Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
In Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft wird die Freiheitsstrafe auf fünf Jahre erhöht.
Der Angeklagte wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.
Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Heimo H***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A/I), mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 erster Fall SMG (A/II), mehrerer Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 und 15 StGB (B) sowie des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG (C) schuldig erkannt.
Danach hat er in Bruck an der Mur, Graz, Kapfenberg, Pernegg und an anderen Orten
(A) vom Jänner 2008 bis zum 6. September 2009 vorschriftswidrig
I) Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, nämlich
1) in vielfachen Angriffen insgesamt zumindest 366 Gramm amphetaminhältiges Speed mit einer Reinsubstanz von 70 % dem abgesondert verfolgten Vittorio O*****,
2) zusammen mindestens 23 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von 30 % den abgesondert verfolgten Vittorio O*****, Rocco G***** und Markus U*****,
3) 4,7 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von 21,6 %, 0,8 Gramm Kokain mit einer solchen von 21,9 % und 49,5 Gramm Kokain mit einer Reinsubstanz von 59,3 % einem verdeckten Ermittler sowie
4) nicht mehr feststellbare Mengen Kokain unbekannt gebliebenen Personen,
II) Suchtgift erworben, nämlich nicht mehr feststellbare Mengen Kokain,
(B) im Jahr 2008 Vittorio O***** durch die Äußerungen, er werde
I) ihn niederschlagen lassen, er kenne Leute, die ihn oder seine Familie für Geld kaputt machen, und er werde dessen Lokal zerschlagen lassen, zur Abstandnahme von der Preisgabe seiner Suchtgift-Geschäfte und seiner Identität als Suchtgiftlieferant genötigt sowie
II) ihn und seine Familie kaputtmachen, sollte er den Absatz (von amphetaminhältigem Speed) nicht steigern, zu weiteren Suchtgiftverkäufen zu nötigen versucht und
(C) bis zum 6. September 2009 unbefugt eine verbotene Waffe, nämlich eine unter der Bezeichnung „Schlagring“ bekannte Hiebwaffe (§ 17 Abs 1 Z 6 WaffG) besessen.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 3 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.
Die Beschwerde wendet sich gegen die Verlesung (ON 112 S 79) der Aussage des Zeugen Alexander B***** (ON 3 S 39 bis 59) sowie deren Verwertung in der angefochtenen Entscheidung und stützt sich dabei auf die angeführten Nichtigkeitsgründe sowie auf „Art 6 MRK-Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz“, wobei sich das Vorbringen zu den einzelnen Beschwerdepunkten in weiten Teilen überschneidet. Im Folgenden werden die Beschwerdeargumente jeweils ausschließlich unter dem Aspekt jenes Nichtigkeitsgrundes behandelt, dem sie im Sinn ihrer inhaltlichen Ausrichtung zuzuordnen sind (Ratz, WK-StPO § 285d Rz 9).
Der Einwand, die Verlesung der Aussage des Zeugen B***** verletze das Verbot des § 252 Abs 1 StPO, weil die - vom Erstgericht angenommenen (ON 112 S 79) - Voraussetzungen des § 252 Abs 1 Z 1 StPO nicht gegeben gewesen seien (Z 3), trifft nicht zu.
Ein Verfahrensmangel nach Z 3 kann nur dann vorliegen, wenn das Erstgericht seiner Überprüfungspflicht mangelhaft nachgekommen ist. Demnach hat der Oberste Gerichtshof unter diesem Nichtigkeitsgrund nur zu beurteilen, ob das erkennende Gericht seine Pflicht zur Beachtung der jeweils relevanten Bestimmungen wahrgenommen hat (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 37), was aktuell zu bejahen ist: Bestehen - wie hier - nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte für den Aufenthalt eines Zeugen, ist die Verlesung einer von diesem abgelegten Aussage zulässig, wenn zumindest die Ausforschung durch die Sicherheitsbehörden versucht wurde, aber ohne positives Ergebnis blieb, wobei sich diese Umstände auch aus einem anderen Verfahren ergeben können (Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 61). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, weil die Tatrichter die Annahme unbekannten Aufenthalts (US 16) aus dem Beiakt AZ 12 Hv 100/09f des Landesgerichts Leoben ableiteten (US 25), in welchem Verfahren Alexander B***** seit dem 5. Februar 2010 erfolglos zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben war (ON 112 S 71 iVm ON 40, 41 in 12 Hv 100/09f des Landesgerichts Leoben). Der Umstand, dass am 23. April 2010, also rund eine Woche nach der gegenständlichen Hauptverhandlung (ON 112 S 1), beim Landesgericht Leoben eine Mitteilung über den Aufenthaltsort des Zeugen B***** einlangte (ON 43 S 1 in 12 Hv 100/09f dieses Gerichts), vermag hieran nichts zu ändern, weil bei der Beurteilung einer allfälligen Nichtigkeit aus Z 3 - wie dargelegt - auf den Blickwinkel des erkennenden Gerichts im Zeitpunkt der in Rede stehenden Verfahrenshandlung abzustellen ist.
Aus welchem Grund es für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 252 Abs 1 Z 1 StPO von Bedeutung sein soll, dass Alexander B***** am 28. Jänner 2009 in einem anderen Verfahren persönlich vernommen worden ist, vermag die Beschwerde nicht darzulegen.
Ebenso im Dunkeln bleibt der Hinweis auf die Bestimmungen des § 165 StPO, weil die angesprochene Aussage gerade nicht im Ermittlungsverfahren, sondern im Rahmen der in einer anderen Strafsache durchgeführten Hauptverhandlung abgelegt worden ist.
Der Einwand, das Erstgericht habe die Aussage des Gino Bö***** in dem gegen ihn geführten Strafverfahren (ON 3 S 3 bis 35) mit Stillschweigen übergangen (Z 5 zweiter Fall), hat auf sich zu beruhen, weil die angesprochene Aussage in der Hauptverhandlung nicht verlesen worden ist (ON 112 S 71 bis 79) und demgemäß bei der Urteilsfällung gar nicht berücksichtigt werden durfte (§ 258 Abs 1 StPO).
Nach Art 6 Abs 3 lit d MRK hat der Angeklagte das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter den selben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken. Nach ständiger Judikatur des EGMR ist die Verweigerung des Fragerechts aber ausnahmsweise zulässig, wenn sie aus sachlichen Gründen erfolgt. Dies ist dann der Fall, wenn die Zeugenbefragung in der Verhandlung aus bestimmten rechtlichen oder faktischen Gründen nicht möglich ist. Unter Letztere fällt beispielsweise auch der unbekannte Aufenthaltsort des Zeugen (Grabenwarter EMRK4 § 24 Rz 114). Da § 252 Abs 1 Z 1 StPO genau diesen Ausnahmefall vorsieht, ist somit insoweit ein Vorgehen nach Art 89 Abs 2 zweiter Satz B-VG nicht geboten.
Die Rüge geht zutreffend davon aus, dass der Akt AZ 10 Hv 167/08t des Landesgerichts Leoben in der Hauptverhandlung nicht verlesen worden ist (ON 112 S 71 bis 79). Sehr wohl verlesen wurde aber - wie im Übrigen von der Beschwerde an anderer Stelle ausdrücklich eingeräumt - die in der am 28. Jänner 2009 in diesem Verfahren durchgeführten Hauptverhandlung abgelegte Aussage des Zeugen Alexander B***** (ON 112 S 79 iVm ON 3 S 39 bis 59), aus welchem Grund die Behauptung, das Erstgericht stütze sich durch die Bezugnahme auf diese Aussage (US 18) auf ein in der Hauptverhandlung nicht vorgekommenes Beweismittel (Z 5 vierter Fall), nicht zutrifft.
Die angefochtene Entscheidung gibt die Ausführungen des Zeugen B***** dahin wider, dass dieser angegeben habe, die „Brucker Ware“ sei zunächst pur gewesen und später auf einen Reinheitsgrad von 70 % aufgestreckt worden; er habe das damit angesprochene Speed mit einem Lichtmikroskop untersucht (US 18). Da dies exakt den aus dem diesbezüglichen Vernehmungsprotokoll ersichtlichen Depositionen entspricht (ON 3 S 47), ist die insoweit behauptete Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) nicht gegeben.
Das Erstgericht gründet die Feststellungen zur Suchtgift-Reinsubstanz auf die angeführte Zeugenaussage, wobei es zu Gunsten des Beschwerdeführers davon ausgeht, dass die gesamte weitergegebene Menge nur einen 70%igen Reinheitsgrad aufgewiesen hat. Die Erklärung des Alexander B*****, er habe von seinem Lieferanten entsprechende Informationen erhalten und zu deren Überprüfung sowohl die reine als auch die gestreckte Ware unter einem Mikroskop betrachtet (ON 3 S 47), ist per se als Feststellungsbasis nicht grundsätzlich ungeeignet. Die Argumentationskette des Erstgerichts, die auf diesen Angaben aufbaut und sie mit der Überlegung verknüpft, der Zeuge B***** sei aufgrund seiner äußerst hohen Suchtgifterfahrenheit in der Lage, Suchtgiftqualitäten einzuschätzen (US 18), ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden.
Verfahrensergebnisse, die den Urteilsannahmen zum Reinheitsgrad unerörtert entgegenstehen (Z 5 zweiter Fall), werden nicht aufgezeigt, diesbezügliche, gegebenenfalls aus dem Blickwinkel des § 281 Abs 1 Z 4 StPO beachtliche Anträge werden nicht releviert (und wurden nach der Aktenlage auch nicht gestellt).
Indem die Rüge aus der Aussage des Alexander B***** anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Beschwerdeführer günstigere Schlüsse zieht als das Erstgericht, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 288 Abs 1 StPO zu verwerfen.
Das Schöffengericht verhängte über Heimo H***** nach § 28a Abs 4 SMG unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von dreieinhalb Jahren (US 3).
Dabei wertete es das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und Vergehen, den Umstand, dass der Angeklagte die strafbaren Handlungen durch längere Zeit fortgesetzt hat, acht auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorstrafen sowie die gewerbsmäßige und professionelle Vorgangsweise als erschwerend, hingegen keinen Umstand als mildernd (US 27).
Diese Zumessungsgründe waren im Wesentlichen auch der Strafneubemessung zu Grunde zu legen, wobei - in Relation zur erstgerichtlichen Sanktionsfindung - der Umstand, dass (nicht nur zwei, sondern) alle drei Varianten des Erschwerungsgrundes des § 33 Z 1 StGB erfüllt worden sind, zum Nachteil, die Tatsache, dass es hinsichtlich eines Nötigungsfaktums (B/II) beim Versuch geblieben ist, zum Vorteil des Angeklagten wirkt.
Der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 17 StGB war nicht in Anschlag zu bringen. Das Zugeständnis im Tatsächlichen, einem verdeckten Ermittler Suchtgift übergeben (ON 112 S 13) und einen - von der Polizei im Fahrzeug des Angeklagten sichergestellten - Schlagring (angeblich als Pfand) besessen (ON 112 S 25) zu haben, erfüllt nämlich weder die Kriterien eines reumütigen Geständnisses noch jene eines wesentlichen Beitrags zur Wahrheitsfindung (Ebner in WK² § 34 Rz 38).
Somit steht zahlreichen gewichtigen Erschwerungsgründen ein einziger Milderungsgrund entgegen, der überdies nur ein den Strafrahmen nicht bestimmendes Urteilsfaktum betrifft.
Hievon ausgehend erweist sich unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Angeklagte bestrebt war, die Suchtgiftgeschäfte durch massiven Druck auf seinen Zwischenhändler und dessen Familie (B/I und B/II) fortzuführen (§ 32 Abs 3 StGB), bei einer Sanktionsbefugnis von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 28a Abs 4 SMG) eine solche in der Dauer von fünf Jahren als schuld- und tatangemessen.
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)