leistung (insbesondere einer Provision für die Vermittlung eines Geschäfts) gesetzt wird (8 Ob 532/83 = JBl 1985, 38; RIS-Justiz RS0026596 [T4]).
2.2. Die Auskunft des Beklagten, das beabsichtigte Geschäft sei abgesehen von einem allfälligen Insolvenzrisiko des Herstellers sicher, erfolgte im Zusammenhang mit der Vermittlung eines Vertrags, für dessen erfolgreichen Abschluss er eine Provision erhielt. Der Beklagte handelte daher nicht aus bloßer Gefälligkeit, sondern verfolgte ein eigenes wirtschaftliches Interesse. Aus diesem Grund haftet er nach § 1300 Satz 1 ABGB auch dann, wenn er durch bloß fahrlässiges Verhalten einen reinen Vermögensschaden verursacht. Auf das Bestehen eines vom Beklagten vermissten „Auskunftsvertrags“ - der allerdings in der Rechtsprechung gelegentlich allein aufgrund der Auskunftserteilung angenommen wurde (1 Ob 182/97i = SZ 70/147 mwN; vgl dazu aber Reischauer in Rummel 3 § 1300 Rz 6) - kommt es daher nicht an.
2.3. Richtig ist, dass der Beklagte mangels ihm erkennbarer Anhaltspunkte für eine Insolvenz des deutschen Unternehmens nicht verpflichtet war, die Klägerin vor dem grundsätzlich mit jeder Vorauszahlung verbundenen Insolvenzrisiko zu warnen. Um eine solche allgemeine Warnpflicht geht es hier aber nicht. Die Klägerin wirft dem Beklagten vielmehr vor, dass er auf ihre Bedenken gegenüber dem Geschäftsmodell mit dem Hinweis reagiert habe, dieses sei abgesehen von einer Insolvenz des Herstellers „sicher“. Da es sich beim Hersteller um ein Tochterunternehmen des VW-Konzerns handelte, erweckte der Beklagte damit den Eindruck völliger Risikolosigkeit.
Zwar führte der Beklagte nicht aus, aus welchen Gründen eine Insolvenz des deutschen Unternehmens unmöglich, äußerst unwahrscheinlich oder für die Klägerin unerheblich sei. Durch den Hinweis auf die „Sicherheit“ nahm er aber für sich in Anspruch, das Vertriebssystem zu durchschauen und auf der Grundlage dieser besonderen Sachkunde eine Einschätzung über die mit der Zahlung verbundenen Risiken abgeben zu können. Damit ist der Beklagte durchaus mit einem Finanzdienstleister vergleichbar, der die Risikolosigkeit eines typischen Risikogeschäfts behauptet (RIS-Justiz RS0108074 [T1, T5]). Zwar bezog sich seine Auskunft nicht auf das vermittelte Produkt, sondern auf die Abwicklung des Geschäfts. Diese Abwicklung war aber für die Klägerin im konkreten Fall ähnlich undurchschaubar wie die Anlage in ein ungewöhnliches Finanzprodukt. Der Beklagte hätte daher die Auskunft über die „Sicherheit“ dieser Abwicklung nur geben dürfen, wenn ihm entsprechende Tatsachen ‑ etwa eine besondere wirtschaftliche Stärke des deutschen Unternehmens oder die Übernahme einer Haftung durch den Hersteller ‑ bekannt gewesen wären. Der bloße Umstand, dass bis zu diesem Zeitpunkt anscheinend alle Fahrzeuge ausgeliefert worden waren, reichte als Grundlage für seine Aussage nicht aus.
2.4. Der Beklagte hat daher fahrlässig eine unrichtige Auskunft erteilt. Die Vorinstanzen haben allerdings ‑ aufgrund ihrer Rechtsauffassung folgerichtig ‑ keine Feststellungen zur Frage getroffen, ob diese Auskunft auch kausal für den Vertragsabschluss durch die Klägerin war. Aus diesem Grund kann derzeit nicht beurteilt werden, ob das Verhalten des Beklagten den Schaden der Klägerin tatsächlich verursacht hat. Die Beweislast dafür trifft die Klägerin (RIS‑Justiz RS0106890).
3. Der Beklagte hat vorgebracht, dass die Klägerin das Risiko der Insolvenz ihres Geschäftspartners selbst tragen müsse. Damit hat er in der Sache einen Mitverschuldenseinwand erhoben.
Dieser Einwand ist berechtigt. Denn zum einen mussten der hohe Rabatt und die ungewöhnliche Geschäftsabwicklung, an der mehrere Unternehmen beteiligt waren, bei der Klägerin Zweifel an der Seriosität des Vertriebssystems erwecken. Zum anderen war die Aussage des Beklagten, dass das Geschäft abgesehen von einer Insolvenz des Herstellers „sicher“ sei, angesichts der Vorauszahlung an ein anderes Unternehmen eine bloße Behauptung, für die er der Klägerin jede Begründung schuldig blieb. Dennoch hat sie dieser Aussage unbesehen vertraut und einen hohen Geldbetrag ohne jede Sicherheit an ein ihr unbekanntes Unternehmen überwiesen. Darin liegt eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten, die jedoch deutlich geringer wiegt als das Verschulden des Beklagten, der zwar nach den Feststellungen gutgläubig war, aber doch ohne fundierte Kenntnisse die Risikolosigkeit des Systems zusagte. Das Ausmaß ihres Mitverschuldens ist mit einem Viertel zu bemessen.
4. Auch wenn der Klägerin daher der Kausalitätsbeweis gelingt (oben 2.4.), muss sie jedenfalls ein Viertel ihres Schadens selbst tragen (§ 1304 ABGB). In diesem Umfang ist die angefochtene Entscheidung als Teilurteil zu bestätigen. Im Übrigen sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, und dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Die Kausalitätsfrage wird mit den Parteien zu erörtern sein; ob in weiterer Folge eine Ergänzung des Beweisverfahrens erforderlich ist, hat das Erstgericht zu beurteilen.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 und 2 ZPO.
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