OGH 7Ob14/10z

OGH7Ob14/10z14.7.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Achammer Mennel Welte Achammer Kaufmann Rechtsanwälte KG in Feldkirch, gegen die beklagte Partei V*****gesellschaft m.b.H, *****, vertreten durch Dr. Rolf Philipp und Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen 20.908 EUR sA und Rente von 352 EUR monatlich, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Oktober 2009, GZ 3 R 135/09s-110, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 28. Juni 2009, GZ 6 Cg 61/04i-105, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Aufgrund eines ärztlichen Kunstfehlers (nicht indizierte, aber dennoch an der Klägerin durchgeführte Operation in einem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus) wurde im ersten Rechtsgang - mit bereits rechtskräftigem Teilurteil (ON 75) - die Haftung der Beklagten für sämtliche daraus resultierenden zukünftigen Schäden festgestellt und die Beklagte dazu verpflichtet, der am 18. 12. 1949 geborenen, nicht berufstätigen Klägerin 20.154,72 EUR samt 4 % Zinsen seit 10. 8. 2003 zu bezahlen. Im zuerkannten Betrag sind enthalten: Schmerzengeld von 25.000 EUR (abzüglich einer Teilzahlung von 7.500 EUR), Fahrt- und Medikamentenkosten von 2.867,34 EUR (abzüglich eines von der BVA refundierten Betrags von 312,62 EUR), pauschale Unkosten von 100 EUR und schließlich 1.100 EUR an Kosten einer Haushaltshilfe im Zeitraum 6. 5. 2002 bis 30. 6. 2002 (in dem die Klägerin zu 100 % in der Haushaltsführung eingeschränkt war), woraus sich unter Berücksichtigung bereits erbrachter Schadenersatzleistungen der Beklagten von 2.000 EUR jedoch kein Zuspruch mehr ergab.

Strittig verblieb allein die darüber hinaus begehrte so genannte „Hausfrauenrente“ in Höhe von 20.908 EUR sA (= kapitalisiert für einen Zeitraum vom 1. 7. 2002 bis 30. 6. 2007) und in Höhe von 352 EUR monatlich ab 1. 7. 2007. Dazu haben die Tatsacheninstanzen im zweiten Rechtsgang Feststellungen getroffen, wonach für die Klägerin im fraglichen Zeitraum (ab 1. 7. 2002) „keine prozentmäßige Reduktion der Leistungsfähigkeit“ mehr bestanden habe, die Klägerin also in der Führung des Haushalts „umfangmäßig“ nicht mehr beeinträchtigt gewesen sei, sondern alle Haushaltstätigkeiten wieder habe durchführen können. Fest steht in diesem Zusammenhang aber auch folgender Sachverhalt, aus dem sich ein beträchtlicher zeitlicher Mehraufwand in der Haushaltsführung der Klägerin ergibt:

„Bis zur Operation am 19. 4. 2002 besorgte die Klägerin den Haushalt und teilweise den Garten (das von ihr und ihrem Gatten sowie bis vor einigen Jahren auch von ihrem Sohn benützte Haus hat 180 m² Wohnfläche, die Gartenfläche beträgt rund 1.300 m²) in monatlich durchschnittlich etwa 130 Stunden. Ab dem 1. 7. 2002 und auch ab dem 1. 1. 2003 besteht bei der Klägerin ein erhöhtes Lymphödemrisiko: Wenn es infolge einer Verletzung am linken Arm mit nachfolgender Infektion zu einer Lymphangitis kommt, wird die Klägerin weitere Lymphgefäße verlieren. Wegen der Verletzungs- und nachfolgenden Infektionsgefahr ist bei der Klägerin daher besondere Vorsicht beim Umgang mit scharfen Gegenständen etwa beim Geschirrwaschen und bei der Gartenarbeit angezeigt. Bei Gartenarbeiten wie Heckenschneiden, Brombeeren pflücken, aber auch bei Tätigkeiten wie Geschirrspülen muss die Klägerin daher an der linken Hand einen Schutzhandschuh tragen.

In der Zeit vom 1. 7. 2002 bis 31. 12. 2002 betrugen die schmerz- und vorsichtsbedingten Verzögerungen bei der (Haus-)Arbeitstätigkeit:

36 % beim Kochen, bei der Reinigung von Küche und Geschirr, beim Bügeln und Flicken, beim Fensterreinigen, beim Entsorgen von Müll, Restmüll und Glas, sowie bei der Gartenarbeit;

24 % bei der Wohnungsreinigung, beim Bettenmachen, beim Wäschewaschen, bei der Großreinigung, beim Waschen von Vorhängen, beim Reinigen von Nebenräumen, bei der Rasenpflege, bei der Schneeräumung, bei der Obst- und Gemüseverwertung und

6 % beim Einkaufen.

Ab 1. 1. 2003 liegt hinsichtlich der „Einschränkung in der Haushaltsführung“ ein Dauerzustand vor, der unverändert bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz und darüber hinaus andauerte. Ab diesem Zeitpunkt braucht die Klägerin schmerz- und vorsichtsbedingt:

30 % länger als vor der Verletzung beim Kochen, bei der Reinigung von Küche und Geschirr, beim Bügeln und Flicken, beim Fensterreinigen, beim Entsorgen von Müll, Restmüll und Glas, sowie bei der Gartenarbeit;

20 % länger bei der Wohnungsreinigung beim Bettenmachen, beim Wäschewaschen, bei der Großreinigung, beim Waschen von Vorhängen, beim Reinigen von Nebenräumen, bei der Rasenpflege, bei der Schneeräumung, bei der Obst- und Gemüseverwertung und

5 % länger beim Einkaufen.

Wenn die Klägerin über längere Zeit (etwa 5 bis 10 Minuten) Überkopfarbeiten verrichten muss, verspürt sie Schmerzen. Sie ist dann gezwungen, eine Pause einzulegen. Das führt dazu, dass sie für Tätigkeiten, die mit Überkopfarbeiten verbunden sind, länger benötigt. Beim Heben von Lasten ist keine Beeinträchtigung zu verzeichnen.“

Die Klägerin hat sich im zweiten Rechtsgang auf diese ab 1. 7. 2002 bestehenden Einschränkungen in der Haushaltsführung berufen und vorgebracht, aufgrund der schmerz- und vorsichtsbedingten Arbeitsverzögerungen bestehe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von zumindest 30 %.

Die Beklagte wandte ein, seit 1. 7. 2002 liege „keine prozentmäßige“ Reduktion der Leistungsfähigkeit mehr vor. Bei der Klägerin sei durch jahrelange Übung ein Automatisationsprozess eingetreten, der ihr die ungeschmälerte Abwicklung der bisherigen Haus- und Gartenarbeit auch unter Berücksichtigung der verletzungsbedingten Komplikationen durch vorübergehende Schmerzen, vermehrte Ermüdungsneigung und notwendigen Schutz gegen Verletzungen und Infektionen erlaube. Da ein relevanter zeitlicher Mehraufwand bei der Haushaltsführung nicht vorliege, bestehe kein Anspruch auf Hausfrauenrente.

Das Erstgericht wies mit Endurteil das restliche Klagebegehren ab. Der vorliegende zeitliche Mehraufwand stelle für sich allein keine Einschränkung in der Fähigkeit der Klägerin zur Haushaltsführung dar. Eine „prozentmäßig fassbare“ Reduktion der Erwerbsfähigkeit sei nicht feststellbar. Ein „abstraktes Rentenbegehren“ habe die nicht mehr im Arbeitsprozess stehende Klägerin - zu Recht - nicht gestellt, weil nicht ersichtlich sei, worin bei ihr die Ausgleichsfunktion liegen könnte.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es ließ die in der Berufungsbeantwortung erhobene Mängelrüge (hinsichtlich der in ON 77 beantragten, vom Erstgericht begründungslos unterlassenen Einholung eines physiologischen Sachverständigengutachtens zum Nachweis dafür, dass durch jahrelange Übung und Gewöhnung bei der Klägerin spätestens seit 1. 7. 2002 operationskausal weder ein relevanter zeitlicher Mehraufwand noch eine fassbare Einschränkung gegenüber ihrer bisherigen Leistungsfähigkeit in der Haushaltsführung und Gartenbetreuung vorliege) unbehandelt und beurteilte die Rechtsfrage wie folgt:

Bereits im Aufhebungsbeschluss im ersten Rechtsgang sei darauf hingewiesen worden, „dass Verdienstentgang eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) voraussetzt“. Nach den Feststellungen liege für den (noch) strittigen Zeitraum ab 1. 7. 2002 aber keine prozentmäßige Reduktion der Leistungsfähigkeit der Klägerin (also keine MdE) mehr vor. Die Einschränkungen ab diesem Zeitpunkt und (geringer) ab 1. 1. 2003 bestünden nur noch in einer längeren zeitlichen Inanspruchnahme durch die früheren Arbeiten. Daher könne das Verdienstentgangbegehren der Klägerin ab dem 1. 7. 2002 nicht erfolgreich auf eine MdE gestützt werden. Nach der zitierten Rechtsprechung solle zwar grundsätzlich ein Mehraufwand von Zeit und Mühe, also eine Mehranstrengung des Geschädigten, dem Schädiger nicht als Vorteil angerechnet werden, weil sie nicht zu Gunsten des Schädigers erfolge, um diesen zu entlasten. Die Mehranstrengung sei aber nach herrschender Auffassung „ideeller Schaden“, der nach ständiger Rechtsprechung nur dort zu ersetzen sei, wo das Gesetz dies besonders vorsehe. Wohl sei eine Analogie auch in diesem Zusammenhang nicht gänzlich ausgeschlossen. Nach überwiegender Auffassung seien aber bei Körperverletzungen, die - wie bei der Klägerin - keine Minderung der Erwerbsfähigkeit bewirkten (vgl 2 Ob 221/06y), nur die Schmerzen als ideeller Schaden nach § 1325 ABGB abzugelten. Daher würden [nach der zitierten Rsp] solche „Mehranstrengungen“ nur im Rahmen der Schmerzengeldbemessung oder bei Ermittlung einer „abstrakten Rente“ - über deren Ausgleichsfunktion - berücksichtigt. Der Zuspruch einer abstrakten Rente komme hier aber ebenfalls nicht in Betracht.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem Antrag auf Abänderung im klagestattgebenden Sinn und hilfsweise einem Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen; in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

Die Revisionswerberin macht geltend, die Beurteilung durch das Berufungsgericht, Mehranstrengungen könnten nur im Rahmen des Schmerzengelds ausgeglichen werden, weiche von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur so genannten „Hausfrauenrente“ ab, weil eine solche auch bei Verlust von Freizeit durch erhöhten Aufwand für die Haushaltsführung zustehe.

Dem hält die Beklagte in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung entgegen, dass die Voraussetzungen für den Zuspruch einer Hausfrauenrente mangels eines konkreten Verdienstentgangs, mangels MdE und mangels Einschränkung der Klägerin in der Haushaltsführung, die die Beiziehung einer Ersatzkraft erfordere, nicht erfüllt seien. Bei den von der Revision angesprochenen, die Freizeitaktivitäten der Klägerin einschränkenden Mehranstrengungen handle es sich um einen immateriellen und ideellen Schaden, der im Rahmen der Schmerzengeldbemessung zu befriedigen sei. Da die Klägerin keine Ersatzkraft benötige, sei ein Verweis auf die Rechtsprechung zur Hausfrauenrente unter Zugrundelegung der Kosten einer fiktiven Ersatzkraft verfehlt. Zuletzt verweist die Revisionsbeantwortung auch noch auf die unerledigte Mängelrüge in der Berufungsbeantwortung und macht geltend, dass dem gerügten Verfahrensmangel Relevanz zukomme, falls der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht gefolgt werden sollte; die Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens hätte nämlich ergeben, dass bei der Klägerin [operationskausal] aufgrund der Gewöhnungs- und Automatisierungsprozesse spätestens seit 1. 7. 2002 keine Reduktion der Leistungsfähigkeit im Haushalt und kein relevanter zeitlicher Mehraufwand in der Haushaltsführung [mehr] gegeben sei.

Dazu wurde Folgendes erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird einer verletzten haushaltsführenden Ehefrau ein Ersatzanspruch für die Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit zuerkannt. Dabei handelt es sich um keine abstrakte Rente, sondern um eine Entschädigung für konkreten Verdienstentgang (RIS-Justiz RS0030606 [T1]; 6 Ob 109/06g; 2 Ob 221/06y mwN [zur „reinen Arbeitsleistung“ als Verdienst]), die unabhängig von der Einstellung einer Ersatzkraft gebührt (stRsp; 2 Ob 100/07f; 2 Ob 221/06y jeweils mwN; RIS-Justiz RS0030606; RS0030922; jüngst: 6 Ob 11/10a). Ein solcher Ersatzanspruch ist also auch dann zu bejahen, wenn die Haushaltsarbeit von der Verletzten unter Mehraufwand von „Zeit und Mühe“ selbst verrichtet wird; die Mehranstrengung erfolgt ja - wie die Beklagte in der Revisionsbeantwortung selbst festhält - nicht zugunsten des Schädigers (stRsp, die auch in der Lehre gebilligt wird: 6 Ob 109/06g mwN; RIS-Justiz RS0030606 [T2 und T3]).

Da gerade der vorliegende Fall ein Paradebeispiel für die letztgenannte Konstellation darstellt, ist nicht einzusehen, weshalb dies hier nicht gelten sollte und - ganz im Gegenteil - davon ausgegangen werden müsste, dass der Klägerin schon deshalb keine Hausfrauenrente zustünde, weil sie die Hilfe einer Ersatzkraft nicht in Anspruch nimmt, sondern den Mehraufwand an Zeit und Mühe (zu Lasten der eigenen Freizeit) selbst erbringt. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist nach den dargelegten Grundsätzen vielmehr nicht daran zu zweifeln, dass auch eine Erschwernis infolge größerer Anstrengungen und Mühen in (rein) zeitlicher Hinsicht (also der Fall einer [zwar] „umfangmäßig“ weiterhin leistbaren Haushaltsführung, für die die Klägerin „nur“ [erheblich] mehr Zeit benötigt) grundsätzlich geeignet ist, den geltend gemachten Anspruch auf Hausfrauenrente zu begründen.

Was den Umfang dieses Anspruchs betrifft reichen die bisher getroffenen Feststellungen für eine abschließende Beurteilung jedoch nicht hin:

Maßgebend für die Höhe dieses Ersatzanspruchs sind nämlich die Art und das Ausmaß der von der geschädigten Hausfrau im Haushalt erbrachten Leistungen und die Kosten einer hiefür erlangbaren Ersatzkraft (stRsp; 2 Ob 100/07f mwN; RIS-Justiz RS0030922 [T8 und T11]; jüngst 6 Ob 11/10a). Im fortgesetzten Verfahren wird daher jener Aufwand zu ermitteln sein, der erforderlich ist, um die mit ihrem objektiven Umfang abschließend festzustellenden Minderleistungen der Klägerin (hier wird auch auf die Ausführungen der Verfahrensrüge in der Berufungs- und Revisionsbeantowrtung ON 108 bzw im Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts ON 75 [AS 383 f] Bedacht zu nehmen sein) durch eine Hilfskraft auszugleichen.

Mangels ausreichender Tatsachengrundlage zur Beurteilung dieser Frage sind die Urteile der Vorinstanzen unter Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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