OGH 11Os82/10h

OGH11Os82/10h17.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. August 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Puttinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Maximilian W***** und Pavel H***** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 20. April 2010, GZ 114 Hv 46/10k-46, sowie über die Beschwerden der Angeklagten gegen einen Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4, Abs 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Maximilian W***** und Pavel H***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB schuldig erkannt (A), Maximilian W***** überdies des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 2 StGB (B I 1), des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (B I 2), des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B II 1) sowie des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (B II 2).

Danach haben in Wien

A) Maximilian W***** und Pavel H***** am 1. Juni 2009 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) Sami E***** mit Gewalt gegen dessen Person, indem Maximilian W***** ihn zu Boden drückte und Pavel H***** mit einem Holzstock auf ihn einschlug, wobei Pavel H***** die Geldbörse des E***** an sich nahm, fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Geldbörse mit ca 15 Euro Bargeld mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei sie den Raub unter Verwendung einer Waffe verübten;

B) Maximilian W***** am 25. März 2010

I. nachgenannten Personen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern,

1. durch gewaltsames Öffnen des Helmkoffers dessen Mopeds, sohin durch Aufbrechen eines Behältnisses, dem Maximilian B***** weggenommen, nämlich eine Brieftasche, ein Paar Lederhandschuhe und 10 Euro Bargeld:

2. wegzunehmen versucht, und zwar Bargeld und Wertgegenstände dem Harald P***** durch Öffnen der unversperrten Sitzbank dessen Mopeds;

II. im Zuge der unter B I 1 genannten Tat

1. Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, nämlich den Zulassungsschein, die Sozialversicherungskarte und den Mopedausweis des Maximilian B***** mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts oder eine Tatsache gebraucht werden;

2. ein unbares Zahlungsmittel, über das er nicht verfügen durfte, nämlich die Bankomatkarte der R***** lautend auf Maximilian B***** mit dem Vorsatz unterdrückt, deren Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern.

Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, die des Erstangeklagten W***** aus Z 5 und 10, die des Zweitangeklagten H***** aus Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten:

Vorauszuschicken ist, dass dieser zwar die Totalkassation des Urteils begehrt, zur Faktengruppe B aber keinerlei Sachvorbringen erstattet - diesbezüglich war auf seine Nichtigkeitsbeschwerde keine Rücksicht zu nehmen (§ 285 Abs 1 StPO).

Zum Raubfaktum behauptet die Mängelrüge (Z 5) vorerst die Verwertung (US 9) von nicht in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweisergebnissen, weil die Angaben des Sami E***** (vor der Polizei) nicht verlesen worden wären. Dem Protokoll über die Hauptverhandlung ist indes dieser Vorgang ohne weiteres zu entnehmen (ON 45 S 47, 49), wobei es sich beim Wort „Verletzungen“ ersichtlich um einen unerheblichen Schreibfehler handelt, der keinen Zweifel daran lässt, dass sämtliche Angaben, die das Raubopfer teils als Zeuge, teils als Beschuldigter (wegen des gegen ihn von den Raubverdächtigen geäußerten Verdachts des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften) machte, durch Verlesung in der Hauptverhandlung vorkamen und daher bei der Urteilsfällung berücksichtigt werden durften (§ 258 Abs 1 StPO). Die von der Verteidigung gewählte Deutung einer auf die „Verletzungen des Zeugen ON 2 S 47 ff bei der Polizei“ eingeschränkten Verlesung entbehrt jeglicher Sinnhaftigkeit. Überdies wiederholte E***** auch in seiner Beschuldigtenvernehmung - deren Verlesung unbestritten ist - seine vorherigen Angaben als Opfer (ON 2 S 71).

An diesem Umstand scheitert auch die Kritik der nicht sofortigen Belehrung des Zeugen E***** im Sinne von § 157 Abs 1 Z 1 StPO, weshalb nach Ansicht des Beschwerdeführers die Verlesung seiner in dieser Funktion gemachten Aussagen unzulässig gewesen wäre. Überdies wird damit kein aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO relevantes Vorbringen erstattet. Mit Blick auf Z 2 und Z 3 des § 281 Abs 1 StPO genügt der Hinweis mangelnder Nichtigkeit selbst bei unterlassener Belehrung (§ 157 Abs 2 StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 173) und des mangelnden Widerspruchs gegen die (gemäß § 252 Abs 1 Z 1 StPO zulässige) Verlesung.

Die weitere Behauptung einer Undeutlichkeit des angefochtenen Urteils zur Vorgeschichte des Raubes (dem es danach am Tatbestandsmerkmal unrechtmäßiger Bereicherung fehlte) verkennt, dass die Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo mit Mängelrüge nicht eingefordert werden kann (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 454; RIS-Justiz RS0102162).

Zur Waffenqualifikation des Raubes (§ 143 zweiter Fall StGB) ergeht sich die Beschwerde lediglich in eigenständig beweiswürdigenden Überlegungen nach Art einer Berufung wegen Schuld („... ist sohin nicht abzuleiten“; „widerspricht es schon der Lebenserfahrung ...“), die meritorischer Erwiderung im Nichtigkeitsverfahren nicht bedürfen.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) lässt eine methodisch-korrekte Ableitung vermissen, welche Bedeutung der Verbleib der Beute des vollendeten Raubes auf die Unterstellung unter das richtige Strafgesetz entfalten sollte - auch sie ist daher inhaltlicher Erwiderung nicht zugänglich.

Die in der angefochtenen Entscheidung vorgenommene getrennte Beurteilung zweier Diebstahlsfakten als Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch und Vergehen des versuchten Diebstahls (B I 1 und 2) ist verfehlt. Der Begriff der strafbaren Handlung in § 260 Abs 1 Z 2 StPO meint nämlich bei wert- oder schadensqualifizierten Delikten anders als dort, wo der Strafrahmen nach § 28 StGB zu bilden ist, zufolge der speziellen Bestimmung des § 29 StGB eine nach Maßgabe des Zusammenrechnungsgrundsatzes entstandene Subsumtionseinheit sui generis. Demzufolge werden nach seit Jahren gefestigter, vom Erstgericht (und bereits von der Staatsanwaltschaft - siehe ON 7 in ON 39) dennoch unbeachtet gebliebener Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0114927) alle in einem Verfahren dem selben Täter angelasteten Diebstähle - wenn sie auch weder örtlich noch zeitlich zusammenhängend und rechtlich verschiedener Art wären - bei der rechtlichen Beurteilung zu einer Einheit zusammengefasst.

Die aus diesem Fehler resultierende mögliche Annahme des Erschwerungsumstands des Zusammentreffens eines Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch mit einem Vergehen des Diebstahls (wovon das Erstgericht - insoweit inkonsequent - nicht ausging [US 24: Zusammentreffen zweier Verbrechen mit zwei Vergehen]) ist zwar grundsätzlich geeignet, den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO herzustellen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 713 fünfter Anstrich), bietet aber in concreto keinen Anlass für ein amtswegiges Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO, weil die betroffene Sanktion den Gegenstand einer zu Gunsten des Angeklagten ergriffenen Berufung bildet und im Hinblick auf das vom Obersten Gerichtshof vorgenommene Aufzeigen des Fehlers (vgl Ratz in WK² § 29 Rz 7) bei der Berufungsentscheidung insoweit keine (dem Berufungswerber nachteilige) Bindung gemäß § 295 Abs 1 erster Satz StPO an den Ausspruch des Erstgerichts besteht (RIS-Justiz RS0118870).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Zweitangeklagten:

Dessen Mängelrüge (Z 5) bezweifelt - nominell unter Behauptung unvollständiger Feststellungen - die Waffenqualität des eingesetzten Holzstocks, „die vom Erstgericht im Sinne der materiellen Wahrheitsfindung kritisch zu hinterfragen“ gewesen wäre. Durch den Vergleich mit den Verletzungen des Opfers und daraus abgeleiteten Schlüssen verlässt allerdings auch der Zweitangeklagte den gesetzlich gesteckten Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens und gerät in den Bereich der Berufung wegen Schuld, die jedoch nur das Einzelrichterverfahren kennt (vgl im Übrigen die bei Mayerhofer, StGB5 § 143 E 9 aufgelistete Judikatur, vor allem 9 Os 118/84 und 11 Os 140/85, SSt 56/73).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) zielt - unter Hervorhebung der eigenen Einlassung zur Vorgeschichte des Raubgeschehens (vgl dazu und zur Irrrelevanz für die Schuldfrage eingehend US 13 bis 15) - auf eine Relativierung der von den Tatrichtern angenommenen Glaubwürdigkeit des Opfers ab. Gerade dies ist jedoch der Anfechtung im Nichtigkeitsverfahren entzogen (vgl für § 281 Abs 1 Z 5a StPO RIS-Justiz RS0099649).

Der Hinweis auf die „nicht vorhandene Möglichkeit, den Zeugen E***** bei seiner Aussage zu beobachten und Fragen an ihn zu stellen“, ist kein Argumentieren aus den Akten, wie es die prozessordnungsgemäße Ausführung einer Tatsachenrüge allerdings verlangt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 481, 484). Zur Abrundung sei erwähnt, dass die Verlesung der Angaben dieses Zeugen vor der Polizei (§ 252 Abs 1 Z 1 StPO) nach umfangreichen - wenngleich ergebnislosen - Erhebungen zu dessen Aufenthalt (ON 41) erfolgte.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen und der Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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